Frage an Sebastian Edathy von emil d. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Edathy,
am gestrigen Dienstag fand eine DGB-Veranstaltung in Stadthagen mit den Direktkandidaten der etablierten Parteien statt. Ich selber konnte leider nicht dran teilnehmen, da ich verhindert war. Meine Frau erzählte mir abends, dass während der Veranstaltung ein grosses Polizeiaufgebot zu gegen war, weil die NPD eine "Mahnwache" gegenüber des Veranstaltungsortes abhielt. Grund dafür war wohl, dass der DGB den Direktkandidaten der NPD nicht einladen wollte. Desweiteren waren da wohl auch 50 junge Menschen, welche mit dem Bier in der Hand "Nazis raus "riefen.
Nun meine Frage an Sie: Warum weigern die etablierten Parteien sich der Diskussion mit der NPD zu stellen? Ignorieren kann man die nicht, macht man es doch stellen die sich mitten in der Stadt hin und errreichen so ein riesen Aufsehen.
gruss dolcek
mfg
Emil Dolcek
Sehr geehrter Herr Dolcek,
vielen Dank für Ihre Frage. Meine Haltung ist: Ich diskutiere nicht mit Neonazis. Nach dem Wahlerfolg der NPD bei den Landtagswahlen in Sachsen im vergangenen Jahr bin ich von der „Jüdischen Allgemeinen“ gebeten worden, meine Position bezüglich eines angemessenen Umgangs mit Rechtsextremisten darzulegen. Zur Beantwortung Ihrer Frage gebe ich Ihnen meinen Beitrag hiermit zur Kenntnis.
Mit freundlichen Grüßen
Sebastian Edathy, MdB
„Wehrhaft statt blöd
Mit dem Wahlerfolg der NPD in Sachsen und der DVU in Brandenburg hat nicht nur das Thema „Rechtsextremismus“ in den Medien eine (gebotene) erhöhte Aufmerksamkeit gefunden. Auch den Rechtsextremisten selbst ist verstärkt die Möglichkeit eingeräumt worden, ihre dumpfen Parolen vor einem Millionenpublikum zu verbreiten. Wirkten am Wahlabend die Auftritte – auch bedingt durch die mangelnde Souveränität der Fernseh-Moderatoren – noch eher grotesk, ist in den folgenden Wochen einzelnen Rechtsextremisten zum Teil großzügig Raum gegeben worden, ihre wirren und verfassungsfeindlichen Äußerungen unters Volk zu bringen. Vorläufiger und trauriger Höhepunkt war der Auftritt des NPD-Chefs Udo Voigt als Gast in der Talkshow Was erlauben Strunz? auf dem Nachrichtensender N 24.
Dass die Live-Interviews mit den Spitzenkandidaten von NPD und DVU am Wahlabend insbesondere für die beteiligten Rundfunksender und ihre Moderatoren eher unglücklich verliefen ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass es für den Umgang mit den rechten Agitatoren kein stringentes Konzept seitens der Rundfunkanstalten zu geben schien: Einerseits sollten die Spitzenkandidaten von NPD und DVU wie die Vertreter aller anderen in die Landesparlamente gewählten Parteien zu Wort kommen können. Andererseits wollte man den Rechtsextremisten keine Plattform für ihre Parolen bieten. Diese Strategie konnte nicht aufgehen und mündete im peinlichen Wegziehen der Mikrophone und sich wiederholenden „Bitte seien Sie still, bitte seien Sie still!“-Ausrufen.
Während man dieses Missgeschick noch als, wenn auch vermeidbaren, Unfall kritisieren kann, ist ein mehr als halbstündiger „Meinungsaustausch“ mit dem Vorsitzenden der NPD im Fernsehen anders zu beurteilen: Die latent und manifest verfassungs- und menschenfeindlichen Ansichten des Hauptverantwortelichen einer Partei, für die laut Verfassungsschutz die „Heroisierung von NS-Protagonisten“, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sowie Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus konstitutive Elemente sind, werden so als Meinungen aufgewertet, die in unserer plural verfassten Gesellschaft vertreten werden können und zu tolerieren sind. Auf dem „Ideenmarkt“ der liberalen Demokratie erscheinen derartige Ansichten dann als mögliche Meinungen, die vielleicht etwas radikaler sind als andere, aber prinzipiell diskutier- bzw. verhandelbar. Wer in bester Absicht, die rechten Populisten öffentlich zu demaskieren, den demokratischen Diskurs für antidemokratisches Gedankengut öffnet, begeht einen Fehler. Ob Hitler ein großer Staatsmann war, kann ebenso wenig Gegenstand einer Diskussion sein, wie die Frage, ob es Auschwitz gegeben hat. Feinde der Demokratie, wie Herr Voigt, verdienen keine Toleranz, sondern müssen ausgegrenzt werden.
Dies ist das Prinzip und Wesen der wehrhaften Demokratie. Ein Modell das sich für Deutschland nach dem 2. Weltkrieg bewährt hat. Kerngedanke ist, dass sich Feinde der Freiheit nicht uneingeschränkt auf die Freiheitsrechte – also auch auf die Meinungsfreiheit – berufen können, um die Ordnung, welche sie gewährt, zu bekämpfen. Übertragen auf den Umgang mit Rechtsextremisten in den Medien aber auch der Politik bedeutet dies, dass die Prinzipien der liberalen Demokratie in Deutschland keinen Redakteur verpflichtet, auch Neonazis zu Wort kommen zu lassen. Genausowenig sind Politiker gezwungen, mit, mit Neonazis öffentlich zu diskutieren. Auch fast 60 Jahre nach Ende der Nazi-Barbarei ist meines Erachtens die wehrhafte Demokratie kein Auslaufmodell. Es bleibt, zugespitzt, richtig: Mit Verbrechern darüber zu diskutieren, ob Verbrechen unter Umständen akzeptabel sind, ist kein Ausruck von Liberalität, sondern von Blödheit.“