Frage an Saskia Esken von Klaus J. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Warum ist die SPD dieses Jahr für die Einführung eines Mindestlohnes, wo sie es doch als Bundestagsfraktion 2003 (ich glaube es war 2003) wo man noch die Mehrheit im Bindestag mitbestimmt hat, abgelehnt hat diesen Mindestlohn einzuführen?
Sehr geehrter Herr Jorke,
vielen Dank für Ihre wichtige Frage, die ich gerne beantworte. Sie haben Recht, die SPD-Bundestagsfraktion hat einen gesetzlichen Mindestlohn in früheren Jahren abgelehnt und dies teils mit eher wirtschaftsliberalen Argumenten begründet, teils mit der damaligen Ablehnung gesetzlicher Mindestlöhne durch Teile der Gewerkschaften, die darin einen Eingriff in die Tarifautonomie sahen.
Beide, sowohl die SPD als auch die meisten Gewerkschaften, haben seither ihre Meinung angesichts der dramatischen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt geändert. Dazu gehört der massive Rückgang der Tarifbindung - mittlerweile sind im Osten 50% und im Westen immerhin 40% der Betriebe ohne Tarifbindung. Dazu gehört die Ausbreitung sogenannter atypischer Beschäftigungsformen wie Leiharbeit, Werkverträge und Minijobs, die in manchen Branchen die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung als Regelform an den Rand gedrängt haben. Nicht zuletzt gehört dazu auch die beispiellose Explosion des Niedriglohnsektor in den letzten Jahren. Als ich 2009 das erste Mal für den Bundestag kandidiert habe, hielten wir es schon für dramatisch, dass 21% der Beschäftigten in Deutschland im Niedriglohnsektor arbeiten, heute sind es im Schnitt 23% - das ist fast ein Viertel der Beschäftigten! In unserem reichen Land Baden-Württemberg, im Speckgürtel der besonders reichen Region Stuttgart, nämlich in unseren beiden Kreisen Calw und Freudenstadt leben laut einer Untersuchung des Pestel-Instituts 30.000 Menschen, die unter einem gedachten Mindestlohn von 8,50 Euro arbeiten. Sie bringen als Vollzeitbeschäftigte im Schnitt einen Monatsnettolohn von 785 Euro nach Hause, als Minijobber mit Wochenarbeitszeiten von durchschnittlich 10,5 Stunden erhalten sie ein monatliches Taschengeld von 270 Euro. Dass sie dies aus "Konsumlust" tun, wie eine Sprecherin der Agentur für Arbeit es salopp formulierte, kann ich mir nicht vorstellen. Bei Vollzeitlöhnen um 800 Euro ist der Nebenjob doch einfach notwendig, um sein Leben und das seiner Familie auch nur einigermaßen bestreiten zu können.
Nennen Sie es Einsicht und Lernprozess, nennen sie es die richtige Schlussfolgerung aus der Betrachtung der Realität: Aus den genannten Gründen fordern SPD und Gewerkschaften spätestens seit 2009 die Wiederherstellung der Ordnung auf dem Arbeitsmarkt durch die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung, die Begrenzung und die Entgeltgleichheit bei der Leiharbeit, die Verfolgung der missbräuchlichen Anwendung von Werkverträgen, die Durchsetzung des Arbeitsrechts und die Begrenzung der Minijobs und nicht zuletzt die Einführung eines gesetzlichen, flächendeckenden Mindestlohns von anfangs 8,50 Euro pro Stunde. Damit der Mindestlohn in Zukunft nicht als Wahlkampfthema missbraucht wird, soll im Gesetz geregelt werden, dass seine Höhe in Zukunft in einer paritätisch mit Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern besetzte Kommission ausgehandelt werden soll - also im Grunde von den Tarifparteien.
Ich hoffe, Ihre Frage einigermaßen befriedigend beantwortet zu haben, und ich würde mich freuen, Sie jetzt im Wahlkampf oder danach einmal persönlich kennen zu lernen. Gerade jetzt am Samstag, 24.8. haben wir von 9-12 Uhr in Calw und Freudenstadt Infostände geplant, wo wir zum Thema Mindestlohn unsere stellvertretende Landesvorsitzende Leni Breymaier eingeladen haben und Gespräche und Info-Material zur Arbeitsmarktpolitik anbieten.
Mit herzlichem Gruß
Ihre SPD-Bundestagskandidatin
Saskia Esken