Frage an Sebastian Edathy von Helmut S. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Edathy,
wieder einmal war ich entsetzt, als ich heute (05. Juni) im Spiegel (
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,628800,00.html ) und in der Welt (
http://www.welt.de/politik/article3868583/Politiker-nutzen-Killerspiele-als-Waffe-im-Wahlkampf.html ) lesen mußte, wie in diesem Land mit plattem Populismus ganz reale Politik gemacht wird:
Jetzt sollen sogenannte Killerspiele wegen des Amoklauf von Winnenden verboten werden. In meiner persönlichen Anschauung sind Amokläufer in ihrem Innersten zutiefst gekränkte und verletzte junge Männer, die - mangels Alternativen - ihren seelischen Schmerz auf diese entsetzliche Weise ausleben müssen.
Meiner Kenntnis zufolge gibt es keinen wissenschaftlichen Beleg, daß Computerspiele im wirklichen Leben zu vermehrten Gewalttaten führen.
Ich persönlich kann diesen Spielen rein gar nichts abgewinnen.
Aber nach dem unsäglichen Vorstoß der Familienministerin Frau Dr. v. d. Leyen zur nur scheinbaren Sperrung von Kinderpornoseiten und dem geplanten Verbot von Spielen wie Gotcha und Paintball frage ich Sie:
1) Wie stehen Sie zum geplanten ´Killerspiel´-Verbot?
2) Beabsichtigen Sie, in dieser Frage das Gespräch mit den Innenministern der Länder zu suchen?
3) Wenn ja, mit welchem Ziel?
Mit freundlichem Gruß
Helmut Schibath
Rehburg, den 11. Juni 2009
Sehr geehrter Herr Schibath,
vielen Dank für Ihre Fragen vom 5. Juni 2009 zur Frage des Verbotes von so genannten Killerspielen.
Bereits zu Beginn der Diskussionen über Konsequenzen aus dem Amoklauf von Winnenden habe ich dafür plädiert, auf Aktionismus zu verzichten.
Im Kern müsste es eigentlich um die Frage gehen, wie das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen so begleitet werden kann, dass diese zum einen durch Stärkung ihrer Medienkompetenz immun gemacht werden können gegenüber - letztlich in Zeiten des Internets nicht zu verhindernden - potenziell schädlichen Einflüssen. Wie die pädagogische Begleitung dieses Aufwachsens ausreichend ausgestaltet werden kann (durch kleinere Klassengrößen, mehr Schulpsychologen und mehr Ganztagsschulen zum Beispiel), wird zudem ebenfalls kaum diskutiert. Ich finde das sehr bedauerlich.
Auch ich bin überzeugt, dass gewaltverherrlichende Spiele problematisch sind. Zugleich bin ich aber davon überzeugt, dass ein innerlich gefestigter Mensch auch mit drastischen Gewaltdarstellungen umgehen kann, vor dem man ihn objektiv nicht vollends zu schützen vermag.
Bereits nach geltendem Recht ist Sachlage: 1) Spiele, die einen Straftatbestand erfüllen, sind verbietbar. 2) Spiele, die das nicht tun, aber Gewalt zum Mittelpunkt haben, sind indizierbar, d.h. sie dürfen weder beworben noch frei verkauft werden. 3) Für andere Spiele, in denen Gewalt als Element vorkommt, gibt es eine Alterseinstufung, an deren Festlegung auch öffentliche Instanzen beteiligt sind.
Ich hatte vor einigen Wochen eine Schülergruppe (9. Klasse) aus dem von mir im Bundestag vertretenen Wahlkreis zu Gast in Berlin. Ich habe gefragt, wer von diesen rund 30 Jugendlichen regelmäßig Computerspiele spielt, die für ihr Alter noch nicht zugelassen sind. Fast zehn Hände gingen nach oben.
Man kann schlichtweg nicht ausschließen, dass - über Internet oder volljährige Freunde bzw. Geschwister, im Einzelfall wohl auch über ihren Erziehungsauftrag missachtende Eltern - Minderjährige an Material gelangen, das für sie nicht geeignet ist. Über die geltende und klare Rechtslage hinaus dazu zu kommen, auch solche Spiele zu verbieten, die keine strafbaren Inhalte aufweisen, liefe aber auf eine Zensur gegenüber Erwachsenen hinaus. Dann könnte man auch die Idee haben, alle Filme zu verbieten, die erst "frei ab 18" sind. Man käme damit meines Erachtens schnell auf eine abschüssige Bahn.
Den Vorschlag der Innenministerkonferenz (IMK) vom 5. Juni 2009, noch vor der Bundestagswahl in diesem Jahr ein Herstellungs- und Verbreitungsverbot von gewalthaltigen Computerspielen umzusetzen, unterstütze ich deshalb nicht. Das ist mir zu reflexhaft und zu unüberlegt.
Weiterhin werden bei der aktuellen Diskussion die gesellschaftliche Debatte der vergangenen Jahre und ihre politischen Ergebnisse zur Verbesserung des Jugendmedienschutzes sowie die Novellierung des Jugendschutzrechts im letzten Jahr außer Acht gelassen. So wurde der Katalog der schwer jugendgefährdenden Trägermedien, die indiziert sind, seit dem 1. Juli 2008 im Hinblick auf Gewaltdarstellungen erweitert, die Indizierungskriterien wurden in Bezug auf mediale Gewaltdarstellungen präzisiert, und die Mindestgröße der Alterskennzeichen der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle wurde erhöht und gesetzlich festgeschrieben.
Das Hans-Bredow-Institut hat das Jugendmedienschutz-Gesetz evaluiert. Ergebnis dieser Evaluation, die teilweise die Grundlage für die Novellierung des Jugendschutzrechtes bildete, war, dass es im Hinblick auf Computerspiele in Deutschland einen vorbildlichen und wirksamen Jugendmedienschutz gibt, wenngleich Defizite im Vollzug des Jugendmedienschutzes bestehen. Vor allem aber hat die Evaluation deutlich gemacht, dass zusätzliche Verschärfungen und gesetzliche Verbote, beispielsweise durch eine Erweiterung des § 131 Strafgesetzbuch (StGB), in diesem Zusammenhang nicht nur unnötig sind, sondern auch wirkungslos wären.
Ein Verbot darf in einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung – wie der in der Bundesrepublik – immer nur das letzte Mittel (ultima ratio) sein.
Das Thema wird im Deutschen Bundestag ohne Zweifel weiter diskutiert werden. Von einer Beschlussfassung des Deutschen Bundestages hierzu in dieser Legislaturperiode gehe ich aber nicht aus. Eine solche Beschlussfassung wäre auch falsch, weil es hierzu einer klugen Abwägung bedarf und darauf verzichtet werden sollte, kurzsichtig zu handeln.
Mit freundlichen Grüßen
Sebastian Edathy, MdB