Frage an Sebastian Edathy von Bernd K. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Edathy,
zunächst einmal möchte ich mich dafür bedanken, dass Sie alle an Sie gerichteten Fragen beantwortet haben.
Ich habe große Zweifel an der Wirksamkeit des ESM und der Haftungsobergrenze für Deutschland, weil ich die Antworten auf wichtige und nahe liegende Fragen nicht in den Medien finde. Da Sie sich im Rahmen der Bundestagsabstimmung über den ESM eingehend damit beschäftigt haben, können Sie diese sicher beantworten.
1. In den 700 Mrd Euro des ESM sind auch rund 132 Mrd von Griechenland, Irland, Portugal, Zypern und Spanien enthalten. Wenn große Zahlungen fällig werden sollten, wer übernimmt dann diese Anteile? Oder ist das Volumen des ESM de facto geringer als 700 Mrd Euro?
2. Griechenland (BIP 2011: 215 Mrd Euro) hat bis jetzt zwei Rettungspakete in Höhe von 240 Mrd plus einen Schuldenschnitt erhalten und ist immer noch nicht gerettet. Angesichts derartiger Summen besteht die einhellige Meinung, dass das Volumen des ESM nicht für die Rettung der genannten Länder und zusätzlich noch Italiens (BIP Italien: 1586 Mrd, BIP Spanien: 1075 Mrd) ausreicht. Welche Pläne existieren für den Fall, dass Italien diesen ebenfalls in Anspruch nehmen müsste?
3. Spanien versucht schon jetzt vor dem Start des ESM, die klar formulierten Bedingungen für die Inanspruchnahme aufzuweichen. Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass Spanien tatsächlich erleichterte Sonderbedingungen eingeräumt werden?
4. Mit dem ESM verpflichtet sich Deutschland, Zahlungen im Rahmen seines 190 Mrd Anteils innerhalb von 7 Tagen nach Abruf zu leisten. Woher wird dieses Geld genommen?
5. Jede Person, der die Kontrolle über Geld übertragen wird, kann sich der Untreue schuldig machen und dafür in einem Rechtsstaat auch zur Verantwortung gezogen werden. Welche Personen oder Institutionen können gegen die Mitglieder des ESM-Direktoriums Klage erheben und vor welchem Gericht?
Ich danke Ihnen schon im Voraus für die Beantwortung dieser Fragen.
MfG
Bernd Kretzer
Rehburg, 03.10.2012
Sehr geehrter Herr Kretzer,
gerne beantworte ich Ihre Fragen. Ich möchte zunächst vorausschicken, dass die SPD im Deutschen Bundestag seit 2010 immer wieder klargestellt hat, dass der Kurs der schwarz-gelben Bundesregierung zur Lösung der Krise nicht unser Kurs ist. Deshalb gab es keine Zustimmung der SPD um jeden Preis. In den Verhandlungen mit der Bundesregierung, die der Zustimmung zum ESM vorausgingen, hat die SPD jedoch wichtige Erfolge erzielt und wesentliche Bedingungen durchgesetzt. Der Durchbruch bei der Finanztransaktionssteuer ist der SPD zu verdanken und der europapolitischen Debatte haben wir mit unserer nachdrücklichen Forderung nach einem EU-Wachstumsprogramm eine neue Richtung gegeben. Denn Haushaltskonsolidierung gelingt nur, wenn ein solides Wirtschaftswachstum, ein Abbau überflüssiger Subventionen und notwendige Ausgabenkürzungen, aber auch eine Stärkung der Einnahmeseite in den Haushalten zusammenkommen. Ich gebe dieses zu bedenken, da hier sonst der Eindruck entsteht, ein "Ja" zum ESM käme einem "Ja" zum Kurs der Bundesregierung gleich.
zu 1. Die Haftungsgrenze Deutschlands liegt in Höhe von 190 Mrd. Euro und kann nur mit einer erneuten konstitutiven Entscheidung des Bundestages geändert werden. So hat es auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil noch einmal bekräftigt. Das bedeutet, dass der deutsche Vertreter im ESM-Gouverneursrat nur mit der Zustimmung des Parlaments einer Erhöhung der Haftungssumme zustimmen kann. Für die Verpflichtungen, die der ESM eingeht, haftet er mit dem genehmigten Kapital der Mitgliedstaaten selbst. Es gibt keine Haftung in den Bundeshaushalt hinein und keine Haftung für Deutschland, die über die 190 Milliarden Euro hinausgeht. Zwar ist im ESM-Vertrag geregelt, dass für einen Mitgliedstaat, der im Falle einer Haftung oder eines Verlustes seine Verpflichtungen zunächst nicht erfüllen kann, die Zahlung gestundet werden kann. Sie ist aber mit Zinsen nachzuholen. Eine Haftung Deutschlands für alle Verbindlichkeiten des ESM begründet sich dadurch nicht. Die "no bailout"-Klausel nach Art. 125 Abs. 1 des EU-Vertrages (AEUV) ist damit ebenfalls nicht berührt, weil es gerade keine Haftung Deutschlands für die Schulden anderer Staaten gibt. Für die Notfallmaßnahmen des ESM erwirbt der ESM eine Forderung gegen den betreffenden Mitgliedstaat. Auch für deren Ausfall haftet Deutschland nicht unmittelbar, Verluste würden, wenn sie aufträten, aus dem ESM beglichen.
Der ESM-Vertrag regelt in Art. 9 in der Tat, dass von jedem Mitgliedstaat ohne weitere Bedingungen genehmigtes Kapital jederzeit durch den Gouverneursrat abgerufen werden kann. Das entspricht dem Wesen des ESM als internationale Finanzinstitution, der Geld am Kapitalmarkt aufnehmen kann, um es unter strengen Bedingungen weiter zu verleihen. Der ESM bekommt dieses Geld zu den günstigsten Konditionen, weil er Eigenkapital zur Sicherung vorhält. Sinkt dieses Eigenkapital unter eine kritische Marke, müssen die Mitgliedstaaten entsprechend ihrem Beitrag dieses Kapital nachschießen. Dies bewahrt sie aber vor einer weiteren Haftung oder der Übernahme von Bürgschaften. In Paragraph 5 Abs. 2 Nr. 2 des ESM-Finanzierungsgesetzes ist geregelt, dass der Haushaltsausschuss des Bundestages einen solchen Kapitalabruf vorher zustimmen muss. Die parlamentarische Kontrollmöglichkeit bleibt damit erhalten.
Damit wäre auch Ihre 2. Frage beantwortet.
Zu 3. Diese Frage sollten Sie der Bundesregierung stellen.
Zu 4. Das Parlament hat Finanzmittel bis zur Höhe von 190 Milliarden Euro genehmigt, davon knapp 22 Milliarden Euro als Bareinlage, die aus dem Bundeshaushalt und durch Kredite finanziert wird.
Zu 5. Der ESM, sein Eigentum, seine Mittelausstattung und seine Vermögenswerte, ganz unabhängig davon, in wessen Besitz sie sich befinden, genießt Immunität vor gerichtlichen Verfahren jeder Art. Das ist konsequent, denn wenn viele Mitgliedstaaten Geld in den ESM einzahlen, darf es nicht sein, dass ein Mitgliedstaat oder ein Staat außerhalb der Europäischen Union Vermögenswerte des ESM beschlagnahmt oder gar einzieht, die letztlich den Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in der Euro-Zone gehören. Der ESM kann aber gemäß Art. 32 Abs. 3 auf diese Immunität verzichten.
Die berufliche Schweigepflicht ist in Art. 34 des ESM-Vertrages geregelt. Sie gilt für Mitglieder des Gouverneursrates und des Direktoriums. Allerdings regelt das ESM-Finanzierungsgesetz für Deutschland, dass der Bundesfinanzminister als Mitglied des Gouverneursrates und der von Deutschland nominierte Direktor dem Deutschen Bundestag ungeachtet dieser Vertragsbestimmung jederzeit auskunftspflichtig sind. Die SPD hat im Laufe der Beratungen gefordert, dies klar gesetzlich zu regeln. Diese Forderung wurde in Paragraph 7 Abs. 9 des Gesetzes aufgenommen und damit umgesetzt.
Es ist auch richtig, dass der Vorsitzende des Gouverneursrates und die Mitglieder des Direktoriums persönliche Immunität genießen. Diese Immunität soll nicht vor Strafverfahren oder zum Schutz vor Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten dienen, sondern vor allem dazu, dass Gerichte keine Auskunftspflicht anordnen dürfen. Der ESM operiert mit sehr marktrelevanten Daten und Geschäftsgeheimnissen, deren Preisgabe zu erheblichen Verwerfungen auf den Finanzmärkten führen kann. Machen sich Mitglieder des Direktoriums oder des Gouverneursrates strafbar, kann jede Staatsanwaltschaft die Aufhebung ihrer Immunität beantragen. Art. 35 Abs. 2 des ESM-Vertrages regelt ausdrücklich, dass der Gouverneursrat die gewährten Immunitäten des Vorsitzenden, der Mitglieder, aber auch aller Mitglieder des Direktoriums aufheben kann. Auch für die Mitglieder des Deutschen Bundestages besteht nach dem Grundgesetz Immunität. Sie kann vom Deutschen Bundestag aufgehoben werden, und die Praxis zeigt, dass dies regelmäßig bei einem entsprechenden Antrag einer Staatsanwaltschaft geschieht.
Mit freundlichen Grüßen
Sebastian Edathy, MdB