Wer hat die Stationierung der Raketen in Deutschland gefordert. Warum gibt es keine Debatte darüber?
Guten Tag Genosse,
Ich habe die Unruhen der Stationierung der Pershing 1983 noch gut in Erinnerung. Jetzt fängt dieser Mist wieder von vorne an das kann doch nicht sein.
Sehr geehrter Herr S.,
Die massive russische Aufrüstung, gerade auch im Bereich von bis weit nach Westeuropa reichenden Raketen und Marschflugkörper sowohl konventioneller als auch nuklearer Art, ist eine traurige Realität. Diese Aufrüstung ist schon lange zu beobachten, wurde von Russland unter Verletzung der Verpflichtungen aus dem INF-Vertrag vorangetrieben und hat diesen damit obsolet gemacht. In den letzten Jahren hat sie sich nochmal beträchtlich beschleunigt. Diese Aufrüstung hat die Bundesregierung mehrfach auch öffentlich thematisiert und Russland zu einer Umkehr von diesen eskalatorischen Maßnahmen aufgefordert.
Wir beobachten, dass Art und Umfang der massiven russischen Aufrüstung auch zur Aufstellung und Stärkung von gegen den Westen gerichteten Fähigkeiten und Kapazitäten genutzt werden und nicht ausschließlich in den Angriffskrieg gegen die Ukraine geworfen werden. Mit diesen Waffen kann Russland uns bedrohen und unter Druck setzen. Dieses russische Kalkül ist umso wirksamer, je geringer unsere eigene Verteidigungsfähigkeit ist.
Putin hat erklärt, dass seine Ambitionen über die Ukraine hinaus reichen, er beispielsweise die frei getroffene Bündniswahl der Staaten Mittel- und Osteuropas rückgängig machen will und ein Recht auf eine russische Einflusszone in Europa beansprucht. Damit spricht er unseren Partnern in Mittel-/Osteuropa ihre Entscheidungsfreiheit über die Wahl ihrer Bündnisse und ihre Souveränität ab und droht ihnen ganz unmittelbar.
Vor dem Hintergrund dieser Bedrohungslage hat die Bundesregierung 2023 in der Nationalen Sicherheitsstrategie angekündigt, die Luftverteidigung in Europa grundlegend zu verstärken und abstandsfähige Präzisionswaffen zu entwickeln und einzuführen. Diese Ziele wurden von unserem Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2024 bekräftigt. Der grundlegenden Verstärkung der Luftverteidigung in Europa dient auch die vom Bundeskanzler im August 2022 lancierte European Sky Shield Initiative.
Die nun auf dem NATO-Gipfel angekündigte, zunächst phasenweise Stationierung weitreichender konventioneller US-Waffensysteme in Deutschland dient dem von der Bundesregierung gesetzten Ziel der Stärkung der Abschreckung und Verteidigung in Reaktion auf die von Russland ausgehende Bedrohung. Sie ist ein sinnvoller Beitrag zum Schutz des Bündnisgebietes und mit Blick auf den mit diesen Schritten verbundenen Ressourcenaufwand für die USA keinesfalls selbstverständlich. Sie ist umso wichtiger, wenn man berücksichtigt, dass wir für Erwerb, Entwicklung und Einführung unserer eigenen Systeme Zeit benötigen. Klar ist: Wir müssen unsere Verteidigungsfähigkeit angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine verbessern, aber wir dürfen die Risiken dieser Stationierung ebenfalls nicht ausblenden. Die Raketen haben eine sehr kurze Vorwarnzeit und eröffnen neue technologische Fähigkeiten. Die Gefahr einer unbeabsichtigten militärischen Eskalation ist beträchtlich.
Deshalb bleibt bei all dem die Bundesregierung in ihrer Sicherheits- und Verteidigungspolitik dem Erhalt und der Weiterentwicklung der globalen Rüstungskontrollarchitektur sowie der Reduzierung von Risiken und der Prävention von Eskalation verpflichtet. Die Bundesregierung hat, zusammen mit den europäischen und amerikanischen Verbündeten, Russland in den vergangenen Jahren mehrfach aufgefordert, keine Mittelstreckensysteme zu entwickeln und zu stationieren und ihre Gesprächsbereitschaft signalisiert. Seitdem hat Russland weitere bodengestützte Mittelstreckensysteme entwickelt und nutzt einige davon in der Ukraine. Russland ist bis heute nicht bereit, diese Systeme abzurüsten und bedroht Europa durch Waffen dieser Art.
Effektive und verifizierbare Rüstungskontrolle, Nichtverbreitung und Abrüstung tragen komplementär zu Abschreckung und Verteidigung zur Sicherheit Deutschlands und seiner Verbündeten bei. Die NATO bekennt sich zudem weiterhin dazu, Kommunikationskanäle mit Moskau aufrechtzuerhalten, um Risiken einzudämmen und Eskalation vorzubeugen, so zuletzt auch in der Erklärung des NATO-Gipfels in Washington, D.C. dargelegt.
Mit freundlichen Grüßen
Rolf Mützenich