Frage an Sebastian Edathy von Ingo R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Edathy,
entschuldigen Sie, wenn ich noch einmal bzgl. Ihrer Antwort auf die Frage des Herrn Keil nachhaken muss.
Das von Ihnen genannte Beispiel erstaunt mich doch ziemlich.
Sie nennen also eine "Scherz"-Bestellung einer künstlichen Vagina ein angemessenes Argument für die Voratsdatenspeicherung? Ich bin mir der wirtschaftlichen Ausmasse solcher "Witze" durchaus bewusst und möchte solche Dinge keinesfalls gutheißen.
Aber einen minderschweren Fall von Betrug (soweit ich das als juristischer Laie richtig einordne) als Legitimation eines derart grundrechte beschneidenden Gesetzes ins Feld zu führen, halte ich schon für extrem grenzwertig.
Wurde das Gesetz seiner Zeit nicht erlassen um uns vor dem "internationalen Terrorismus" zu schützen und nicht vor unerwünscht zugesanten künstlichen Vaginas?
Darüber hinaus bedarf es bei dem von Ihnen geschilderten Delikt keiner groß angelegten Speicherung sämtlicher Kommunikationsdaten. Bei der Bestellung über eine Internetseite speichert das Versandhaus in aller Regel die IP-Adresse des Bestellers. Sollte Ihnen oder dem Versandhaus also daran gelegen sein, den Vagina-Besteller ausfindig zu machen so ist dies ein leichtes.
Insofern frage ich mich, ob Sie die Kanonen auf Spatzen-Taktik wirklich ernst meinen, oder wo Sie die Verhältnismäßigkeit der Mittel sehen.
Mit freundlichem Gruß
Ingo Rütten
Sehr geehrter Herr Rütten aka "Ingo",
ich bedanke mich für Ihre Fragen vom 09.04.2010.
Wie ich feststelle, ist das von mir genannte Fallbeispiel in einer Reihe von Internet-Foren aufgegriffen und zum Thema gemacht worden. Die Form, in der dies geschieht und die zugehörigen Anmerkungen verstärken bei mir den Eindruck, dass sich etliche Internet-User, die sich zum Thema Vorratsdatenspeicherung äußern, nicht gut auskennen. Gerade im Internet-Zeitalter scheint dies aber kein Hinderungsgrund dafür zu sein, sein Unwissen gleichwohl, zudem mit selbstgefälliger Attitüde, zu artikulieren.
Noch einmal: Der Bundesgesetzgeber hatte beschlossen, zur Verfolgung schwerer Straftaten UND zur Verfolgung von Vergehen, die mittels z.B. der Internet-Nutzung begangen wurden, staatliche Auskunftsrechte gegenüber Telekommunikations-Dienstleistungsanbietern zu statuieren.
In ihrem Urteil haben die Karlsruher Richter dabei die Abfrage einfacher IP-Adressen weit schwächer abgesichert als den Zugriff auf die Verbindungsdaten selbst. Behörden können dem Urteil zufolge eine Zuordnung von IP-Adresse zu Nutzern auch dann abfragen, wenn es sich nicht um eine Straftat, sondern in bestimmten Fällen bloß um eine Ordnungwidrigkeit handelt. Welche Ordnungswidrigkeiten das genau sind, soll der Gesetzgeber konkret benennen. Dafür bedarf es also einer gesetzgeberischen Neugestaltung, bevor ein solches Verfahren "greifen" kann.
Der von mir geschilderte Fall - und das dürfte für etliche Betrugsfälle gelten - fiel in die Zeit zwischen dem vorläufigen, die Daten-Nutzung auf schwere Fälle limitierenden Karlsruher Beschluss zur Vorratsdatenspeicherung und dem endgültigen Urteil, mit dem das Gesetz für nichtig erklärt wurde. Mit Blick auf den vorläufigen Beschluss weigerte sich die Berliner Staatsanwaltschaft, in meinem Fall tätig zu werden. Ich hielte solches allerdings für sinnvoll, weil auch Betrugsfälle nicht deshalb schützenswert sind, weil sie mit Hilfe der Nutzung des Internets verübt wurden.
Ich hoffe, ich konnte mit dieser Antwort ein wenig Klarheit schaffen. Lassen Sie mich, auch wenn Sie dies nicht persönlich betreffen mag, anmerken, dass ich es für absolut unverständlich halte, wenn manche Internet-Nutzer allen Ernstes der Auffassung sind, das Internet sei ein gewissermaßen rechtsfreier Raum. Ist es nicht! Ich hoffe, der Bundestag wird sich auf Grundlage eines neuen Gesetzesvorschlages bald mit dem Thema erneut beschäftigen können.
Mit freundlichen Grüßen
Sebastian Edathy, MdB