Portrait von Rolf Mützenich
Rolf Mützenich
SPD
97 %
505 / 521 Fragen beantwortet
Frage von Julia H. •

Wie wollen Sie den Krieg Russlands gegen die Ukraine ohne Bodentruppen einfrieren?

Sehr geehrter Herr Mützenich,

bitte erklären Sie, wie man praktisch Bodentruppen vehement ausschließen möchte und gleichzeitig einen heißen Krieg mit Schützengräben im Stil des 1. Weltkriegs, wie er in der Ukraine wütet, glaubt, einfrieren zu können. Sie selbst weisen doch auf "Vorbilder" wie Zypern, Korea oder Taiwan hin.

Ihr Kanzler mahnt beständig, dass Russland eine Atommacht ist, die dort auf der angreifenden Seite mit nordkoreanischer Unterstützung und chinesischem Equipment in den Schützengräben liegt. Soll Russland mit schönen Worten im Bundestag an einer Kriegsfortsetzung gehindert werden?

Das kann man doch nicht so nonchalant wegwischen, wenn Sie es selbst mehrmals gefordert haben und mit der neuen Administration in D.C. übereinstimmen? Zur Erinnerung, Kfor hatte anfänglich wie ISAF als höchsten Anteil gerade einmal 5000 Soldaten. Ist es nicht höchste Zeit, sich in dieser Frage endlich ehrlich zu machen?

Mit freundlichen Grüßen

Julia H.

Portrait von Rolf Mützenich
Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau H., 

der russische Überfall auf die Ukraine mit dem Ziel, den ukrainischen Staat zu zerstören und Land zu rauben, markiert einen tiefen Einschnitt in die europäische und internationale Ordnung. Seit über 1000 Tagen bombardiert und terrorisiert der russische Präsident die Ukraine und ihre Bevölkerung. Die Bilder, die uns seit fast drei Jahren erreichen, sind erschütternd und entsetzen uns alle. Es sind Bilder von Tod, Elend und Zerstörung. Es sind Bilder, die wir in Europa nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der jugoslawischen Erbfolgekriege für unmöglich hielten.

Der russische Überfall auf die Ukraine ist nicht nur eine politische, sondern auch eine Erschütterung für diejenigen, die sich stets für eine gemeinsame europäische Sicherheitsordnung unter Einschluss Russlands eingesetzt haben. Dieser Krieg wirft diese Bemühungen um Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte, zurück. Es darf kein Zweifel bestehen: Der russische Überfall auf die Ukraine ist durch absolut nichts zu rechtfertigen. Die Verantwortung für diesen Krieg trägt allein Russland. Mit der Invasion auf die Ukraine hat Russland das Völkerrecht und zahlreiche internationale Verträge und Vereinbarungen gebrochen. Russlands Aggression ist nicht nur ein Angriff auf die Ukraine, sondern auch auf die internationale und regelbasierte Ordnung als Ganzes. 

Deshalb war es richtig, dass Bundeskanzler Olaf Scholz am 27. Februar 2022 den Krieg als eine „Zeitenwende“ bezeichnet hat. Seit Kriegsbeginn hat die Bundesregierung entschlossen und umsichtig gehandelt, um unsere eigene Sicherheit und das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine zu stärken. Deutschland ist heute mit über 37 Milliarden Euro der bei weitem größte Unterstützer der Ukraine in Europa und weltweit der zweitgrößte nach den USA.

Gleichzeitig haben wir das Sondervermögen für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro beschlossen und im Grundgesetz verankert, wir werden eine dauerhafte Brigade in Litauen stationieren und die Verteidigungsfähigkeit der NATO stärken. Vieles davon wäre vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen und zeigt, dass Deutschland seiner Verantwortung als verlässlicher Bündnispartner in der EU und NATO gerecht wird. Das verdeutlicht auch nochmal der Besuch des Bundeskanzlers in Kiew Anfang Dezember. Dabei kündigte er an, dass Deutschland noch im Dezember Rüstungsgüter im Wert von 650 Millionen Euro an die Ukraine liefern wird. Der Besuch von Olaf Scholz war nicht nur ein wichtiges Zeichen der Solidarität nach der Wahl von Donald Trump, sondern zeigt auch nochmal unmissverständlich: Wir stehen fest und entschlossen an der Seite der Ukraine. 

Nach drei Jahren des Krieges müssen wir jedoch anerkennen, dass der Krieg vermutlich nicht allein auf dem Schlachtfeld entschieden wird. In den vergangenen Monaten konnten weder Russland noch die Ukraine bedeutende territoriale Fortschritte erzielen. Gleichzeitig zeigen die Berichte über den Einsatz nordkoreanischer Soldaten, dass der Krieg sich immer weiter auszuweiten droht. 

Die Folgen einer solchen Eskalation wären verheerend – nicht nur für die Ukraine und Europa, sondern die gesamte Welt. Deshalb müssen wir weiter unsere diplomatischen Bemühungen intensivieren, um eine weitere Eskalation des Krieges zu verhindern – und zwar unabhängig davon, wie „realistisch“ diese derzeit scheinen mögen. Das ist keine Frage eines kompromisslosen „Entweder-Oder“. Wir müssen beides tun: Die Ukraine weiterhin unterstützen und gleichzeitig immer wieder nach Wegen suchen, um diesen Krieg zu beenden. Dass solche diplomatischen Bemühungen nicht vergebens sind, zeigen die zahlreichen Gefangenaustausche, die Anstrengungen des UN-Generalsekretärs Guterres zur Sicherung des Atomkraftwerks Saporischschja wie auch die Reise von Bundeskanzler Olaf Scholz nach Peking im November 2022. Dort gelang es, gemeinsam mit China das nukleare Tabu zu stärken. 

Darüber hinaus ist es besonders wichtig, jene Länder zu bestärken, die auf Russland einwirken können. Länder wie Indien, Brasilien und die Türkei können eine Schlüsselrolle spielen, um Druck auf Moskau auszuüben und mögliche Verhandlungskanäle zu eröffnen. Auch die Friedenskonferenzen in Dänemark, Saudi-Arabien, Malta und in der Schweiz waren ein wichtiger Schritt in Richtung eines gerechten und nachhaltigen Friedens.

Ich bin deshalb auch Bundeskanzler Olaf Scholz dankbar, dass er am 15. November nochmal mit dem russischen Präsidenten Putin telefoniert hat. Dabei geht es keineswegs um Scheinverhandlungen oder Reden um des Redens willen. Solche Gespräche sind entscheidend, um die Positionen und roten Linien auszutauschen und wenigstens ein Stück strategische Stabilität in diesen gefährlichen Zeiten zu wahren. Wir machen uns dabei auch keine Illusionen. Es ist offensichtlich, dass Putin derzeit nicht zu ernsthaften Verhandlungen bereit ist. Dennoch ist und bleibt es wichtig, diese Gespräche zu führen, um das entsetzliche Sterben und Morden zu beenden. Trotzdem ist es mir nochmal wichtig zu betonen: Diplomatie bedeutet nicht, dass wir einen Diktatfrieden akzeptieren – weder von Putin noch von Trump.

Die Frage einer internationalen Friedenstruppe unter dem Dach der Vereinten Nationen und einer möglichen Beteiligung Deutschlands daran stellt sich frühestens dann, wenn es zu einem Abkommen zwischen Russland und der Ukraine kommt. Bereits vorher in der Öffentlichkeit über hypothetische Fragen zu spekulieren, nützt niemandem.

Mit freundlichen Grüßen

Rolf Mützenich

Was möchten Sie wissen von:
Portrait von Rolf Mützenich
Rolf Mützenich
SPD