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Rolf Mützenich
SPD
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Frage von Andreas B. •

Frage an Rolf Mützenich von Andreas B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Dr. Mützenich,
da Sie dem Unterausschuss Abrüstung und Rüstungskontrolle angehören, möchte ich Ihnen einige Fragen zum EU-Vertrag von Lissabon stellen.
Im Artikel 28a dieses Vetragswerks geht es um die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Im Absatz 3 heißt es da "Die Mitgliedsstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern. Die [...] Europäische Verteidigungsagentur ermittelt den operativen Bedarf [...], trägt zur Ermittlung von Maßnahmen zur Stärkung der industriellen und technologischen Basis des Verteidigungssektors bei und [...] beteiligt sich an der Festlegung einer europäischen Politik im Bereich der Fähigkeiten und der Rüstung und unterstützt den Rat bei der Beurteilung der Verbesserung der militärischen Fähigkeiten."

Das hört sich nach allem möglichen an, aber nicht nach Abrüstung in der EU, oder? Dies bestätigt sich leider auch in Art. 28d, der weitere Details zur Europ. Verteidigungsagentur regelt. Demnach soll sie nach Abs. 1 a) prüfen, ob die Mitgliedsstaaten die Aufrüstungsvorgaben auch erfüllen, nach d) die Waffentechnologie und -forschung unterstützen und e) die industrielle und technologische Basis des Verteidigungssektors stärken.

Welche Personen sollen denn eignetlich die Verteidigungsagentur besetzen? Warum wird diese nicht vom Europ. Parlament überwacht? Wie ist gesichert, dass hier nicht Entscheidungen getroffen werden wie "Die EU braucht 20 neue Atom-U-Boote und jeder Mitgliedsstaat (auch die Bundesrepublik) beteiligt sich an den Kosten!"? Kann diese Agentur die Höhe und Zweckbindung des deutschen Verteidigungshaushalts beeinflussen? Was passiert, wenn sich ein Land diesen Vorgaben verweigert?

Ich hoffe, dass Sie Ihre Ausschuss-Tätigkeit aus friedfertiger Leidenschaft ausüben und Ihnen diese Passagen ein ebensolcher Graus sind wie mir! Werden Sie diesem Vetrag dennoch zustimmen?

Warum gibt es kein europaweites Referendum?

Für Ihre Stellungnahme vielen Dank!

Mit freundlichen Grüßen

A. Beck

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Beck,

vielen Dank für Ihre Frage bezüglich einer zu befürchtenden Militarisierung der EU mit dem Vertrag von Lissabon.

Die EU wird auch mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon eine Zivilmacht bleiben. Ich möchte insbesondere auf den neuen Artikel 21 Abs. 1 EUV hinweisen:

„Die Union lässt sich bei ihrem Handeln auf internationaler Ebene von den Grundsätzen leiten, die für ihre eigene Entstehung, Entwicklung und Erweiterung maßgebend waren und denen sie auch weltweit zu stärkerer Geltung verhelfen will: Demokratie, Rechtstaatlichkeit, die universelle Gültigkeit und Unteilbarkeit der Menschenrechte und Grundfreiheiten, die Achtung der Menschenwürde, der Grundsatz der Gleichheit und der Grundsatz der Solidarität sowie die Achtung der Grundsätze der Vereinten Nationen und des Völkerrechts.“

Erfreulich ist auch, dass die Petersberg-Aufgaben (vgl. Art. 43 Abs. 1 EUV) erweitert wurden, die festlegen zu welchen Zwecken eine gemeinsame Außen- Sicherheits- und Verteidigungspolitik dienen sollen. Die jetzt aufgenommenen Aufgaben umfassen nun:

– Gemeinsame Abrüstungsmaßnahmen,

– militärische Beratung und Unterstützung von Drittstaaten,

– Maßnahmen der Konfliktverhütung und

– Maßnahmen der Konfliktnachsorge.

Die Petersberg-Aufgaben verdeutlichen das Ziel der EU, Konflikten aktiv und mit nicht-militärischen Mitteln vorzubeugen. Die seit 1999 entwickelten operativen Fähigkeiten der EU zum Krisenmanagement werden im Vertrag von Lissabon hervorgehoben und die zivilen Fähigkeiten betont. Die Mehrzahl der EU-Operationen der vergangenen Jahre war (und ist) dementsprechend ziviler Natur (z.B. EUPOL Afghanistan, EUPOL RD Congo, EULEX Kosovo, EU BAM Rafah).

Der Europäische Rat wird die strategischen Ziele und Interessen der EU auf der Grundlage der in Artikel 21 EUV aufgeführten Grundsätze und Ziele festlegen (vgl. Artikel 22 EUV). Diese Ziele sind u.a. (vgl. Art. 21 EUV):

a) die Werte, grundlegenden Interessen, Sicherheit, Unabhängigkeit und Unversehrtheit der EU zu wahren;

b) Demokratie, Rechtstaatlichkeit, die Menschenrechte und die Grundsätze des Völkerrechts zu festigen und zu fördern;

c) nach Maßgabe der Ziele und Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen sowie der Prinzipien der Schlussakte von Helsinki und der Ziele der Charta von Paris, einschließlich derjenigen, die die Außengrenzen betreffen, den Frieden zu erhalten, Konflikte zu verhüten und die internationale Sicherheit zu stärken.

Die EU wird – wie in der Vergangenheit – ihre Werte und Interessen international fördern. Das ist legitim und im Interesse der Bürgerinnen und Bürger der EU. Diese Interessenvertretung bedeutet nicht, dass die EU ihre Werte und Interessen mit militärischen Mitteln „missionarisch“ durchsetzen wird. Sie wird aber auch keine Drittstaaten fördern, die die im Vertrag festgelegten Werte und Interessen der EU verletzen.

„Weltweite Kampfeinsätze“ wird es vor dem Hintergrund dieser im Vertrag von Lissabon festgeschrieben Werte, Ziele und Interessen auch zukünftig nicht geben.

Die Bedenken, dass die EU durch den Vertrag von Lissabon militarisiert würde, sind somit unbegründet.

Die Europäische Verteidigungsagentur (EVA) wurde eingerichtet, um die Rüstungsmaßnahmen der EU-Staaten zu koordinieren und effizienter zu gestalten (Art. 42 Abs. 3 i.V.m. Art. 45 EUV). Derzeit besteht ein eklatantes Ungleichgewicht zwischen den summierten Rüstungsausgaben der EU-Staaten und den vorhandenen militärischen Fähigkeiten. Angesichts zunehmender Anfragen der Vereinten Nationen an die EU-Staaten, zivile und militärische Fähigkeiten zur Krisenprävention, Krisenbewältigung oder Krisennachsorge zur Verfügung zu stellen, müssen die Mitgliedstaaten ihre Kapazitäten verbessern. Das wäre bei einer angemessenen europäischen Arbeitsteilung auch möglich und sinnvoll. Diese Zusammenarbeit soll die EVA fördern. Im Ergebnis soll dadurch eine quantitative Abrüstung bei gleichzeitig qualitativ verbesserten militärischen Fähigkeiten erreicht werden.

Eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Aufrüstung enthält der Vertrag von Lissabon dagegen nicht. Die Sofortfinanzierung ziviler GSVP-Maßnahmen (Vorbereitung von Missionen) wird durch den Rückgriff auf EU-Haushaltsmittel verbessert (Art. 41 Abs. 3 EUV). Zudem wird mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon ein Anschubsfonds (vgl. ebenfalls Art. 41 Abs. 3 EUV) aus Beiträgen der Mitgliedstaaten eingerichtet, um militärische Operationen zu finanzieren. Der Fonds ist notwendig, denn die vergangenen EU-Einsätze haben gezeigt, dass die Frage, wer den Einsatz bezahlt, den Einsatz verzögert. Das kann aber im Falle einer akuten Krisen, in der das Leben von Menschen in Gefahr ist, nicht im Sinne der EU sein. Zudem entspricht eine solche zeitliche Verzögerung nicht dem Ansatz einer möglichst frühzeitigen Krisenvorbeugung und Krisenmanagement.

Militärische Sicherheit wird nicht „zur neuen Heilslehre erhoben“, ein ebenfalls häufig geäußerter Verdacht. Die EU-Mitgliedstaaten und somit auch die EU verstehen Sicherheit umfassend und zuerst nicht-militärisch. Ich möchte an dieser Stelle nur auf die Europäische Sicherheitsstrategie aus dem Jahr 2003 hinweisen; dort ist ausdrücklich die Rede davon, dass Sicherheitspolitik nicht allein und auch nicht zuvorderst militärisch verstanden wird. Wir, d.h. insbesondere die SPD, wollen Konflikten frühzeitig vorbeugen.

In der Hoffnung, Ihnen damit weitergeholfen zu haben, verbleibe ich

Dr. Rolf Mützenich

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