Frage an Ruth Katharina Seidl von Thomas H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Seidl,
in den letzten Wochen und Monaten wird die Novellierung des Jugendmedienstaatsvertrages kontrovers diskutiert.
Kritiker befürchten, dieser Vertrag werde im Ergebnis im Bezug auf das Medium Internet einer weitgehenden Zensur gleichkommen , z. B. mit "Sendezeiten" für Internetinhalte oder die Haftbarmachung von Internet Service Providern bzw. Bloggern für Inhalte Dritter.
In diesem Zusammenhang interessiert mich, ob Sie
1. mit dem Thema Jugendmedienstaatsvertragsnovelle vertraut sind bzw. befasst sind, und
2. ob Sie die Novelle befürworten oder ablehnen.
Mit freundlichen Grüßen,
Thomas Hensel
Sehr geehrter Herr Hensel,
haben Sie vielen Dank für Ihre Mail.
Wir GRÜNE im Landtag NRW verfolgen natürlich die Debatte über die Novelle des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages sehr genau und haben auch mit darauf hingewirkt, dass dort, wo GRÜNE an Landesregierungen beteiligt sind, Minimalforderungen mindestens als Protokoll-Notiz in die Novelle eingeflossen sind. Dafür bin ich den KollegInnen in Bremen, Hamburg und im Saarland durchaus dankbar. Gleichwohl sehen die KollegInnen und ich diese Novelle insgesamt weiterhin kritisch.
Der Internet-Super-Gau, auch Access-Provider zu Alterskennzeichnung und Jugendschutzprogrammen anzuhalten, wurde zwar doch noch verhindert. Dennoch gehen auch die jetzt vorgesehenen Regelungen an der Realität des Netzes vorbei und können die Existenz kleiner Websites, Blogs und anderer Web 2.0-Angebote bedrohen.
Jugendschutzprogramme und Alterskennzeichnungen können grundsätzlich Sinn haben, um Eltern eine Hilfestellung beim Schutz ihrer Kinder zu geben. Es muss aber auch klar sein: Technische Maßnahmen können und dürfen Medienkompetenz und ein Hinschauen der Eltern niemals ersetzen!
Das nun vorgeschlagene "Labeln nach Altersstufen" können sich nur große Anbieter leisten. Für all die anderen kleinen Angebote, von denen das Netz lebt, kann und darf Alterskennzeichnung nicht erwartet werden. Das Kennzeichnen von "User Generated Content" ist häufig nicht leistbar und steht den bisherigen Haftungsregelungen diametral entgegen.
Wenn jetzt alle Angebote ohne Altersangabe oder Sendezeitbegrenzung in Verdacht geraten, Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung zu beeinträchtigen und deshalb ausgefiltert werden, dann sind die Freiheit des Internets und seine Weiterentwicklung in höchster Gefahr.
Aus meiner Sicht zeigt der neue Staatsvertrag deutlich, dass in den Staatskanzleien im Hinblick auf das Internet noch immer altes Rundfunk-Denken vorherrscht. Regelungen wie Sendezeitbegrenzungen, die für den Rundfunk geschrieben wurden, können nicht auf das Internet übertragen werden. Der Staatsvertrag zeigt auch, dass man im Internet mit pauschalen und althergebrachten Ansätzen nicht weiterkommt. Dort ist eben Anbieter nicht gleich Anbieter. Statt rückwärtsgewandter Konzepte brauchen wir einen modernen Jugendmedienschutz, der der Logik und den Realitäten des Internets Rechnung trägt. Alles in allem zeigt sich, dass der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag an der digitalen Realität vorbei geht.
Mit den besten Grüßen
Ruth Seidl