Frage an Rolf Schwanitz von Siegfried D. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Schwanitz,
wann endlich werden die Renten in Ost und West gleich berechnet. Ich finde das 18 Jahre nach der friedlichen Wiedervereinigung endlich mit der Ungleichbehandlung Schluss gemacht werden soll. Die Preise steigen die Kaufkraft schwindet, ist das so gewollt?
Mit freundlichen Grüßen
Siegfried Dreise
Sehr geehrter Herr Dreise,
ich möchte auf Ihre Frage etwas ausführlicher antworten: Wie Sie sicherlich wissen, musste der Gesetzgeber mit der Wiedervereinigung die sehr verschiedenen Rentenversicherungssysteme beider Teile Deutschlands zusammenführen. Er entschied sich dafür, das undynamische, minimalistische Staatsrentensystem der DDR aufzuheben und die Prinzipien des Rentenversicherungssystems der alten Länder - Dynamisierung sowie Lohn- und Beitragsbezogenheit - auf die neuen Länder zu übertragen. Dabei war das unterschiedliche Einkommensniveau zwischen beiden Landesteilen zu berücksichtigen. Deshalb haben viele Menschen im Osten Deutschlands das Gefühl, bei der Rente benachteiligt zu sein. Entsprechend häufig werde ich deshalb mit Forderungen nach einer Abschaffung der bestehenden Unterschiede im Rentenrecht konfrontiert. Dabei werden jedoch einige grundlegende Funktionsprinzipien der gesetzlichen Rentenversicherung übersehen.
Zunächst will ich als Vorbemerkung nicht verschweigen, dass die politische Grundsatzentscheidung zur Übertragung des westdeutschen Rentenrechts auf die ehemalige DDR aus meiner Sicht ein nicht zu unterschätzendes Privileg gegenüber den Ostdeutschen im Prozess der deutschen Einheit war. Solche Entscheidungen werden leider allzu oft recht schnell vergessen: Die gesetzliche Rente funktioniert im Allgemeinen nach dem sogenannten Generationenvertrag. Das heißt, dass die jeweilige Beitragszahlergeneration die Renten der jeweiligen Rentnergeneration finanziert und dadurch gleichzeitig den Anspruch auf den Erhalt der eigenen Altersrenten erwirbt. Fakt ist, dass die jetzige Rentnergeneration in den neuen Ländern, ohne dass sie wegen der deutschen Teilung etwas dafür konnte und ihr deshalb daraus ein Vorwurf gemacht werden könnte, an der solidarischen Finanzierung der früheren (westdeutschen) Rentnergeneration nicht beteiligt war. Sie ist in den Generationenvertrag des "fremden" Rentenrechts aufgenommen worden, ohne dass ihre eigenen früheren Einkommen mit Beiträgen zu dessen Finanzierung real beigetragen haben. Aus diesem Grund ist die oben erwähnte, richtige Grundsatzentscheidung ein großer politischer und sozialer Erfolg für die Ostdeutschen bei den Verhandlungen zur deutschen Einheit. Daran hatten - das will ich nicht verschweigen - auch Sozialdemokraten, ich denke zum Beispiel an Regine Hildebrandt, maßgeblichen Anteil.
Quelle des Ungerechtigkeitsgefühls der Ostdeutschen bleibt dennoch der unterschiedliche Bewertungsbetrag der auszuzahlenden Renten in Ost und West. Richtig ist, dass jährlich getrennte Rentenwerte für Ost- und Westdeutschland ermittelt werden. Grundlage dafür ist das unterschiedlich hohe Lohn- und Gehaltsniveau zwischen den alten und neuen Ländern. Deshalb ist der aktuelle Rentenwert-Ost immer noch niedriger als der aktuelle Rentenwert-West. Dies folgt durchaus dem Grundgedanken des Generationenvertrages, denn der Auszahlungsanspruch entspricht der aktuellen (ostdeutschen) Lohn- und Beitragslage. Dies ist allerdings nur die eine Seite der Medaille.
Auf der anderen Seite wurden und werden durch das besondere Rentenrecht Ost die Verdienste der heutigen ostdeutschen Beitragszahlergeneration beim Erwerb von Rentenansprüchen höher bewertet als im Westen. Sie soll bei ihren eigenen Rentenanwartschaften künftig aus den niedrigeren Löhnen Ost keinen Nachteil haben. Auch dies ist ein klares Privileg. So erwirbt ein ostdeutscher Betragszahler heute bei gleichem Lohn eine höhere Rentenanwartschaft als sein westdeutscher Kollege. Der infolge der niedrigeren Löhne geringere Rentenwert Ost hat also durchaus ein positives Äquivalent in der rentenrechtlichen Schutzregelung gegenüber der heutigen ostdeutschen Beitragszahlergeneration. Es ist politisch für mich nicht vorstellbar, dass bei einem Entfallen des besonderen Rentenrechts Ost die als Nachteil empfundene Regelung (Rentenwert Ost) verschwinden, das Privileg (Aufwertung der Anwartschaften) jedoch bewahrt werden könnte. (Jedenfalls nicht, wenn man mit den Bürgern über realistische Politik im wiedervereinigten Deutschland redet.) Bezieht man bei diesen Überlegungen noch die höheren Belastungen der heutigen und künftigen Beitragszahlergeneration aus der demographischen Entwicklung der nächsten Jahrzehnte mit ein, wird die soziale Bedeutung der Aufwertung der Anwartschaften durch das Rentenrecht Ost umso klarer. Aus diesen Gründen ist für mich ein Entfallen des besonderen Rentenrechts Ost nur im Zusammenhang mit der Anhebung der ostdeutschen Löhne vorstellbar. Auch deshalb setzt sich die SPD ein für die Einführung gesamtdeutscher Mindestlöhne.
Mit freundlichen Grüßen
Rolf Schwanitz