Frage an Rolf Seidel von Jens K. bezüglich Familie
Sehr geehrter Herr Seidel,
ich habe bald zum ersten Mal die Gelegenheit wählen zu gehen. Ich halte dies für wichtig. Mit welchen Argumenten würden Sie mich überzeugen. Kurz zu mir ich bin 19 Jahre alt und habe das Gymnasium abgeschlossen. Welche Vorstellungen haben Sie zum Thema Bildung in Sachsen.
Mit freundlichen Grüßen
Jens Köhler
Sehr geehrter Herr Köhler,
vielen Dank für Ihre Anfrage zu meinen Vorstellungen zum Thema Bildung in Sachsen.
Die PISA - Ergebnisse zeigen regelmäßig und deutlich: Unser sächsisches Bildungssystem ist im nationalen und internationalen Vergleich spitze. Dennoch wird immer wieder der Ruf nach „längerem gemeinsamen Lernen“ laut. Die Antwort auf die zunehmende Heterogenität in unserer Gesellschaft kann jedoch nicht die Einheitsschule sein. Die Antwort ist unser zweigliedriges Schulsystem, welches mit seinen unterschiedlichsten Abschlüssen auf die unterschiedlichsten Leistungsfähigkeiten der Schüler individuell eingeht und gleichwohl Chancen für alle offen hält.
Der Ruf nach längerem gemeinsamen Lernen – und damit nach der Gemeinschaftsschule – ist zwar auf den ersten Blick populär, verkennt jedoch, dass sich das zweigliedrige sächsische Schulsystem hervorragend bewährt hat. Es ist ebenso anschlussfähig wie leistungsorientiert und deshalb chancengerecht. Über den Besuch von Mittelschule oder Gymnasium können alle berufs- und studienqualifizierenden Abschlüsse erworben werden.
Dass das längere gemeinsame Lernen zu besseren Ergebnissen führen würde, kann wissenschaftlich nicht belegt werden – im Gegenteil: Deutsche Länder mit Gesamtschulen haben bei Leistungsvergleichen stets schlechter abgeschnitten als Länder mit einem gegliederten und leistungsorientierten Schulsystem. Nicht diejenigen, die national und international erfolgreich sind, haben Anlass ihr Schulsystem umzustellen. Unser sächsischer Weg ist erfolgreich und mittlerweile ein attraktives Modell für Deutschland. Die Forderung nach 6 oder 8 Jahren gemeinsamen Lernens würde bedeuten, das Gymnasium in seiner jetzigen Form abzuschaffen. Das wird von den Protagonisten der Gemeinschaftsschulen stets verschwiegen. Und ebenso verschwiegen wird, dass es bei längerem gemeinsamen Lernen keine Chance gäbe, das Abitur ohne Abstriche im Leistungsanspruch nach 12 Schuljahren zu absolvieren. Der Verweis auf die Praxis zu DDR-Zeiten überzeugt nicht, denn damals erlangten nur 10 bis 15% der Schüler das Abitur über die EOS, während heute bis zu 50% eines Schülerjahrgangs auf das Gymnasium wechseln. Von den Befürwortern einer Umstellung – etwa auf 6-jährige Grundschulen - werden die vielen damit verbundenen Fragen, vom Schulnetz und der konkreten Nutzungsmöglichkeit der Schulgebäude bis hin zur Absicherung des Fachunterrichts und den Veränderungen in der Zusammensetzung der Kollegien, meist unterschätzt. Die aktuellen Erfahrungen in Hamburg bei der dort laufenden Umstellung auf 6-jährige Grundschulen sind jedenfalls desaströs. Viel zu wenig bekannt ist, dass Sachsen bisher die im Vergleich der deutschen Länder höchste Quote von Absolventen mit Realschulabschluss hervorbringt - nämlich gut 50 %. Der große Teil der Mittelschüler – gut 80 % - absolviert jährlich erfolgreich den Realschulbildungsgang. Und rund 25 % der Realschulabsolventen entscheiden sich für eine Fortführung ihrer schulischen Laufbahn an einer Fachoberschule oder einem Beruflichen Gymnasium mit dem Ziel eines studienqualifizierenden Abschlusses. Dies zeigt: Die Forderung nach der Gemeinschaftsschule verkennt die Chancen, die mit der sächsischen Mittelschule gegeben sind – insbesondere den maßgeschneiderten Anschluss zur allgemeinen Hochschulreife in drei weiteren Schuljahren über das Berufliche Gymnasium.
Wer die Gemeinschaftsschule fordert, spielt mit den Ängsten von Eltern, die verständlicherweise für ihr Kind den bestmöglichen Abschluss anstreben. Verantwortungsbewusst ist es aber nicht, Ängste bewusst einzusetzen. Verantwortungsbewusst ist es, die Unterschiedlichkeit von Kindern und Jugendlichen zu akzeptieren und ihnen individuell passfähige Wege – bis hin zum Abitur – auch jenseits des allgemeinbildenden Gymnasiums aufzuzeigen. Was Sachsen und unsere Schülerinnen und Schüler nicht brauchen, sind Änderungen unserer Schulstruktur. Sie würde Kräfte binden und vom Wesentlichen – der weiteren qualitativen Unterrichtsentwicklung – ablenken. In diesem Sinne hat sich auch Prof. Dr, Manfred Prenzel, Sprecher des PISA-Konsortiums Deutschland, geäußert. Sachsens Erfolg bei PISA ist der guten Arbeit unserer Lehrerinnen und Lehrer, der Leistungsorientierung und der Kontinuität in den schulischen Rahmenbedingungen geschuldet. Dies zu gefährden, wäre verantwortungslos.
Dennoch bin ich der Auffassung, dass wir nicht nachlassen dürfen, die Lehr- und Lernbedingungen für unsere Schüler und Lehrer immer weiter zu verbessern. In diesem Sinne setze ich mich seit Jahren, gemeinsam mit den Verantwortlichen vor Ort, für die Umsetzung entsprechender Sanierungs- oder Neubauprojekte durch die Unterstützung des Freistaates Sachsen ein – ganz konkret: zuletzt in diesem Jahr in Schkeuditz für den Neubau der Grundschule Wehlitz. Darüber hinaus müssen die Lehrpläne an die Anforderungen für die Jugendlichen im künftigen Berufsleben angepasst werden. Natürlich dürfen wir auch die lernschwachen Schüler nicht aus dem Blick verlieren.
Mit freundlichen Grüßen
Rolf Seidel MdL