Frage an Rolf Schwanitz von Uwe N. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
sehr geehrter herr schwanitz,
mit erstaunen mußte ich zur kenntnis nehmen, daß die abgeordneten des deutschen bundestages nach der 10%-en erhöhung vom november nun eine weitere erhöhung um 6,4 % anstehen soll.
sind sie der auffassung, daß angesichts der bescheidenen erhöhung der renten um 0,54 % dieser "unverschämte" griff in die taschen der steuerzahler gerechtfertigt ist und wenn ja, unter welcher begründung?
sind sie der auffassung, daß angesichts der gleichbeibenden höhe des alg II bei steigerung der lebenshaltungskosten um mehr als 10% (lebensmittel) dieser "unverschämte" griff in die taschen der steuerzahler gerechtfertigt ist und wenn ja, unter welcher begründung?
sind sie der auffassung, daß bei den vielen nebentätigkeiten der abgeordneten, die mehr oder weniger ihrer grundgesetzmäßigen verpflichtung zur abgeordnetentätigkeit nicht nachkommen und mehr zeit für diese "nebentätigkleiten" verwenden als für ihre abgeordnetentätigkeit dieser "unverschämte" griff in die taschen der steuerzahler gerechtfertigt ist und wenn ja, unter welcher begründung?
sind sie der auffassung, daß angesichts der verabschiedung der abgeordneten aus dem solidarpakt der gesellschaft (beiträge zum steueraufkommen, zur kranken-, pflege-, rentenversicherung u.a.) dieser "unverschämte" griff in die taschen der steuerzahler gerechtfertigt ist und wenn ja, unter welcher begründung?
sind sie der auffassung, daß diese einbeziehung der einkommenserhöhung für beamte des öffentlichen dienstes - die sich ebenfalls nicht am solidarpakt der gesellschaft beteiligen - gerechtfertigt ist und dieser "unverschämte" griff in die taschen der steuerzahler damit begründet werden kann und wenn ja, wieso? abgeordnete sind keine beamte des öffentlichen dienstes.
könnten sie sich mit dem gedanken anfreuen, daß der "souverän" im wahlverfahren die höhe der abgeordnetenbezüge für die kommende wahlperiode festlegt, und wenn nein, warum nicht?
den antworten entgegensehend verbleibe ich mit freundlichen grüßen
u.n.
Sehr geehrter Herr Neumann,
ich habe vor einer Woche den Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Peter Struck, schriftlich darüber informiert, dass ich dem vorliegenden Gesetzentwurf über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen im Bund 2008/2009 in dieser Form nicht zustimmen werde. Meine Ablehnung resultiert aus der Überzeugung, dass eine nochmalige Erhöhung der Abgeordnetenentschädigungen für die gleichen Zeiträume wie schon bei der letzten Erhöhungsentscheidung im November 2007 nicht vertretbar ist. Da sich offenbar noch zahlreiche andere Abgeordnete meiner Fraktion entschieden haben, gegen den Gesetzentwurf zu votieren, wird es zunächst keine Erhöhung der Abgeordnetenentschädigung geben.
Die Behauptung, dass sich die Abgeordneten aus dem Solidarpakt der Gesellschaft zurückgezogen haben, möchte ich ausdrücklich zurückweisen. Abgeordnete zahlen Steuern wie alle anderen Bürger auch (und im Unterschied zu diesen müssen sie schon jetzt ihre Altersbezüge voll versteuern). Hinsichtlich der gesetzlichen Kranken- bzw. Pflegeversicherung haben Abgeordnete (genauso wie andere Bürger, die mit ihrem Einkommen über der Versicherungspflichtgrenze liegen) die Wahl zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung. Trotzdem ist ein großer Teil der Abgeordneten - auch ich persönlich - Mitglied einer gesetzlichen Krankenversicherung. Und bei der gesetzlichen Rentenversicherung orientieren sich die Leistungen bekanntlich vorrangig am Äquivalenzprinzip und nicht am Solidarprinzip.
Die Bundestagsabgeordneten sind vom Bundesverfassungsgericht 1975 verpflichtet worden, die Höhe ihrer Abgeordnetenentschädigung "im Lichte der Öffentlichkeit" selbst per Gesetz zu bestimmen. Insofern halte ich eine Festlegung der Höhe der Abgeordnetenbezüge im Wahlverfahren für verfassungsrechtlich nicht zulässig.
Mit freundlichen Grüßen
Rolf Schwanitz