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Sebastian Edathy
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Frage von Bernd K. •

Frage an Sebastian Edathy von Bernd K. bezüglich Finanzen

Hallo Herr Edathy,

wie kann es sein, dass
- über einen griechischen Schuldenschnitt diskutiert wird, wenn sich G beharrlich weigert, eine funktionierende Steuerverwaltung aufzubauen und seine eigenen reichen Bürger angemessen zu besteuern ( http://www.teleboerse.de/nachrichten/Steuerfahnder-kritisiert-Griechen-article6452676.html )?

- Zypern als systemrelevant deklariert wird, obwohl Z nur 0,14% zum BIP der EU ( http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_L%C3%A4nder_nach_Bruttoinlandsprodukt ) beiträgt? In meinen Augen ist dies entweder eine besonders dreiste Lüge oder der beste Beweis für eine grundlegende Fehlkonstruktion des Systems.

- in D über Steuererhöhungen diskutiert wird, wenn D gleichzeitig direkt über ESFS/ESM und indirekt über EZB-Staatsanleihenkäufe Länder finanziert, deren Durchschnittshaushaltsvermögen (EZB-Studie) und Rentenbezugsdauer (Eurostat) signifikant höher liegen als in D?

- mit G und Z dank zahlreicher Vertragsverletzungen Fässer ohne Boden geschaffen wurden, wenn doch Island und das Baltikum beweisen, dass auch schwerste Staatsschulden- und Bankenkrisen ohne den Euro, aber mit echten Reformen innerhalb von wenigen Jahren überwunden werden können?

- der Euro als Friedensgarant angepriesen wird, wenn doch die Verträge, die das friedliche Zusammenleben regeln sollen, nach Gutdünken gebrochen werden, sich führende Euro-Köpfe wie Jean-Claude Juncker als Lügner in kritischen Situationen (sicherlich nicht zum Schaden der luxemburgischen Großbanken) outen und die simple Realität das genaue Gegenteil zeigt? Ich kann mich jedenfalls an keine massiven und diffamierenden antideutschen Demonstrationen in der Vor-Euro-Zeit erinnern.

Diese Liste ließe sich nahezu endlos fortsetzen (z. B. warum das Renteneintrittsalter in F herab- und in D heraufgesetzt wird). Ich fühle mich als Steuerzahler extrem verschaukelt und mein Vertrauen in die Glaubwürdigkeit und Kompetenz der etablierten Parteien, insbesondere der SPD, nähert sich rapide dem Nullpunkt.
MfG

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Kretzer,

für Ihre Fragen bedanke ich mich. Ich möchte ein paar Fakten klarstellen. Wie bereits in meiner letzten Antwort an Sie auf dieser Plattform, betone ich noch einmal, dass der Kurs der schwarz-gelben Bundesregierung zur Lösung der Krise in Europa nicht der Kurs der SPD ist.

1. Häufig wird die Behauptung aufgestellt, dass die Krisenländer jahrelang über ihre Verhältnisse gelebt hätten. In der Tat hat der kreditfinanzierte Boom den Menschen in den betroffenen Ländern eine volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit vorgegaukelt, die so in der Realität nicht bestand. Behauptungen aber, die Krisenländer wären verschwenderisch, gehen weit an den Tatsachen vorbei. Trotz moderater Reallöhne vor der Krise zahlen die Menschen aus den unteren und mittleren Einkommensschichten dort jetzt einen hohen Preis dafür, dass Banken, Investoren, Regierungen und internationale Organisationen meinten, mit dem Wirtschaftswachstum könne es nicht schnell genug gehen, auch auf die Gefahr hin, dass alles wie ein Kartenhaus zusammenbricht.

2. Vielfach wird von einer "Eurokrise" geredet. Die Währung ist in keiner Krise. Entgegen der oft geäußerten Behauptung ist der Euro stabil, und zwar sowohl nach außen, d.h. der Euro-Wechselkurs ist trotz aller üblichen Schwankungen relativ hoch, als auch nach innen, d.h. die Inflation ist durchschnittlich niedriger als vor der Euroeinführung. Es handelt sich nicht um eine Krise des Euros, sondern um eine Schuldenrefinanzierungskrise einzelner Euro-Staaten und mangels politischen Lösungswillens um eine Krise der gesamten Währungsunion.

3. Mit Ausnahme von Griechenland haben weder mangelnde Haushaltsdisziplin noch überbordende Staatsschulden die Krise ausgelöst. Länder wie Irland oder Spanien haben im Vorfeld der Krise nicht gegen den Stabilitäts- und Wachstumspakt verstoßen, ganz im Gegensatz zu Deutschland oder Frankreich. Hauptkrisenursache in den genannten Problemländern war vielmehr die ausufernde Verschuldung der privaten Haushalte und Unternehmen aufgrund einer kreditgetriebenen Immobilienpreisspekulation. Als die Immobilienpreisblase als Folge der globalen Finanzkrise platzte, musste der Staat die wirtschaftlichen und sozialen Folgen finanziell abfedern. Gleichzeitig wurden umfangreiche Maßnahmen zur Stützung der Banken ergriffen. Beides hat die Staatsschulden erheblich nach oben getrieben. Die hohen Staatsschulden sind also häufig nur Symptom eines tieferliegenden Problems, und es ist daher auch nicht verwunderlich, dass die gegenwärtige Krisenpolitik, die fast ausnahmslos an den Symptomen ansetzt, nicht erfolgreich ist. Krisenverschärfend wirkt dabei die unheilige Allianz zwischen Staaten und Banken. Die Bilanzsummen vieler Banken und damit auch die Risiken sind nämlich mittlerweile häufig so groß, dass auch der betroffene Staat selbst von der Pleite bedroht ist. Daher brauchen wir eine wirkliche Bankenunion, die den Teufelskreis zwischen Banken und Staaten wirksam durchbricht.

4. Die Finanzhilfe wird oft als Geschenk der "reichen" EU-Länder an die notleiden-den Krisenstaaten missverstanden, deren Pleite damit nur verzögert, aber nicht verhindert werden könne. Allerdings handelt es sich bei den Finanzhilfen keineswegs um Geschenke, sondern um Kredite, die zurückgezahlt werden müssen. Außerdem nutzen diese Kredite den Kreditgebern ebenso. So etwa wurden mit Krediten aus dem Rettungsschirm irischen und spanischen Banken geholfen, ihre ausstehenden Kredite und Anleihen bei anderen europäischen Banken zu bedienen. Wären diese Hilfskredite nicht erfolgt, hätten gerade deutsche, österreichische oder französischen Banken und Anleger/innen viel Geld verloren und Steuerzahler/innen aus diesen Ländern hätten ihrerseits mehr Hilfen an eigene Banken auszahlen müssen. Auch darf nicht vergessen werden, dass Länder wie Deutschland an der Krise verdienen, solange es zu keinem Zahlungsausfall kommt. Einerseits sind die Zinsen auf deutsche Staatsanleihen so niedrig wie noch nie, was die Schuldenaufnahme extrem verbilligt. Andererseits sind die Zinsen für die Hilfskredite relativ hoch. Die Zinsdifferenz geht als Gewinn an die Kreditgeberländer. Ob die Krisenstaaten ihre Schulden zur Gänze bedienen können, hängt wesentlich von den Zinsen ab, die sie für ihre Kredite zahlen müssen. Die Zinsen spiegeln ihrerseits die Einschätzung der Marktteilnehmer wider, ob alle Schulden getilgt werden können. Je glaubwürdiger das Rückzahlungsversprechen, desto niedriger die Zinsen. Umgekehrt kann ein Verlust an Glaubwürdigkeit zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden, wenn explodierende Zinsen einem illiquiden Staatshaushalt in die Insolvenz treiben. Die Finanzhilfen und die damit verbundenen Reformen stärken die Glaubwürdigkeit der Krisenstaaten auf den Finanzmärkten und erleichtern damit eine Tilgung ihrer Schulden. Sie sprechen Irland an: Irland kann nach zwei Jahren Finanzhilfen bereits wieder zu erträglichen Zinsen Anleihen ausgeben.

Der sozialdemokratische Lösungsweg sieht unter anderem vor:

1. Eine überzeugende Alternative jenseits der überzogenen Sparpolitik muss umfassend und gründlich sein. Insbesondere brauchen wir starke und verlässliche Sicherheitsnetze, die Sparer/innen und Kleinanleger/innen wirkungsvoll schützen. Die im Grundsatz beschlossene Bankenunion muss sich als Bankenkontrollunion verstehen, in der die Menschen Sicherheit bei ihren Bankgeschäften und Vertrauen in unser Finanzsystem haben, bis hin zur Gewissheit, dass diejenigen für die Krise zahlen müssen, die sie verursacht haben.

2. Sparen kann man nur vom Erwirtschafteten. Anstelle einer Fiskalunion, die nur die rigide und undifferenzierte Budgetpolitik wie bisher fortschreibt, brauchen wir eine Steuergerechtigkeitsunion. Es geht nicht nur um Budgetregeln, sondern auch um Mindeststandards, das Schließen von Steuerschlupflöchern und auch um die Entlastung der kleineren und mittleren Einkommen zu Lasten sehr hoher Einkommen und Vermögen. Vor allem brauchen wir einen Kurswechsel zu Wachstum und Beschäftigung zusätzlich zu einem eigenen Euroraumbudget und begrenzten Gemeinschaftsanleihen. Neben beschäftigungsfördernden Strukturreformen könnte ein Investitionsplan für den sozial- und umweltverträglichen Umbau der europäischen Wirtschaft Impulsgeber sein, der sich über einen Zukunftsfonds schuldenneutral finanziert.

3. Darüber hinaus braucht es neben einer Wirtschafts- auch eine Sozialunion. Die europäischen Sozialpartner müssen in die gesamte wirtschafts- und sozialpolitische Steuerung der EU eingebunden werden. Strukturreformen zu einer flexibleren Wirtschaft müssen wirtschaftliche Leistungsfähigkeit mit sozialer Sicherheit verbinden (Flexicurity). Durch Koordination tariflicher oder gesetzlicher Min-destlöhne soll eine produktivitätsorientierte Lohnpolitik die Wettbewerbsfähigkeit aller Länder sichern.

4. Die Politische Union soll langfristig nicht nur die Reform der Währungsunion legitimieren, sondern auch das demokratiepolitische Defizit der EU beheben. Der erste Schritt sollte zumindest die Einrichtung eines eigenen Euroraum-Ausschusses im Europäischen Parlament sein. Wir bekennen uns zu der Vision, dass der Bürgerwille im Europäischen Parlament transparent und unmittelbar gemeinsam mit den nationalen Parlamenten formuliert sowie durch eine handlungsfähige Europäische Exekutive umgesetzt werden muss.

Und abschließend: Um die "Glaubwürdigkeit und Kompetenz der etablierten Parteien, insbesondere der SPD" müssen Sie sich insbesondere mit Blick auf die SPD und den SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück keine Sorgen machen!

Mit freundlichen Grüßen

Sebastian Edathy