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Frage von Michael N. •

Frage an Sebastian Edathy von Michael N. bezüglich Recht

Grüß Gott Herr Edathy!

Unsere Verfassung, für die zu viele Menschen ihr Leben lassen mussten, ist seit mehr als 60 Jahren einer der Grundpfeiler von Frieden und Wohlstand in Europa ist. Deren größtes Vermächtnis der Schutz der Menschenwürde (Art.1) sowie die Meinungs- und Informationsfreiheit (Art.5), Post- und Fernmeldegeheimnis (Art.10) sowie die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art.13)

Mit zunehmendem Mißmut und Erschrecken verfolge ich die Diskussion um den sogenannten "Bundestrojaner". In den jüngsten Äußerungen von Herrn Innenminister Schäuble in der Presse dürfen wir erfahren, dass er die privatesten Geheimnisse jedes Bürgers und jeder Bürgerin der Bundesrepublik Deutschland erschnüffeln will.

Ich frage mich, ob Herr Schäuble sich der Tragweite seines Vorhabens bewußt ist. Auch ein Bundestrojaner ist nur ein Programm, dass von Spezialisten gefunden, untersucht und missbraucht werden kann. Denken Sie an den "Imageschaden", den jede staatliche Organisation davon zu tragen hat - E-Government wird durch den Bundestrojaner zu einem nicht abschätzbaren Risiko für die Daten eines jeden Bürgers und einer jeden Bürgerin (und Unternehmens). Wer kann elektronischen Veröffentlichungen und Webseiten einer Behörde noch trauen, wenn er stets befürchten muss, dass er beim Betrachten mit einem Bundestrojaner infiziert und beschnüffelt wird?

Mit dem "Bundestrojaner" hat er die Grenze dessen, was ein aufrechter Bürger dieses Landes vertreten kann, maßlos überschritten.

Nun meine Fragen:

1.) Wie würden Sie bei einer notwendigen Gesetzesänderung im Bundestag entscheiden?
2.) Würden Sie selbst zu jeder Tages- und Nachtzeit den Ermittlungsbehörden erlauben, ihre privaten Räume zu betreten, Ihre private Post und Ihre Unterlagen durchzulesen und zu kopieren, _O_H_N_E_ dass sie wüssten ob, wann, wie oft und durch wen genau dies geschieht/geschah?

Freundliche Grüße,

Michael Nausch

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Sehr geehrter Herr Nausch,

vielen Dank für Ihre Fragen zum sog. Bundestrojaner vom 13. Februar 2007, die ich Ihnen gern beantworte.

Mit dem Begriff Bundestrojaner ist eine heimliche Ausspähung der Inhalte von Rechnerlaufwerken durch staatliche Stellen gemeint.

Betroffen wird durch diese Maßnahme das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung als Teil des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, Artikel 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz.

Für jegliche Grundrechtsbeschränkung in der Bundesrepublik bedarf es aber einer gesetzlichen Grundlage; im vorliegenden Fall einer parlamentarischen Ermächtigungsgrundlage für das Handeln von Strafverfolgungsbehörden. Bislang sah die Exekutive ihre Rechtsgrundlage in den bestehenden Vorschriften der Strafprozessordnung vor allem über die Durchsuchung (§ 102 Strafprozessordnung) als gegeben an. Der Bundesgerichtshof (BGH) untersagte jedoch mit Beschluss vom 31. Januar 2007 die Begründung der Zulässigkeit der Online-Durchsuchung mit dieser Vorschrift, da die Durchsuchung – im Unterschied zur irreführenderweise ähnlich bezeichneten Online-Durchsuchung – gerade nicht heimlich vollzogen würde. Da ebenfalls keine anderen Vorschriften der Strafprozessordnung (auch nicht entsprechend) für eine derart eingriffsintensive Maßnahme anwendbar sind, existiert derzeit keine gesetzliche Grundlage und der Einsatz des Bundestrojaners ist daher vom geltenden Recht nicht gedeckt. Dies betrifft zumindest das Wirken der Strafverfolgungsbehörden. Die Frage einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage für ein entsprechendes Handeln durch die Nachrichtendienste ist vor dem Hintergrund des BGH-Urteils ebenfalls zu prüfen.

Durch die nach dem Beschluss des Bundesgerichtshofs aufgekommene politische Diskussion über die Notwendigkeit einer Änderung der Strafprozessordnung, um eine gesetzliche Grundlage für die Online-Durchsuchung zu schaffen, äußern Sie, Herr Nausch, nun Bedenken, dass „die privatesten Geheimnisse eines jeden Bürgers und jeder Bürgerin erschnüffelt“ werden sollen.

Ein solches Vorgehen plant jedoch weder der Bundesinnenminister noch eine andere politische Kraft in der Bundesrepublik. Ein solches Gesetz wäre vielmehr eklatant verfassungswidrig und daher nichtig. Grundrechtlich geschützte Freiheiten dürfen immer nur dann eingeschränkt werden, wenn andere Verfassungswerte im Einzelfall überwiegen und die Einschränkung der Verhältnismäßigkeit entspricht, die Beschränkung also im Verhältnis zu dem angestrebten Zweck angemessen ist. In einem demokratischen Rechtsstaat wie der Bundesrepublik kann und wird es schon von Verfassung wegen keine staatliche Erforschung privater Geheimnisse ohne Grund geben. Die Privatsphäre eines Menschen ist dem Staat grundsätzlich entzogen.

Diskutiert wird zum gegenwärtigen Zeitpunkt lediglich, ob im Rahmen der Strafverfolgung überhaupt eine gesetzliche Grundlage für die Online-Durchsuchung geschaffen werden sollte. Verglichen zu den bislang wenigen Fällen, in denen eine solche Anordnung erfolgte (die nunmehr allerdings rechtswidrig wäre), stellt sich die Frage, ob die Maßnahme des „Bundestrojaners“ überhaupt notwendig ist und ob nicht vielmehr die dadurch beeinträchtigte Privatsphäre sowie die ggf. entstehenden Missbrauchsgefahren unverhältnismäßig wären.

Außer Acht darf allerdings nicht gelassen werden, dass es bei konkreten Hinweisen auf z.B. terroristische Anschläge, die eine besondere Gefahr für die Allgemeinheit darstellen, vorstellbar wäre, dass eine – auch nach derzeitigem Recht rechtmäßige – offene Hausdurchsuchung und Beschlagnahme sowie Durchsuchung des PCs des Beschuldigten mögliche Komplizen warnen könnte bzw. im konkreten Einzelfall auch zu zeitintensiv wäre, um die Gefahr abzuwenden. Die Durchführung einer offenen Durchsuchung beim Beschuldigten setzt diesen notwendig davon in Kenntnis. Hierdurch wird in aller Regel eine weitere Erforschung des Sachverhalts und eine Aufdeckung der Täterstrukturen erschwert oder gar vereitelt. Während eine offene Durchsuchung regelmäßig eher am Ende eines Ermittlungsverfahrens steht, kann die Online-Durchsuchung in einem Stadium, in dem das Ermittlungsverfahren dem Beschuldigten noch nicht bekannt ist, dazu dienen, Ermittlungsansätze auch im Hinblick auf weitere Tatbeteiligte oder Tatplanungen zu gewinnen. Zudem sollte im Rahmen der Diskussion beachtet werden, dass davon auszugehen ist, dass der internationale Terrorismus in großem Maße auch auf die modernen Technologien zurückgreift und sie sich zu Nutzen macht.

Sollte aber eine politische Entscheidung zugunsten einer Änderung der Strafprozessordnung getroffen werden, müssten sehr enge Grenzen für die Strafverfolgungsbehörden gezogen werden: So müsste einerseits sichergestellt werden, dass die Online-Durchsuchung einem Richtervorbehalt unterstellt ist, dass also ausschließlich ein von den Strafverfolgungsbehörden unabhängiger Richter diese anordnen dürfte und zudem die Anwendung kontrollieren müsste. Zudem dürften Online-Durchsuchungen auch nur bei konkreter, d.h. objektiv nachweisbarer, Gefahr der Begehung einer besonders schwerwiegenden Straftat in Frage kommen. Die hierfür in Betracht kommenden Straftaten müssten in einem Katalog aufgeführt werden, um eine Missbrauchsgefahr bei „kleiner und mittlerer“ Kriminalität auszuschließen.

Mir persönlich ist es besonders wichtig, dass nicht voreilig für die Demokratie bedeutsame Grundrechte des Einzelnen eingeschränkt werden, ohne dass hierfür ein konkretes sicherheitspolitisches Bedürfnis besteht. Ob dies der Fall ist, wird der politische Diskurs zeigen.

Ich hoffe, Ihre Fragen zu Ihrer Zufriedenheit beantwortet zu haben.

Mit freundlichen Grüßen

Sebastian Edathy, MdB