Frage an Saskia Esken von Manuel T. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Esken,
Mit den aktuellen Plänen einer „Rechtsvereinfachung“ sollen die Hartz-IV-Leistungen zum 60. Mal verändert und verschärft werden. Die vom Verfassungsgericht angemahnten Nachbesserungen (Energiekosten, Elektrogeräte, Regelbedarfe, Brillen) blieben außen vor, auch die angekündigte Entschärfung der Sanktionen scheiterte. Stattdessen erfolgen richtungslose Schlechter- und Besserstellungen mit wenig durchdachten Änderungen wie z.B.
• Statt der Entschärfung bedrohender Sanktionen soll nun auch bestraft werden, wenn Hilfebedürftigkeit nicht verringert wird - eine weitere Sonderstrafe, die es in anderen Sozialleistungen nicht gibt. Fiktive „Was-wäre-wenn-Verläufe" führen in neue Rechtsunsicherheit.
• Wohnkosten sind schon jetzt der strittigste Bereich. Nun sind weitere Hürden mit einer tückischen Obergrenze für die Heizkosten vorgesehen, die zu einer „Rechtsverkomplizierung“ führen.
• Der Ausschluss von Azubis, Schülern und Studenten wurde großteils zurückgenommen - prima. Doch Studierende an Hochschulen in eigener Wohnung bleiben auf dem Weg „ganz nach oben“ ausgeschlossen. Zusätzlich wird für sie die Hilfe bei Mietschulden beseitigt.
• Hilfe in den vielen Notlagen wird für die Nothelfer unnötig erschwert. Überbrückungsdarlehen können nicht mehr abgetreten werden, weil mit der Pfändbarkeit auch die Abtretbarkeit von Alg-II-Leistungen beseitigt wurde.
Eine weitergehende kritische Gesamtkommentierung gibt es in der Bundestagsausschussdrucksache 18(11)484.
Hartz-IV-Bezieher wurden in der Vergangenheit bereits stark abgestraft. Dieses Vorhaben verschärft den Rechtsruck von Menschen, die befürchten, mit der Flüchtlingswelle weiter an den Rand gedrückt zu werden. Gefragt ist eine hohe soziale Sensibilität der Politik.
In wie weit teilen Sie diese Bedenken? Was können Sie ggf. tun, um neue Schlechterstellungen oder Verschärfungen für die Betroffenen zu verhindern?
Freundliche Grüße
Manuel Trick
Geplante Gesetzesänderung SGB II – Ihre Email vom 15. März 2016
Sehr geehrter Herr Trick,
vielen Dank für Ihren Brief und die sehr interessante Stellungnahme zum Gesetzentwurf zur Änderung des SGB II. Es tut mir leid, dass die Bearbeitung Ihres Schreibens so viel Zeit in Anspruch genommen hat. Mit diesem Gesetzgebungsvorhaben sollen die konsensualen Vorschläge einer Bund - Länder - Arbeitsgruppe umgesetzt werden. Ziel der Gesetzesinitiative ist es, dass die Mitarbeiter in den Jobcentern arbeitslose Menschen besser unterstützen können, indem wir Verwaltungsprozesse vereinfachen. Ob die einzelnen Regelungen diesem Ziel dienen können, werden wir im parlamentarischen Verfahren beraten, zu dem immer auch die öffentliche Diskussion und die Anhörung der Fachöffentlichkeit gehört.
Am vergangenen Freitag war im Plenum die erste Beratung des von der Bundesregierung ein gebrachten Entwurfs. Wir nehmen die Hinweise der Rechtsexperten gerne auf und schauen uns die im Gesetzentwurf befindliche Regelung zu § 34SGBII besonders gründlich an. Mit uns wird es keine sanktionsartigen Wirkungen geben, die über die der gültigen Regelung hinausgehen würden. Die SPD wird sich für die langzeitarbeitslosen Menschen einsetzen, auch weil uns durchaus bewusst ist, was lange Arbeitslosigkeit für die Menschen bedeuten kann. Sanktionen können bei den Betroffenen wirken, als ob man ihnen jede Form der Selbstbestimmung nehmen wollte. Es ist für mich sehr wichtig, diejenigen in die politischen Entsch eidungen miteinzubeziehen und anzuhören, die jeden Tag erleben, wie unsere Politik im Alltag wirkt. Dass Sie sich in diesen Punkten an mich wenden, ist deshalb sehr wichtig für meinen Anspruch, Politik für die Menschen zu machen. Herzlichen Dank dafür!
Das Thema Regelsatzbemessung wird Gegenstand einer eigenständigen parlamentarischen Initiative sein.
Die sog. Gesamtangemessenheitsgrenze werden wir in der SPD - Fraktion sehr genau auf ihre Konsequenzen hin abklopfen. Hierzu sind die Stellungnahmen und Bewertungen, die uns erreichen, allerdings sehr unterschiedlich. Ebenso werden wir die vorgesehene Regelung zu den Freibeträgen auf den Prüfstand stellen.
Der Gesetzentwurf setzt zudem wichtige Anliegen um, die vonseiten der Gewerkschaften seit Jahren formuliert wurden.
- Wer Arbeitslosengeld I bezieht und trotzdem zusätzlich auf Grundsicherungsleistungen angewiesen ist, soll künftig von den Arbeitsagenturen und nicht mehr wie bisher von den Jobcentern betreut werden. Das entlastet die Jobcenter und stellt sicher, dass Personen, die durch ihre Beiträge Ansprüche in der Arbeitslosenversicherung erworben haben, auch alle Leistungen von dieser bekommen.
- Das Arbeitslosengeld I oder II wird künftig standardmäßig nicht mehr für nur sechs, sondern für 12 Monate bewilligt. Dies wird gesetzlich klargestellt und reduziert im Ergebnis die Zahl der Prüfvorgänge und der Bewilligungsbescheide in all den Fällen, wo sich nichts bei den persönlichen Verhältnissen des Arbeitsuchenden verändert hat.
- Bei Menschen, die Arbeit slosengeld II beziehen, darf zukünftig nicht mehr gepfändet werden. Damit sichern wir die Existenz der Menschen auch in besonders schwierigen Lebenssituationen.
- Besonders wichtig ist auch, dass junge Menschen bis 25 Jahre, die keinen Berufsabschluss haben, künftig Arbeitslosengeld II beziehen können, auch wenn sie eine Ausbildung aufnehmen – beispielsweise dann, wenn das Ausbildungs - BAföG nicht zum Leben reicht. Das macht es leichter, sie für eine Ausbildung zu motivieren, weil sie sich auch während der Ausbildungszeit nicht schlechter stellen, als wenn sie weiter ausschließlich Arbeitslosengeld II beziehen würden.
- Außerdem bauen wir die Betreuung in den Jobcentern dahingehend aus, dass Menschen auch nach einem erfolgreichen Start aus der Arbeitslosigkeit in den Beruf eine Zeit lang weiter unterstützt werden. Dies soll gewährleisten, dass die Menschen sich gut im neuen Job zurechtfinden und nicht gleich wieder arbeitslos werden.
- Auch wird die Möglichkeit zur vorläufigen Leistungsgewährung explizit gesetzlich verankert. Am Veto der CDU/CSU ist bedauerlicherweise die Streichung der besonderen Sanktionsregelungen für jüngere Arbeitslose unter 25 Jahren gescheitert, die von Praktikern für ungeeignet und wenig hilfreich gehalten werden. Auch die Sanktionierung u nd damit eine Kürzung bei den Kosten für Unterkunft und Heizung wird es wegen des Vetos der Unionsparteien weiter geben. Damit laufen Arbeitsuchende auch in Zukunft Gefahr, in die Obdachlosigkeit zu rutschen und in der Folge schwieriger in Arbeit vermittel bar zu sein.
Nicht wenige Menschen im Hartz - IV - Bezug fürchten jetzt, in Folge der Flüchtlingssituation schlechter gestellt zu werden. Ich kann das nachvollziehen, weil wir durch die öffentliche Diskussion zu lange den Eindruck haben entstehen lassen, die Politik tue viel für die Flüchtlinge, während die, die schon da sind, aus dem Blick geraten. Weil uns der gesellschaftliche Zusammenhalt ebenso wie die soziale Gerechtigkeit am Herzen liegt, werden wir bei den jetzt anstehenden Investitionen darauf achten, dass nicht gezielt die Flüchtlinge, sondern alle in Deutschland profitieren – zum Beispiel im sozialen Wohnungsbau. Gerade wir Sozialdemokraten müssen deutlich machen, dass wir uns für alle Menschen einsetzen und selbstverständlich auch die nicht vergessen , denen es nicht so gut geht.
Ich danke Ihnen noch einmal für die Zusendung Ihrer Stellungnahme.
Mit freundlichen Grüßen
Saskia Esken, MdB