Frage an Sabine Lösing von Gisela W. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrte Frau Lösing,
Sven Giegold im Neuen Deutschland-Interview:
"Worin bestehen die Chancen der Europäischen Genossenschaft?
Wenn Genossenschaften heute grenzüberschreitend handeln, sind sie fast gezwungen, eine Rechtsform mit einer kapitalistischen Grundkonstruktion zu nehmen. Mit der europäischen Genossenschaft könnte man hingegen eine Rechtsform wählen, die von ihrer inneren Logik und Symbolik her klar zeigt, dass es nicht nur um die Erhöhung der Gewinne für die Eigentümer geht."
I. Wie sehen Sie bzw. Ihre Fraktion/Partei europäische Genossenschaften? Was sind dazu Ihre Forderungen?
II. Wo werden diese Forderungen in welchen Veranstaltungen/Aktionen verdeutlicht?
III. Können Sie einen Zusammenhang sehen zwischen Europäischen Genossenschaften und dem Errichten bzw. Vermieten von Wohnungen, die auch für Arme bezahlbar sind?
IV. Sind für Sie europäische Genossenschaften auf dem Gebiet der Energieversorgung vorstellbar?
Mit freundlichen Grüßen
Gisela Walk
Liebe Gisela Walk,
anbei meine zusammenfassende Antwort.
Genossenschaften in der EU können sich bereits zu Europäischen Genossenschaften zusammenschließen. Dies regelt die EU-Verordnung 1435/2003 zum Statut der Europäischen Genossenschaft aus dem Jahr 2003. Weiterhin regelt eine EU-Richtlinie (2003/72/EG) die Arbeitnehmerbeteiligung bzw. Mitbestimmung im Rahmen der Europäischen Genossenschaft.
Die Europäische Kommission will die bestehende Verordnung und die bestehende Richtlinie novellieren, weil sie angeblich zu kompliziert seien. Unsere Fraktion will vor allem die bestehenden Regelungen zur Arbeitnehmerbeteiligung und Mitbestimmung erhalten und als „Vereinfachungen“ getarnte Verschlechterungen von ArbeitnehmerInnenrechten verhindern.
Hintergrund für die von der Kommission geplante Vereinfachung der Verordnung zum Statut der Europäischen Genossenschaft ist, dass bis 2010 nur 17 solche Europäischen Genossenschaften geschaffen wurden, und dies vor allem von großen Dachgesellschaften bestehender Genossenschaften. Die 17 bestehenden Europäischen Genossenschaften beschäftigten von daher nur 34 Mitarbeiter_innen, d.h. im Wesentlichen das Management der Genossenschafts-Dachverbände.
Die geringe Zahl europaweiter Zusammenschlüsse von Genossenschaften erklärt sich offenbar vor allem daraus, dass die meisten kleineren und mittleren Genossenschaften wegen ihres eher lokalen oder regionalen Bezugs kein Interesse an der Gründung einer Europäischen Genossenschaft haben. Wir unterstützen grundsätzlich das Konzept „Genossenschaft“ als Non-Profit-Unternehmen und meinen, dass Zusammenschlüsse zu einer Europäischen Genossenschaft dort sinnvoll sind, wo Genossenschaften durch eine solche Kooperation Vorteile für ihre Arbeit haben. Für die meisten kleineren und mittleren Genossenschaften scheint dies allerdings kaum der Fall zu sein.
Eine Reihe von sehr großen Genossenschaften (z.B. Mondragon in Spanien, die dort und in Lateinamerika große Supermarktketten betreiben; oder große Genossenschaftsbanken, die genauso wie die kommerziellen Banken in faule Giftpapiere investierten) arbeiten unserer Meinung nach heute kaum anders als „normale kapitalistische Unternehmen“. Eine Rückbesinnung auf die Prinzipien der Genossenschaftsbewegung halten wir hier für erforderlich. Da diese großen Genossenschaften auch viele abhängig Beschäftigte haben, die nicht Genossenschaftsmitglieder sind, treten wir für den Erhalt und Ausbau von Arbeitnehmerrechten und Mitbestimmung ein. Diese Punkte wurden z.B. in der Entschließung des Europäischen Parlaments zum Statut der Europäischen Genossenschaft von letzter Woche aufgegriffen - Berichterstatter war Sven Giegold.
Wohnbau- und Wohnungsgenossenschaften sind einmal gegründet worden, um bezahlbaren und attraktiven Wohnraum für einkommensschwache Bevölkerungsschichten zu schaffen. Inzwischen handeln nicht mehr alle Genossenschaften in diesem Bereich nach diesem Leitprinzip. Wir möchten dieses wieder stärker zur Geltung bringen und vor allem mit ökologischem Bauen und energiesparendem Wohnen verbinden. Sofern sich Genossenschaften in diesem Bereich zu Europäischen Genossenschaften zusammenschließen möchten, unterstützen wir dies. Wegen des eher lokalen Bezugs des Wohnens vermuten wir aber, dass die meisten Wohnbau- und Wohnungsgenossenschaften weiterhin eher lokal und regional als europäisch tätig sein werden.
Auch Genossenschaften auf dem Gebiet der Energieversorgung sind vorstellbar und es gibt bereits welche. Im Sinne einer ökologischen und sozialen Energiewende werden diese aber meist lokal und regional tätig sein, denn es geht um eine möglichst dezentrale Energieversorgung mit erneuerbaren Energien und dezentralen Konzepten des Energiesparens.
Hervorzuhebend bleibt, dass unsere Fraktion vor allem die bestehenden Regelungen zur Arbeitnehmerbeteiligung und Mitbestimmung erhalten und als „Vereinfachungen“ getarnte Verschlechterungen von ArbeitnehmerInnenrechten verhindern will.
Mit freundlichen Grüßen
Sabine Lösing