Frage an Sebastian Edathy von Lars F. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Edathy,
Sie haben für das "Internet-Sperre-Gesetz" gestimmt. Sie schrieben als notwendige Voraussetzung:
"Verankerung des Subsidiaritätsprinzips:
Das BKA soll bei Internet-Seiten mit kinderpornografischen Inhalten verpflichtet werden, zunächst die Host-Provider zu kontaktieren, damit die Seiten gelöscht werden. Erst wenn das erfolglos bleibt, soll die Seite auf die Sperrliste gesetzt werden dürfen."
Im Gesetz steht nun aber nur, dass das BKA entscheiden darf, ob es sich mit den staatlichen Stellen austauscht oder nicht, konkret:"darf [..] sofort in die Sperrliste aufgenommen werden, wenn nach Einschätzung des Bundeskriminalamts davon auszugehen ist, dass in
dem betroffenen Staat andere Maßnahmen, insbesondere Mitteilungen an die für den polizeilichen Informationsaustausch zuständigen Stellen, nicht oder nicht in angemessener Zeit zu
einer Löschung des Telemedienangebots führen."
Frau Dr. Krogmann wies bereits daraufhin, dass die "zuständigen Stellen für den polizeilichen Informationsaustausch" hoffnungslos lahmarschig sind, selbst wenn in diesen Staaten die Kinderpornographie ebenfalls verboten ist. Daher kann das BKA grundsätzlich davon ausgehen, dass eine Löschung nicht in angemessener Zeit durchgeführt wird.
Das BKA wiederum hat kein Interesse daran, dies zu ändern, sonst wären bei der INTERPOL Regionalkonferenz ja entsprechende Maßnahmen beschlossen worden, statt von globalen Sperrlisten zu schwärmen.
Damit ist doch klar, dass das BKA effektiv doch wieder sofort sperren kann ohne Beachtung des Grundsatzes "Löschen vor Sperren". Perfidere Methoden, z.B. Löschanfragen mit Grenzfällen (fiktive Geschichten über Kindesmissbrauch) zu verschicken, um dann den Staat auf "reagiert nicht" setzen zu können und nie wieder Löschanfragen senden zu müssen, noch gar nicht weiter betrachtet.
Warum haben Sie trotzdem dem Gesetz zugestimmt, wo doch das BKA einen (verklausulierten) Freibrief erhalten hat?
Mit freundlichen Grüßen,
Lars Friedrich
Rehburg, 25. Juni 2009
Sehr geehrter Herr Friedrich,
vielen Dank für Ihre Fragen vom 20. Juni 2009 zum Thema „Internetsperre“.
Meiner Ansicht nach hat das Bundeskriminalamt (BKA) durch das am 18. Juni 2009 vom Deutschen Bundestag verabschiedete „Gesetz zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornographischen Inhalten in Kommunikationsnetzen (Bundestags-Drucksache 16/12850) keineswegs einen „Freibrief“ erhalten. Im Gegenteil ist es so, dass sich die SPD-Bundestagsfraktion mit ihren – von mir in diesem Forum bereits dargelegten – Forderungen durchgesetzt hat. Mit der neuen gesetzlichen Regelung wird nicht nur die Verbreitung kinderpornografischer Inhalte im Internet bekämpft, sondern zugleich werden Internetnutzer geschützt, rechtsstaatliche Grundsätze gesichert und ein transparentes Verfahren ermöglicht.
Dass Ihre Vorwürfe unzutreffend sind, zeigt bereits die Begründung zum gegenüber dem ursprünglichen Entwurf neuen § 1 Absatz 2 des Gesetzes, die ich nachfolgend zitiere:
„Die Regelung kodifiziert den Grundsatz `Löschen vor Sperren`. Danach kommt eine Sperrung durch die nicht verantwortlichen Internet-Zugangsvermittler nur dann in Betracht, wenn eine Verhinderung der Verbreitung der kinderpornographischen Inhalte durch Maßnahmen gegenüber den Verantwortlichen nicht möglich oder nicht in angemessener Zeit Erfolg versprechend ist. Eine vergleichbare Regelung haben die Länder in § 59 Abs. 4 Rundfunkstaatsvertrag für Einzelmaßnahmen der Aufsichtsbehörden getroffen, um dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nachzukommen.
Eine Aufnahme eines Angebotes in die Sperrliste und die Veranlassung von Maßnahmen durch den Internet-Zugangsvermittler ist nur dann erforderlich und damit verhältnismäßig, wenn dessen Verbreitung auf anderem Weg nicht verhindert werden kann. Gegen Daten, die in Deutschland gespeichert werden, können Behörden direkt Maßnahmen ergreifen. Vor Aufnahme eines in Deutschland ansässigen Angebotes in die Sperrliste haben die zuständigen Behörden daher die geeigneten Maßnahmen gegen den Inhalt zu ergreifen. In der Regel wird dies auch zu einer wesentlich effizienteren Verhinderung der Verbreitung führen.
Angebote aus EU-Mitgliedsstaaten unterliegen dem Herkunftslandsprinzip der Richtlinie 2000/31/EG (E-Commerce-Richtlinie), das in § 3 Telemediengesetz (TMG) umgesetzt ist. Deutschland darf deren Dienstleistungsfreiheit nicht ohne weiteres einschränken. Vielmehr ist es notwendig, dass der betroffenen Mitgliedsstaat und die Europäische Kommission nach Maßgabe der Art. 3 Abs. 4 bis 6 der Richtlinie konsultiert werden (§ 3 Abs. 5 TMG). Eine Aufnahme auf die Sperrliste kommt außer in besonderen Dringlichkeitsfällen nach Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie nur in Betracht, wenn ein solches Verfahren erfolglos geblieben ist. Angesichts der EU-Rahmenbeschlüsse im Hinblick auf die Kinderpornographie und die darauf beruhenden harmonisierten Standards kann davon ausgegangen werden, dass die Behörden in den anderen EU-Mitgliedsstaaten wirksame Maßnahmen gegen Angebote ergreifen, die von ihrem Hoheitsgebiet aus bereitgehalten werden.
Letztlich werden Angebote, die auf die Sperrliste gelangen, in der Regel solche aus Drittländern außerhalb der EU sein, gegen die deutsche Behörden nicht vorgehen können. Hier ist die Verhinderung des Zugangs durch Access-Blocking oftmals die einzige Möglichkeit, die Verbreitung in Deutschland über das Internet wirksam zu erschweren. Aber auch hier sind unmittelbare Maßnahmen keineswegs vollkommen ausgeschlossen. Diensteanbieter in solchen Drittländern, die ihr Angebot mit einer zuverlässigen Anbieterkennzeichnung versehen haben, können auch vor Aufnahme in die Sperrliste kontaktiert und auf die in Deutschland verbotenen Inhalte hingewiesen werde sowie darauf, dass sie in eine Sperrliste aufgenommen werden, falls sie diese Inhalte nicht umgehend entfernen. Eine solche Maßnahme kann durchaus im Sinne von Satz 1 (`Die Aufnahme in die Sperrliste erfolgt nur, soweit zulässige Maßnahmen, die auf die Löschung des Telemedienangebots abzielen, nicht oder nicht in angemessener Zeit erfolgversprechend sind`) Erfolg versprechen, wenn aus dem Angebot ersichtlich wird, dass der betroffene Diensteanbieter nicht vorrangig Kinderpornographie verbreiten will, sondern grundsätzlich andere Ziele verfolgt - etwa weil ein als kinderpornographisch eingestufter Inhalt nur als Teil anderer legaler Inhalte erscheint.
Die Beurteilung, ob Maßnahmen gegenüber dem Diensteanbieter durchführbar sind und im Hinblick auf die Verhinderung der Verbreitung von Kinderpornographie Erfolg versprechen, obliegt dem BKA. Die Entscheidung darüber, ob ein solches Angebot sofort auf die Liste zu nehmen ist oder zunächst die für den polizeilichen Informationsaustausch zuständigen Stellen zu kontaktieren sind, bleibt eine Ermessensentscheidung. Von darüber hinausgehenden Informationspflichten des Bundeskriminalamtes wird abgesehen, um die Möglichkeit unzulässiger Eingriffe in die Hoheitsrechte des jeweiligen Staates auszuschließen. Das völkerrechtliche Gebot der Achtung fremder Gebietshoheit schließt das Tätigwerden auf fremdem Staatsgebiet aus. Darüber hinaus würde eine Maßnahme des BKA gegen einen ausländischen Host-Provider politisch und rechtlich der Bundesregierung zuzurechnen sein. Haftungsansprüche würden sich dann unmittelbar gegen die Bundesrepublik Deutschland richten. Hinzu kommt, dass durch eine Information des Bundeskriminalamts an den Diensteanbieter die Ermittlungstätigkeit der ausländischen Ermittlungsbehörden möglicherweise gestört werden.“
Schließlich spricht auch § 9 des Gesetzes, der die Kontrolle der BKA-Liste durch ein Expertengremium statuiert, gegen ihre Annahme eines „Freibriefs“. Diese ebenfalls im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren eingefügte Neuregelung nimmt den Wunsch nach mehr Transparenz auf und etabliert ein unabhängiges Expertengremium beim Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit. Mit Blick auf die vornehmlich juristischen Aufgaben – die Bewertung, ob Inhalte die Voraussetzungen des § 184 b Strafgesetzbuch (StGB) erfüllen – muss die Mehrheit der Mitglieder des fünfköpfigen Gremiums die Befähigung zum Richteramt haben. Die Mitglieder sind berechtigt, die Sperrliste jederzeit einzusehen und zu überprüfen. Mindestens einmal im Quartal erfolgt zudem zusätzlich auf der Basis einer relevanten Anzahl von Stichproben eine Prüfung, ob die Einträge auf der Sperrliste den Voraussetzungen des § 1 Satz 1 des Gesetzes erfüllen. Sollte die Mehrheit des Gremiums zu der Auffassung kommen, dies sei nicht der Fall, hat das Bundeskriminalamt den Eintrag bei der nächsten Aktualisierung von der Liste zu streichen. Das Expertengremium wird vom Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit für die Dauer der Geltung des Gesetzes
(31. Dezember 2012) bestellt und wird darauf achten, dass das BKA gerade nicht grundsätzlich von einer „Löschung in nicht angemessener Zeit“ ausgehen kann.
Nochmals möchte ich abschließend darauf hinweisen, dass mit dem nun beschlossenen Gesetz der ursprüngliche Gesetzentwurf ganz wesentlich überarbeitet und verbessert wurde, wobei die SPD-Bundestagsfraktion ihre wichtigsten Änderungsvorschläge in den Verhandlungen mit der Unionsfraktion durchsetzen konnte. Damit wurden auch die wesentlichen Kritikpunkte, die sich aus der öffentlichen Anhörung und der Stellungnahme des Bundesrates ergeben haben, positiv aufgegriffen.
Mit freundlichen Grüßen
Sebastian Edathy, MdB