Frage an Rudolf Henke von Walter von den D. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Herr Abgeordneter Dr. Henke,
es gibt da dieses Urteil des Landgerichts Köln zur Beschneidung von Jungen. Abgesehen davon, dass die sich entwickelnde grundsätzliche Diskussion äußerst interessant ist, gibt es auch einen anderen Aspekt:
Foristen - Angehörige der Heilberufe - haben in Online-Foren überregionaler Medien publik gemacht, dass religiös motivierte Beschneidungen von Jungen durch in Deutschland approbierte Mediziner mit der Routine-Diagnose "Phimose" so gut wie immer als Krankenkassenleistung abgerechnet werden, obwohl Phimosen tatsächlich gar nicht vorliegen.
Mich würde interessieren, ob dies nach Ihrer Kenntnis zutrifft und wie Sie sich als Gesundheitspolitiker und Ärztegewerkschafter dazu stellen, dass von in Deutschland approbierten Medizinern ("Kassenärzten") offenbar nicht zutreffende Diagnosen zur Erschleichung von Leistungen der Krankenkassen und damit zu Lasten der Solidargemeinschaft erwartet werden.
Mit freundlichen Grüßen
Walter von den Driesch
Sehr geehrter Herr von den Driesch,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Gerne möchte ich grundsätzlich zu der Beschneidungsthematik Stellung nehmen.
Für das religiöse Selbstverständnis von Juden und Muslimen ist die Beschneidung von Jungen von grundlegender Bedeutung. Die Debatte, die seit dem Urteil des Kölner Landgerichtes in Deutschland geführt wird, führt dazu, dass sie sich ausgegrenzt fühlen und ganz generell um die soziale Akzeptanz ihres religiösen Lebens in Deutschland fürchten.
Die Beschneidung von Jungen ist als Eingriff in die körperliche Integrität irreversibel und natürlich keine Bagatelle. Mit der Verstümmelung der Genitalien von Mädchen und Frauen, die zweifellos strafbar ist und mit strengen Sanktionen geahndet werden muss, ist die teilweise oder ganze Entfernung der Vorhaut bei Jungen aber – in meinen Augen – nicht vergleichbar.
Vielmehr sind vor allem die Eltern zu der Entscheidung aufgefordert, ob eine Beschneidung dem Wohl ihres Sohnes dient. Denn es sind die Eltern, die – in den Grenzen unserer Rechtsordnung – den Inhalt des Kindeswohls festlegen. Sie dürfen sich bei Entscheidungen zur Gesundheit ihres Kindes auch von religiösen Motiven leiten lassen, solange die Behandlung bzw. der Eingriff nach allgemeinen Maßstäben medizinisch vertretbar ist. Das Recht von Eltern, ihre Kinder religiös zu erziehen, ist grundgesetzlich geschützt. Und die Beschneidung von Jungen ist, gerade auch mit Blick auf die Situation über Deutschland hinaus, medizinisch vertretbar, wenn sie fachgerecht und ohne unnötige Schmerzen für das Kind durchgeführt wird.
Die Frage nach der Zulässigkeit der Beschneidung muss deshalb geklärt werden. Eine Klarstellung durch das Bundesverfassungsgericht, welche die Gerichte bundesweit binden würde, ist in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Es ist daher Aufgabe des Gesetzgebers zu entscheiden, ob die religiös motivierte Beschneidung von Jungen trotz verständlicher Einwände mit dem Kindeswohl vereinbar ist.
Der Deutsche Bundestag hat deshalb am 19. Juli 2012 in einem fraktionsübergreifenden Beschluss die Bundesregierung mit breiter Mehrheit aufgefordert, bis zum Herbst einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die grundgesetzlich geschützten Rechtsgüter des Kindeswohls, der körperlichen Unversehrtheit, der Religionsfreiheit und des Rechts der Eltern auf Pflege und Erziehung miteinander in Einklang bringt. Der Gesetzentwurf soll für alle Beteiligten Rechtssicherheit schaffen und sicherstellen, dass eine medizinisch fachgerechte Beschneidung von Jungen grundsätzlich rechtlich zulässig ist.
Am 10. Oktober 2012 hat das Bundeskabinett einen entsprechenden Gesetzentwurf beschlossen. Das Gesetz soll in erster Lesung Anfang November in den Deutschen Bundestag eingebracht werden. Entsprechende Beratung in den zuständigen Ausschüssen werden dann folgen.
Jüdisches und muslimisches religiöses Leben muss weiterhin in Deutschland möglich sein. Jüdische und muslimische Eltern sollen nicht gezwungen sein, ihre Söhne bei unseren Nachbarn im europäischen Ausland oder in Hinterzimmern von Laien beschneiden zu lassen. Das wird am ehesten gelingen, indem wir die weltweit akzeptierte Beschneidung minderjähriger Jungen verfassungskonform regeln.
Für die Behauptung einer Phimose, obwohl eine derartige Diagnose nicht vorliegt, habe ich kein Verständnis. In einem solchen Fall müsste eine Zirkumzision als sogenannte IGeL-Leistung abgerechnet werden. Es mag sein, dass einzelne Ärzte sich davor scheuen, weil es ja eine nicht ganz unbeträchtliche Kritik gibt, die Abrechnung von IGeL-Leistungen liefe nahezu regelmäßig auf Abzocke hinaus. Dass die von Ihnen geschilderten Falldiagnosen im Alltag vorkommen, halte ich für möglich. Zu deren Häufigkeit liegen mir keine verlässlichen Angaben vor. Ob die Solidargemeinschaft im Einzelfall geschädigt wird, hängt davon ab, ob die Vergütung extra- oder intrabudgetär erfolgt. Bei einer Vergütung aus dem Budget werden nicht die Krankenkassen, sondern die ebenfalls aus der Gesamtvergütung honorierten Kolleginnen und Kollegen geschädigt.
Mit freundlichen Grüßen
Rudolf Henke MdB