Frage an Rolf Mützenich von Patrick S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Guten Tag,
Glauben sie wirklich das wir die Vorratsspeicherung zur Bekämpfung von Terrorismus und Kriminalität tatsächlich brauchen und sind sie sich sicher das die Vorratsspeicherung mit unserem Grundgesetz vereinbar ist? MFg P. Scholtes
Sehr geehrter Herr Scholtes,
vielen Dank für Ihre Anfrage zur Vorratsdatenspeicherung.
Die von Ihnen und anderen vorgetragenen Bedenken kann ich zum Teil nachvollziehen. Nicht umsonst war die Einführung der Vorratsdatenspeicherung auf europäischer Ebene lange Zeit sehr umstritten. Ende 2005 hat das Europäische Parlament der Richtlinie aber mit großer Mehrheit zugestimmt. Damit ergibt sich für das Parlament die Frage der Umsetzung der Europäischen Richtlinie in das deutsche Recht.
Das Gesetz novelliert die geltenden Vorschriften der Strafprozessordnung (StPO) zur Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen, es setzt die EU-Richtlinie zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung in deutsches Recht um und sorgt außerdem für grundrechtswahrende Verfahrenssicherungen bei heimlichen Ermittlungsmaßnahmen.
Im Einzelnen wird der Katalog der Straftaten die eine Telefonüberwachung nach § 100a StPO rechtfertigen auf schwere Straftaten (Straftaten, die eine Freiheitsstrafe von mind. 5 Jahren rechtfertigen) begrenzt. Auf der anderen Seite darf auch bei der Aufklärung schwerer Straftaten nicht in den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung eingegriffen werden. Aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27.7.2005 ergibt sich daher, dass es unzulässig ist, ein Telefonat abzuhören, wenn in diesem über „innerste Gefühle oder höchstpersönliche Überlegungen“ gesprochen wird. Sollte dennoch abgehört werden, so dürfen die gewonnenen Informationen nicht in einem Strafverfahren Verwendung finden. Auch Geheimnisträger wie Journalisten, Ärzte oder Rechtsanwälte werden insofern geschützt, als dass sie nur nach sorgfältiger Abwägung im Einzelfall in die Ermittlungen miteinbezogen werden dürfen.
Was die sogenannte Vorratsdatenspeicherung angeht, so ist es Deutschland gegen den Widerstand anderer Mitgliedstaaten gelungen, möglichst grundrechtsschonende Regelungen zu vereinbaren. So ist die Mindestspeicherdauer auf 6 statt wie auf EU-Ebene gefordert 36 Monate begrenzt worden. Es werden nur Verbindungsdaten gespeichert, keine Telekommunikationsinhalte. Solche Daten, die lediglich Informationen enthalten, wer wann wie lange zu welchen anderen Anschluss telefoniert hat, werden heute schon von vielen Telekommunikationsunternehmen zu Abrechnungszwecken 6 Monate lang gespeichert (§ 97, Abs.3, Satz 3 Telekommunikationsgesetz).
Neu ist, dass bei Mobilfunktelefonaten auch der Standort bei Beginn der Kommunikation gespeichert werden, nicht jedoch die Inhalte des Gesprächs. Ferner werden mit Inkrafttreten des Gesetzes auch Unternetverbindungsdaten gespeichert. Allerdings werden lediglich Internetprotokoll-Adressen (IP) gespeichert, das heißt, welcher Anschluss zu einem bestimmten Zeitpunkt online war, nicht welche Seiten besucht wurden, oder welchen Inhalt eine E-Mail hat. Auch werden die Daten weiterhin nur beim Telekommunikationsunternehmen gespeichert, nicht bei der Polizei oder der Staatsanwaltschaft.
Im Vergleich zu dem ursprünglichen Vorschlag der EU, hat das deutsche Gesetz versucht, eine Balance zwischen den strafrechtlichen Anforderungen und den zivilrechtlichen Grundrechten zu finden.
Obwohl jetzt die notwendige Rechtssicherheit und Rechtsklarheit für verdeckte strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen geschaffen wird, bleiben auch für mich Fragen und Unwägbarkeiten. Zusammen mit Kolleginnen und Kollegen beabsichtige ich diese Hinweise in einer „Persönlichen Erklärung“ zu meinem Abstimmungsverhalten aufzunehmen. Dabei werde ich sowohl auf den mangelnden Abwägungsspielraum bei der Beachtung vertraulicher Gespräche aufmerksam machen als auch die Gleichstellung weiterer Gruppen mit den jetzt beabsichtigten Berufsgruppen.
Ich werde mir meine Entscheidung nicht leicht machen. Ich bitte aber auch zu bedenken, dass ich in meinen Entschluss die fachlichen Hinweise meiner Kolleginnen und Kollegen ebenso einfließen lassen muss, wie die kritischen Anmerkungen aus einem Teil der Öffentlichkeit.
Ich hoffe, Ihnen ein wenig weitergeholfen zu haben und verbleibe,
mit freundlichen Grüßen
Dr. Rolf Mützenich