Frage an Saskia Esken von Michael W. bezüglich Finanzen
Als Steuerzahler war ich schockiert, als ich erfahren habe, wie sich über Jahre namhafte Finanzdienstleister mit Hilfe der Banken, den Staat um Milliarden erleichtert haben und meines Wissens immer noch tun. (CumEx) etc.
Wann und wie gedenken die Parlamentarier und Gewählten Vertreter des Volkes diesem unsäglichen Treiben Einhalt zu gebieten?
Da ich finde, da die Banken 2009 den Staat bzw. ganz Europa schon einmal in Zwangshaftung genommen haben, grenzt es schon an eine Unverfrorenheit, ein weiteres Mal sich am Allgemeingut zu vergreifen und damit mehr und mehr dafür zu sorgen, dass die Kluft zwischen arm und reich immer weiter auseinander geht. Zu was das führt, sieht man doch am Besten an den Wahlerfolgen der AfD!!!
Es wäre nett, wenn Sie mir darauf eine Antwort geben könnten.
Vielen Dank und mit freundlichen Grüßen:
M. W.
Sehr geehrter Herr Watzl,
in den letzten Wochen berichteten die Medien – wieder einmal – über die Aufdeckung betrügerischer Aktiengeschäfte. Hierbei handelt es sich um Vorgänge in anderen europäischen Staaten und den USA. Jedoch entstand zuweilen der Eindruck, dass ähnliche Geschäfte, die sogenannten Cum/Ex-Gestaltungen, bis heute zu gravierenden Steuerausfällen in Deutschland führen.
Daher freue ich mich über Ihr Interesse an diesen kriminellen Aktivitäten und danke für Ihre Fragen. Sie geben mir damit die Möglichkeit einer präzisen Darstellung und Bewertung der Geschehnisse.
Mit den Cum/Ex-Geschäften erschlichen sich Banken und Investoren jahrelang rechtswidrig Steuervorteile, indem sie sich Kapitalertragsteuer anrechnen oder erstatten ließen, die nie an den Fiskus abgeführt worden war. Die Finanzmarktakteure nutzen dabei die Modalitäten der Börsen, die Aktienkäufer schon vor der Einbuchung erworbener Papiere im Depot als deren Eigentümer behandeln. Dadurch gab es vorübergehend – vermeintlich – zwei Eigentümer der betreffenden Aktien.
Mit dem kriminellen Geschäftsmodell wurden die öffentlichen Haushalte und damit die Bürgerinnen und Bürger enorm geschädigt. Nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen beläuft sich das Volumen der Erstattungen, die die betrügerischen Steuerpflichtigen beantragten, auf über fünf Milliarden Euro. Über zwei Milliarden hiervon zahlten die Finanzbehörden von Bund und Ländern allerdings nie aus oder erhielten sie von den Banken – mit Zinsen – bereits zurück.
Von den Steuerhinterziehungen erfuhr das Bundesfinanzministerium im Frühjahr 2009. Die Finanzverwaltung verschärfte damals unverzüglich die Anforderungen an künftige Steuererstattungen und leitete die Untersuchung früherer Erstattungsfälle ein, was zur erwähnten Eindämmung des Schadens führte. Nach intensiver Prüfung des Besteuerungsverfahrens und dessen Schwachstellen befürworteten die Finanzministerien von Bund und Ländern trotzdem eine grundlegende Systemumstellung. 2011 verlagerte der Gesetzgeber die Verpflichtung zum Abzug der Kapitalertragsteuer bei Dividenden von den Emittenten, also den Aktiengesellschaften, auf die Banken, die die Aktien der Anleger verwahren. Der Steuerabzug und dessen Bescheinigung liegen seit 2012 in einer Hand, um eine mehrfache Geltendmachung von Erstattungsansprüchen zu verhindern.
Die betrügerischen Cum/Ex-Gestaltungen waren Gegenstand eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses in der letzten Legislaturperiode. Dieser prüfte nicht nur das Vorgehen der Behörden, sondern auch die Entstehung und Entwicklung der Cum/Ex-Gestaltungen. Dabei deckten die Abgeordneten ein kriminelles Netzwerk von Banken, Investoren und Rechtsberatern auf. Seine Untersuchungsergebnisse fasste der Ausschuss in einem über 800 Seiten starken Bericht zusammen, den Sie bei Interesse hier finden:
http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/18/127/1812700.pdf
Nach meiner Überzeugung war die mehrfache Geltendmachung einbehaltener Kapitalertragsteuer zweifelsfrei Steuerhinterziehung. Die Beweisaufnahme des Untersuchungsausschusses und die letzten einschlägigen Entscheidungen der Finanzgerichte bestätigen dies. Die SPD-Bundestagsfraktion befürwortet deshalb nachdrücklich die laufende – aufwändige – steuer- und strafrechtliche Aufarbeitung der Cum/Ex-Verdachtsfälle. Die Täter müssen zur Rechenschaft gezogen und der finanzielle Schaden für die Allgemeinheit minimiert werden.
Doch auch in Zukunft werden Steuerpflichtige – unterstützt von hochbezahlten Rechts- und Steuerberatern – versuchen, durch legale oder betrügerische Gestaltungen steuerliche Vorteile zu erzielen. Deshalb brauchen wir eine versierte Finanzverwaltung, die fachlich auf Augenhöhe mit den Finanzmarktakteuren agiert. Bundesfinanzminister Scholz betonte hierzu diese Woche im Finanzausschuss, dass er den Informationsaustausch zwischen den Behörden der Bankenaufsicht, der Steuerverwaltung und der Strafverfolgung strukturell fördert, damit etwaige Fehlentwicklungen frühzeitig erkannt werden können. Ich betrachte ein derart systematisches Handeln als Daueraufgabe von Politik und Verwaltung.
Ich hoffe, dass ich Ihnen mit meiner Auskunft weiter helfen konnte und verbleibe
mit herzlichen Grüßen
Saskia Esken