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Rolf Mützenich
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Frage von Michael P. •

Warum werden vom EU-Beitrittskandidaten UKRAINE (vor weiteren MILLIARDEN-Euro-Transfers) keine zeitnahen demokratischen Neuwahlen gefordert, um den rechtsstaatlichen Willen der UKRAINER zu ergründen ?

Darf das geltende Kriegsrecht in der UKRAINE dazu führen, dass (der seit dem II. Quartal 2024 demokratisch NICHT mehr durch rechtsstaatliche & freie Wahlen legitimierte) Präsident Selenskyj auf unbestimmte Zeit - ohne Wahlen - im Amt bleibt und der deutschen Unterstützung gar bis zum "St.-Nimmerleins-Tag" genau deshalb uneingeschränkt sicher sein kann ?

Könnte (ihrer Meinung nach) nicht zumindest in den unbesetzten Gebieten der UKRAINE frei und demokratisch gewählt werden, um den Willen der ukrainischen Bevölkerung zu ergründen ?

Wurde in Deutschland nicht innerhalb von wenigen Monaten eine demokratische und rechtsstaatliche Neuwahl organisiert ?

Garantieren Sie mir (als dt. Wähler) dafür, Herr MdB Mützenich, dass Präsident Selenskyj auf derzeit absolut unbestimmbare Zeit ein "lupenreiner" Demokrat bleibt - der insbes. auch mit der Sprengung unserer wichtigen Gasleitung aus RUS nichts zu schaffen hatte und den TAURUS "vernünftig" nutzen wird ?

Hochachtungsvoll
Michael P.

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr P., 

die reguläre Amtszeit von Präsident Selenskyjs wäre eigentlich am 20. Mai 2024 ausgelaufen - laut Verfassung genau fünf Jahre nachdem sie begonnen hat. Danach hätten am letzten Sonntag im März 2024 die nächsten Wahlen stattfinden müssen. Solange der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine andauert, ist Volodymyr Selenskyj gleichwohl weiterhin rechtmäßiger Präsident, Das liegt daran, dass das ukrainische Parlament, die Werchowna Rada, nach der russischen Invasion aufgrund des Kriegszustands das Kriegsrecht beschlossen hat. Es stimmt seitdem auch regelmäßig ab, ob das Kriegsrecht verlängert wird, da die Angriffe aus Russland weiter andauern.

Das ukrainische Kriegsrecht wurde - anders als von prorussischen Accounts behauptet - nicht von Selenskyj beschlossen, sondern gilt in der heutigen Form seit 2015, wurde also in der Amtszeit seines Vorgängers Petro Poroschenko beschlossen, als Reaktion auf die russische Annexion der Krim. Während das Kriegsrecht herrscht, können Befugnisse nicht beendet werden. Dass die Amtszeiten weitergehen, solange der Krieg dauert, bedeutet daher, dass keine Wahlen stattfinden können. Damit wird die Funktions- und Handlungsfähigkeit des Staates unter den Umständen des äußeren Notstands bewahrt. Das ukrainische Parlament hat deshalb bislang auch keine Wahl angesetzt. Eine demokratische Wahl kann nur in einem friedlichen Zustand stattfinden. Die rechtlichen Grundsätze von demokratischen Wahlen, wie sie die ukrainische Verfassung und auch internationale Standards fordern, können im Krieg nicht eingehalten werden. Dazu zählt, dass Wahlen gleich, frei, allgemein und geheim sind und es möglich ist, sich über die verschiedenen Positionen in Medien und der Öffentlichkeit zu informieren sowie dass unabhängige Wahlbeobachter ins Land reisen können und ein friedlicher Ablauf eines Wahlvorgangs gesichert wird.

Wenn Bürgerinnen und Bürger nicht wählen oder sich nicht wählen lassen können, würde das die Legitimität der Wahlergebnisse untergraben. So ist es problematisch, dass ein Großteil der Männer an der Front ist. Der Vorgang der geheimen Wahl mit Wahlkabinen und Wahlbeobachtern kann dort nicht ungehindert stattfinden und bei einem Angriff müsste die Wahl abgebrochen werden. Sie können sich auch nicht selbst zur Wahl stellen und Wahlkampf betreiben, während sie an der Front sind. Und auch für die Zivilbevölkerung besteht das Risiko, dass man aufgrund von Luftangriffen oder Beschuss nicht ins Wahllokal kann. Deshalb ist es ein international anerkannter Grundsatz, dass in einem Verteidigungsfall keine demokratischen Wahlen stattfinden können, zumindest nicht in einem Angriffskrieg derartigen Ausmaßes.

In Deutschland gibt es wie in vielen westlichen Staaten eine sehr ähnliche Regelung wie in der Ukraine. Während des Verteidigungsfalls, den Bundestag und Bundesrat beschließen müssten, ist die Auflösung des Bundestags ausgeschlossen. Wahlperioden enden erst sechs Monate nach Ende des Verteidigungsfalls. So ist es im Grundgesetz festgelegt. Die Amtszeit des Bundespräsidenten würde erst neun Monate nach Ende des Verteidigungsfalls enden. Auch internationale Standards fordern im Kriegsfall keine Wahlen. In der Europäischen Menschenrechtskonvention ist sowohl das Recht auf freie Wahlen enthalten als auch die Möglichkeit, im Krieg von den Verpflichtungen abzuweichen.

Mit freundlichen Grüßen

Rolf Mützenich

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