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Sebastian Edathy
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Frage von Heike R. •

Frage an Sebastian Edathy von Heike R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Edathy,

der EuGH hat mit dem s.g. Metok Urteil (Aktenzeichen C- 127/08) eine wichtige Entscheidung zum Familiennachzug von drittstaatsangehörigen Familienangehörigen von Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern getroffen. Es schafft Klarstellung, dass die Freizügigkeit für Familienangehörige von EU-Bürgern nicht voraussetzt, dass diese sich vorher rechtmäßig im Gebiet der EU aufgehalten haben müssen. Außerdem wird klargestellt, dass die Mitgliedstaaten nicht berechtigt sind, die Nachzugsbestimmungen individuell auszugestalten. Damit wurde zugleich die Möglichkeit der Einführung einer Sprachprüfung für Ehegatten im Rahmen des Visaverfahrens ablehnend beantwortet. Basierend auf welcher Rechtsgrundlage verweigert die Bundesrepublik die Umsetzung? Kann jedes EU Mitgliedsland selbst entscheiden, ob es EU Recht einhält oder nicht? Kann sich ein betroffener Bundesbürger bei den zuständigen deutschen Behörden, mit eindeutiger Aussicht auf Erfolg, auf das rechtsgültige Urteil des EUGH berufen?

Mit freundlichen Grüßen
Heike Rogall

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Antwort von
SPD

Berlin, 5. Mai 2009

Sehr geehrte Frau Rogall,
vielen Dank für Ihre Fragen zum Familiennachzug und zu den Auswirkungen des EuGH-Urteils „Metock“ vom 4. Mai 2009.

Im Urteil „Metock“ vom 25. Juli 2008 (Rechtssache C-127/07) hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Bezug auf die EG-Richtlinie 2004/38 (sog. Freizügigkeits- bzw. Unionsbürgerrichtlinie) klargestellt, dass das Recht eines Drittstaatenangehörigen, einen Unionsbürger, dessen Familienangehöriger er ist, zu begleiten oder ihm nachzuziehen, nicht von der Voraussetzung abhängig gemacht werden dürfe, dass er sich zuvor rechtmäßig in einem anderen EU-Mitgliedsstaat aufgehalten hat. Allerdings könne sich der Familienangehörige nur dann auf die in der Richtlinie formulierten Rechte berufen, wenn der Unionsbürger, dessen Familienangehöriger er ist, von seinem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht hat bzw. sich in einem Mitgliedstaat aufhält, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt und der Familienangehörige ihn dorthin begleiten oder ihm nachziehen will (sog. grenzüberschreitender Bezug).

Zu Recht merken Sie an, dass diese Entscheidung neben dieser wichtigen Klärung auch weitere Folgen für die Anforderungen an das Visumsverfahren hat. Denn der EuGH weist die zuvor teilweise vertretene Rechtsauffassung, dass die Mitgliedsstaaten die ausschließliche Zuständigkeit dafür behielten, den erstmaligen Zugang von Familienangehörigen eines Unionsbürgers aus Drittstaaten zum Gemeinschaftsgebiet zu regeln, zurück. Vielmehr sei der Gemeinschaftsgesetzgeber für die Regelung der Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen, die Familienangehörige eines Unionsbürgers sind, zuständig und diese Kompetenz habe er wahrgenommen. Begründet wird dies damit, dass andernfalls die Folge einträte, dass die Freizügigkeit der Unionsbürger in einem Mitgliedsstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen, je nach dem nationalen Zuwanderungsrecht unterschiedlich ausgestaltet wäre, weil einige Mitgliedsstaaten Familienangehörigen eines Unionsbürgers die Einreise und den Aufenthalt gestatten, während andere ihnen dies verweigern. Dies bedeutet, dass beispielsweise deutsche Behörden europarechtswidrig handeln, wenn sie (entsprechend der derzeitigen Gesetzeslage nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU) von drittstaatenangehörigen Ehegatten eines Unionsbürgers, z.B. von der indischen Frau eines in Deutschland lebenden Österreichers, Deutschkurse und –sprachtests vor der Einreise verlangen. Auch in Bezug auf die anderen Tatbestandsmerkmale darf sich der Nachzug von Familienangehörigen zu Unionsbürgern allein nach europäischem Recht richten. Folge davon ist, dass (europarechtskonform) in Umsetzung der Freizügigkeits- bzw. Unionsbürgerrichtlinie nur die dort geregelten Anforderungen gestellt werden dürfen. Dies sind die Prüfung von Identität und bestehender Familienbeziehung, die beabsichtigte Familienzusammenführung sowie die Unterhaltssicherung durch eigene Leistung oder durch den Zusammenführenden. Die Mitgliedsstaaten dürfen aber weiterhin die Einreise und den Aufenthalt aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit verweigern, wobei eine solche Weigerung auf eine individuelle Prüfung des Einzelfalles gestützt werden muss.

Diese Rechtsprechung des EuGH ist für die Rechtsauslegung der deutschen Behörden und Gerichte verbindlich, so dass sich ein Betroffener andernfalls auch mit Erfolg darauf berufen kann. Beachtet werden muss aber, dass diese Rechtsprechung gerade nur auf Unionsbürger Anwendung findet; es muss ein gewisser grenzüberschreitender Bezug innerhalb der Europäischen Union vorhanden sein. Offenbar verstehen Sie, wenn Sie von einem „betroffenen Bundesbürger“ sprechen, die Rechtsprechung hingegen so, dass sie auch für deutsche Staatsangehörige im Inland und ihre Familienangehörigen aus Drittstaaten gelte. Das ist indes gerade nicht zutreffend, denn ein solcher Sachverhalt wird nicht von der Freizügigkeits- bzw. Unionsbürgerrichtlinie, sondern vielmehr von der Familienzusammenführungsrichtlinie (RL 2003/86/EG) erfasst. Nach Art. 7 Abs. 2 dieser Richtlinie können aber die Mitgliedsstaaten nach nationalem Recht von Drittstaatsangehörigen verlangen, dass sie Integrationsmaßnahmen nachkommen müssen. Hierzu kann auch der erfolgreiche Abschluss eines Sprachkurses zählen. Diese Unterscheidung stellt nach der Rechtsprechung auch keine gleichheitswidrige Bevorzugung von Unionsbürgern (sog. Inländer-Diskriminierung) dar. Denn das deutsche (Verfassungs-) Recht verlange nicht, Zugeständnisse gegenüber der Europäischen Union auf Inländer zu erstrecken, soweit es sich um nationale Regelungsgegenstände handelt. Der Familiennachzug zu deutschen Staatsangehörigen in das Staatsgebiet der Bundesrepublik stellt aber einen solchen nationalen und gerade keinen europarechtlichen Regelungsgegenstand dar.

Wie ich bereits mehrfach betont habe, halte ich persönlich die Spracherfordernisse im Rahmen des Ehegattennachzuges im Hinblick auf das Grundrecht der Ehe aus Art. 6 Absatz 1 Grundgesetz (GG) für verfassungsrechtlich bedenklich. Diese Regelung war jedoch letztlich ein Kompromiss mit der Unionsfraktion, um endlich eine bundesweite und rechtsverbindliche Regelung für den Umgang mit den sog. Geduldeten – Menschen ohne dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung, die sich jedoch bereits seit geraumer Zeit rechtmäßig in der Bundesrepublik aufhalten – zu schaffen. Dies ist gelungen, so dass für einen großen Teil dieser Personengruppe eine Grundlage für einen dauerhaften Aufenthalt in der Bundesrepublik erwirkt werden konnte. Es liegt doch in der Natur der Sache einer Koalition, dass sich ein Partner nicht in allen Punkten durchsetzen kann. Beim EU-Richtlinienumsetzungsgesetz haben wir entsprechend nicht für jede Regelung – so eben beim Ehegattennachzug – eine sozialdemokratische Lösung aushandeln können. Ich gehe jedoch davon aus, dass in geraumer Zeit eine Klärung der Verfassungsmäßigkeit bzw. –widrigkeit dieser Anforderung durch das Bundesverfassungsgericht erfolgen wird.

Mit freundlichen Grüßen
Sebastian Edathy, MdB