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Frage von Philipp B. •

Frage an Rüdiger Veit von Philipp B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Immer mehr Buergerrechte werden mit dem Vorwand der Terrorbekaempfung beschnitten. In ganz Europa kann man den Trend zur totalen Ueberwachung erkennen. In NRW gibt es mitlerweile ein Gesetzt das die heimliche online durchsuchung von PCs ermoeglicht. Immer mehr Ueberwachungskameras werden installiert. Sie wissen mit sicherheit genau was ich meine. Verglichen mit dem derzeitigen ueberwachungs-trend in der gesamten westlichen welt sieht die Stasi rueckwirkend wie ein alberner Kindergarten aus. Osama bin Laden hatt sein Ziel erreicht als er 2001 den Terror in die USA brachte. Er hatt nicht alle Menschen getoetet, aber er hatt uns indirekt was viel wichtigeres weggenommen - unsere Freiheit! Wenn niemand handelt, werden wir uns in 10 bis 20 Jahren in einem totalitaeren polizeistaat Staat wiederfinden. In diesem Moment werden die Grundpfeiler dafuer gelegt.

Wie stehen sie dazu? Was denken sie ueber den derzeitigen Trend zur totalen Ueberwachung?

Mir ist klar das sie einem intelligenten muendigen Buerger gegenueber nicht zugeben koennen das sie den Trend unterstuetzen. Ich wollte sie vielmehr damit direkt konfrontieren.

MfG, P. B.

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Baumgart,

zunächst muss ich mich gegen eine Verharmlosung Ihrerseits dringend verwahren: Bei der DDR-Staatssicherheit handelte es sich um eine totalitäre Organisation, die das staatlich kontrollierte Leben der Bürger auch noch dort überwachen sollte, wo es sich dem Blick der offiziellen Wächter zu entziehen versuchte: Im Privatleben. Den Betroffenen stand aufgrund fehlender Rechtsstaatlichkeit und Demokratie kein Mittel zur Verfügung, sich dagegen zu wehren - weder auf juristischem Wege noch durch öffentlichen Protest. Allein die Tatsache, dass Sie bei Abgeordnetenwatch jede erdenkliche Frage an mich stellen können, beweist, dass es einen grundlegenden Unterschied zur parlamentarischen Demokratie gibt, der Ihren Vergleich als Verharmlosung des Schicksals von Stasi-Opfern dastehen lässt.

Zu Ihrer Behauptung einer "Tendenz zum totalitären Polizeistaat" in Europa möchte ich Folgendes anmerken: Die zunehmende Ansammlung von Daten über die Kommunikation der Bürger sehe ich sehr kritisch, weil darin die Gefahr enthalten ist, dass ein Verhaltensmuster der Bürger angefertigt wird, welches eine Kontrolle oder sogar Unterbindung privater Kommunikation durch staatliche Organe ermöglicht. Wichtig ist daher einerseits, dass die Bürger wissen, wann sie wo welche Informationen preisgeben - und damit die Möglichkeit haben, ihre Privatsphäre zu schützen. Andererseits ist es die Aufgabe demokratischer Politik, die Überwachungsmöglichkeiten auf ein Mindestmaß einzuschränken.

Dieses Mindestmaß gibt es jedoch ganz unzweifelhaft: Die verschiedenen elektronischen Kommunikationsmedien werden - wie alle anderen Wege - auch für verbrecherische und totalitäre Attacken auf die zivile demokratische Gesellschaft genutzt. Als in Madrid und London verheerende Anschläge auf den Berufsverkehr verübt worden sind, befanden sich nicht hochrangige Politiker oder Wirtschaftsbosse im Visier der Täter, sondern unschuldige Bürger wie Sie. Wenn solche Anschläge in Madrid und London möglich sind, können Sie auch in Frankfurt und Dortmund stattfinden. Und solche Anschläge sind keine Spontanaktionen von Einzeltätern, sondern erfordern ein hohes Maß an verdeckter Organisation und Koordination. Das wäre zwar auch durch eine vollständige Kontrolle aller Kommunikationswege nicht zu unterbinden - aber selbstverständlich gibt es bestimmte Knotenpunkte, an denen eine erhöhte Wahrscheinlichkeit solcher Machenschaften anzunehmen ist: Etwa dort, wo waffenfähiges Material gehandelt wird oder Geldwäsche möglich ist. Eine demokratische Regierung, die den Auftrag erfüllen will, ihre Bürger vor Anschlägen zu schützen, muss die Möglichkeiten zur Überwachung solcher Knotenpunkte wahrnehmen. Dabei ist immer auch private Kommunikation unbescholtener Bürger betroffen - diese müssen daher einsehen können, dass ihre Kommunikation womöglich nicht privat bleibt, um Ihnen die Möglichkeit des Ausweichens auf andere, geschützte Medien offen zu lassen.

Diese Maßnahmen der Überwachung werden jedoch von Parlamenten beschlossen, und sie werden öffentlich diskutiert - Sie und ich, wir sind ja gerade dabei! Und dieser Umstand macht den entscheidenden Aspekt aus, der es verbietet, eine Gleichsetzung mit jenen totalitären Akteuren vorzunehmen, als deren Beispiel Sie Osama bin Laden genannt haben.

Keineswegs bestreite ich, dass es bei uns Politiker gibt, deren Kontroll- und Überwachungswünsche ein demokratisch vertretbares Maß überschreiten. Aber erstens muss ich selbst diese Politiker vor einer Gleichsetzung mit einem Terroristen verwahren, der die gezielte massenhafte Tötung unschuldiger Menschen anstrebt, um seine totalitären politischen Vorstellungen zu befördern. Und ich muss Sie darauf hinweisen, dass Sie die Möglichkeit haben, mit sachlichen Argumenten in einer öffentlichen Diskussion darauf hinzuwirken, dass übermäßige Kontrollen politisch keine Mehrheit finden. Die Unterstellung von Polizeistaatstendenzen in der Bundesrepublik oder Europa ist eine unhaltbare Verzerrung der politischen Realität."

Mit freundlichen Grüßen
Rüdiger Veit