Frage an Rolf Mützenich von Günter B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Die SPD hat in der letzten Groko bei der Umverteilung von unten nach oben engagiert mitgeholfen. Es gibt zwar jetzt einen Mindestlohn, aber der ist zu niedrig und sehr löchrig. Die Entwicklung der Rentenversicherung ist entmutigend. Wir haben ein zweiklassiges Gesundheitssystem, das zudem nicht mehr paritätisch finanziert wird. Durch fortgesetzte Schwächungen im Arbeitsrecht konnten die Löhne nicht mit der Entwicklung der Gewinne Schritt halten. Durch die Begünstigung von Kapitalerträgen gegenüber Lohneinkommen wurde weiteres zur Umvertreilung von unten nach oben getan. Die SPD hat Herrn Schäuble und sein Finanzministerium nicht daran gehindert, die europäischen Bemühungen gegen Steuermissbrauch auszubremsen. Ich könnte weitere Gründe für die katastrophale Verteilungsgerechtigkeit in Deutschland aufführen, frage aber lieber: Was können und werden Sie, wenn die SPD sich wieder an einer großen Koalition beteiligt, ändern und verbessern? Oder wären dafür Neuwahlen besser? Guten Tag.
Sehr geehrter Herr Bloitzheim,
vielen Dank für Ihre Anfrage zum Thema soziale Gerechtigkeit. Ihren Vorwurf, wir hätten als SPD zu einer Umverteilung von unten nach oben mitgeholfen, kann ich nicht stehen lassen. Wir haben als SPD-Fraktion viele Dinge vorangebracht, die ohne uns nicht möglich gewesen wären, der Mindestlohn, die Rente ab 63, Verbesserungen bei den Werkverträgen und Leiharbeitern sind da nur einige Punkte. Ich gebe Ihnen aber recht, dass der Mindestlohn zu niedrig ist und auch immer noch zu viele Ausnahmen vorherrschen. Doch man darf bei aller Kritik nicht vergessen, dass die SPD der kleinere Partner war und die Unionsfraktion 2013 fast die absolute Mehrheit geholt hat. Merkel und Schäuble haben leider viel blockiert und gelockert und somit verhindert, dass viele sinnvolle Projekte wie die Mietpreisbremse zu einem Erfolg werden konnten.
Wir sind bei der letzten Wahl mit einem klaren Profil für mehr Gerechtigkeit angetreten: wir wollen die Bürgerversicherung, die paritätische Finanzierung unserer Sozialsysteme, eine höhere Besteuerung von Kapitalerträgen, ein stabiles Rentenniveau ohne Zusatzkosten, mehr sozialen Wohnungsbau, moderne Schulen, um nur einige Punkte zu benennen. Leider hat der Wähler dies im September bei der Wahl nicht honoriert und für ein Ergebnis gesorgt, welches ich als Katastrophe nicht nur für die SPD ansehe.
Ich bin der Überzeugung, dass es diese sozialen Themen sind, die eine neue Regierung angehen muss, um den Zusammenhalt der Gesellschaft nicht zu gefährden. In den Jamaika-Verhandlungen ging es um die soziale Frage nur am Rande, wenn überhaupt. Im Mittelpunkt standen die Steuerentlastungen der FDP für die Oberschicht wie die Abschaffung des Solidarzuschlages, die sich nur bei den oberen 20 Prozent der Einkommensgruppen richtig bemerkbar machen würde.
Der Parteitag der SPD hat nun beschlossen, ergebnisoffen mit der Union Gespräche über die möglichen Varianten einer Regierungsbildung zu führen. Ob es im Anschluss der Gespräche zu einer erneuten Großen Koalition kommt ist nicht sicher. Auf jeden Fall wird unsere Parteispitze bei den Gesprächen mit Kanzlerin Merkel die sozialen Fragen und Themen in den Mittelpunkt stellen. Sollte es zu keinen spürbaren Veränderungen hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit kommen, kann ich mir eine Neuauflage der GroKo nur schwer vorstellen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Rolf Mützenich