Frage an Rolf Mützenich von Reinhard G. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Dr. Rolf Mützenich,
Ich bedanke mich für ihre schnelle Antwort. Sie schreiben: „Die Bundesrepublik Deutschland unterstützt Frankreich, Irak und die internationale Allianz, die aus mehr als 60 Partnern besteht, in ihrem Kampf gegen den "IS" auf der Grundlage des Rechts auf kollektive Selbstverteidigung gemäß Art. 51 der VN-Charta.“
Es ist nicht eindeutig geklärt, wer für die Anschläge in Paris verantwortlich ist. Ob das Leute aus Europa, aus Irak oder vielleicht auch Leute aus Syrien waren? Diese Anschläge jedoch Syrien zuzuordnen? Das erinnert mich daran, wie die US-Regierung unter falschen Angaben den Irak verdächtigte und angriff. Könnte nicht mit dieser Begründung der „kollektiven Selbstverteidigung“ jeder Staat (fast) beliebig jeden anderen Staat angreifen, wenn auf seinen Boden (oder auf dem Boden seines Bündnispartners) irgendjemand einen Anschlag verübt? Ist es nicht eine polizeiliche und keine militärische Aufgabe, gegen Anschläge vorzugehen?
Tornados der Bundeswehr sollen in Syrien Informationen sammeln, die weitergegeben werden sollen. An wen werden diese Informationen weiter gegeben? Und an wen geben diejenigen, die diese Informationen erhalten, sie möglicherweise wieder weiter? Die Türkei wird diese Informationen wahrscheinlich nutzen, um Kurden und die Assad-Regierung zu bekämpfen. Die US-Regierung möglicherweise für ihre völkerrechtswidrigen Drohnenangriffe? Da sie ein Abkommen mit Russland hat, Informationen zu Syrien auszutauschen, gibt sie sie vielleicht auch an Russland weiter? Oder an Saudi-Arabien …? usw.?
Glauben Sie nicht, dass das zu einer Ausweitung des Krieges führen kann? Bei den vielfältigen Interessenkonflikten? Hielten Sie das für vereinbar mit dem Geist des Völkerrechtes?
Sehr geehrter Herr Großmann,
zweimal in diesem Jahr ist Paris von feigen Terroristen heimgesucht worden. Doch auch in Syrien, im Irak, in Libyen oder in Tunesien wütet die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) schon lange. Viele der Menschen, die derzeit zu uns fliehen, suchen Zuflucht vor genau diesem Terror. Der IS bekämpft alle, die in Freiheit und Frieden leben wollen. Daher müssen und werden wir den Terror bekämpfen - entschlossen und geschlossen und auf der Basis unserer Werte und des Völkerrechts sowie im Rahmen eines politischen Gesamtkonzepts.
Der französische Präsident François Hollande hat Deutschland um militärische Unterstützung gebeten. Die Bundesregierung hat mehrfach deutlich gemacht, dass Deutschland solidarisch an der Seite Frankreichs steht, und hat daher geprüft, was Deutschland militärisch leisten und politisch verantworten kann. Das Bundeskabinett hat gestern beschlossen, Frankreich, den Irak und die internationale Allianz in ihrem Kampf gegen die Terrororganisation IS vor allem im Bereich der Aufklärung durch Tornado-Flugzeuge und Satelliten, Logistik durch die Luftbetankung von Kampfjets anderer Staaten und des Schutzes eines französischen Flugzeugträgers mit einer Fregatte zu unterstützen.
Ende der Woche soll das Mandat im Bundestag beschlossen werden. Der Einsatz erfolgt in Übereinstimmung mit den verfassungsrechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben für Auslandseinsätze der Bundeswehr. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat nach den schrecklichen Attentaten in Paris, Beirut und auf dem Sinai zum wiederholten Male (Resolutionen 2170 (2014), 2199 (2015) und 2249 (2015)) festgestellt, dass von der Terrororganisation IS eine Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit ausgeht. Der VN-Sicherheitsrat hat in der Resolution 2249 die Staatengemeinschaft in eindringlichen Worten dazu aufgerufen, alle notwendigen Maßnahmen gegen diese Bedrohung zu ergreifen. Deutschland wird sich auf der Grundlage des Völkerrechts und des deutschen Grundgesetzes an der Terrorbekämpfung beteiligen.
Die Charta der Vereinten Nationen ermächtigt die Mitgliedstaaten in Art. 51 zur kollektiven Selbstverteidigung. Die militärischen Beiträge Deutschlands erfolgen auch in Erfüllung der EU-Beistandsklausel nach Art. 42 Abs. 7 des Vertrages über die Europäische Union. Frankreich hat die Mitgliedstaaten der Europäischen Union um Solidarität und Unterstützung gebeten und hat sich dabei erstmalig in der EU-Geschichte auf die Beistandsklausel berufen. Und das deutsche Grundgesetz erlaubt in Art. 24 Abs. 2 den Einsatz von Streitkräften im Rahmen und nach den Regeln eines Systems kollektiver Sicherheit.
Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist jedoch klar, dass das militärische Engagement nur ein Teil eines umfassenden Ansatzes sein kann. Der politische Prozess steht weiterhin im Vordergrund. Dies macht Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier mit seinem Engagement in den internationalen Verhandlungen und im Rahmen der Vereinten Nationen deutlich.
Die in Wien begonnenen diplomatischen Anstrengungen für ein Ende des Bürgerkriegs in Syrien müssen fortgesetzt werden. Die zentralen internationalen Partner USA und Russland wie auch die regionalen Akteure Türkei, Iran und Saudi-Arabien müssen am Tisch bleiben. Stabilität und Frieden in der Region werden nur über Verhandlungen zu gewinnen sein.
Über die Rolle des Assad-Regimes bei der Allianz gegen die Terrororganisation „Islamischer Staat“ aber auch bei einer zukünftigen Friedensregelung gibt es unterschiedliche Meinungen in der internationalen Gemeinschaft. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hat jedoch deutlich gemacht, dass es dauerhaft keine Zukunft Syriens mit Assad wird geben können.
Über den Einsatz gegen den IS hinaus unterstützt Deutschland verstärkt die wichtige Mission der Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA) und setzt die schon seit dem Sommer 2014 laufende Ausrüstung und Ausbildung der Peschmerga im Irak fort. Gleichzeitig hat die Bundesregierung die Anstrengungen für die humanitäre Hilfe für Syrien und seine Nachbarstaaten massiv erhöht. Hieran arbeitet die SPD in der Regierung mit Hochdruck.
Ohne militärische Mittel wird die Terrororganisation „Islamischer Staat“ nicht zu stoppen sein. Klar ist aber auch, dass die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus wie auch die Beendigung des Bürgerkriegs in Syrien nur mit einem umfassenden Ansatz gelingen kann, der vor allem auf Politik und Diplomatie baut.
Mit freundlichen Grüßen
Rolf Mützenich
Sehr geehrter Herr Großmann,
fast 300.000 Tote und zwölf Millionen Flüchtlinge: Das ist die traurige Bilanz des seit fast fünf Jahren andauernden Bürgerkriegs in Syrien.
Syrien als Staat hat in seiner ursprünglichen Form aufgehört zu existieren. Weite Teile des Landes befinden sich unter Kontrolle des sogenannten „Islamischen Staates“, der in seinem Herrschaftsgebiet ein Terrorregime etabliert hat und von dort aus Anschläge in der Region und dar-über hinaus organisiert. Die jüngsten Attentate von Ankara, Beirut, Tunis, auf dem Sinai und in Paris ziehen eine Blutspur vom Nahen und Mittleren Osten bis nach Europa.
Die Anschläge vom 13. November 2015 in Paris galten nicht nur Frankreich, sondern uns allen. Sie richteten sich gegen unsere Werte und unsere Art zu leben. Deshalb ist jetzt auch die Solidarität aller Europäer gefordert. Frankreichs Präsident Hollande hat Deutschland gebeten, sich auch mit militärischen Mitteln der internationalen Allianz von insgesamt 64 Staaten in ihrem Kampf gegen den IS anzuschließen.
Der Deutsche Bundestag hat am 4. Dezember 2015 nach ausführlicher Debatte mit großer Mehrheit dem Antrag der Bundesregierung zugestimmt, militärische Fähigkeiten im Kampf gegen den IS bereitzustellen. Dazu gehören sowohl Aufklärungs- und Luftbetankungsflugzeuge sowie eine Fregatte zum Schutz eines französischen Flugzeugträgers. Das Ziel dieses Mandates ist klar umrissen: Es geht darum, den IS zu bekämpfen, seine Rückzugsräume zu zerstören und zu verhindern, dass er weiterhin in vielen Ländern Angst und Schrecken verbreitet.
Dieser Einsatz ist völkerrechtlich legitimiert. Deutschland unterstützt Frankreich, den Irak und andere Länder im Kampf gegen den IS auf Grundlage des Rechts der kollektiven Selbstverteidigung, wie es in Artikel 51 der VN-Charta zum Ausdruck gebracht wird.
In mehreren Resolutionen hat der VN-Sicherheitsrat festgestellt, dass der IS weltweit eine Bedrohung für Frieden und Sicherheit ist – unter anderem in der Resolution 2249 vom 20. November 2015. Darin hat der Sicherheitsrat nach den Anschlägen von Paris die Staatengemeinschaft aufgerufen, alle notwendigen Maßnahmen gegen diese Bedrohung zu ergreifen. Eben-falls nach den Anschlägen von Paris hat sich Frankreich als erster Mitgliedstaat der EU auf die Beistandsklausel in Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrages berufen.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich nach intensiven Diskussionen entschieden, dem Mandat der Bundesregierung zuzustimmen. Niemand hat sich diese Entscheidung leicht gemacht.
Ich bin fest davon überzeugt, dass es für den Syrienkonflikt letztlich nur eine politische Lösung geben kann. Der politische Prozess steht für uns weiterhin im Vordergrund. Das militärische Handeln wird in diesen politischen Prozess eingebettet sein und bleiben. Hierfür setzt sich Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit ganzer Kraft ein. Mit Hilfe der Vereinten Nationen und ihrem Sonderbeauftragten Staffan de Mistura soll eine politische Lösung erarbeitet werden.
Am 30. Oktober und 14. November 2015 kam es in Wien erstmals zu einer Zusammenkunft aller regionalen Akteure unter Einschluss des Iran, Saudi-Arabiens, aber auch Russlands und der USA. Dass es gelungen ist, die genannten Länder an einen Tisch zu holen, ist auch ein Erfolg der deutschen und europäischen Diplomatie. Hier wurden die Weichen für einen Fahrplan gestellt, den Syrienkonflikt politisch zu lösen und dem Morden endlich Einhalt zu gebieten. Mit der Resolution 2254 indossierte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen diesen Fahrplan am 18. Dezember 2015 und es kam Ende Januar 2016 zu ersten innersyrischen Gesprächen unter Vermittlung de Misturas in Genf.
Nachdem die Gespräche unterbrochen wurden, einigten sich die am Wiener Prozess beteiligten Staaten im Vorfeld der Münchner Sicherheitskonferenz am 11. Februar 2016 darauf, humanitären Zugang zu den belagerten Gebieten in Syrien zu ermöglichen, die Modalitäten für die landesweite Einstellung von Feindseligkeiten zu erarbeiten und die ausgesetzten Genfer Verhandlungen rasch wieder aufzunehmen. Dass dieses Ergebnis zustande kam, muss angesichts der Spannungen zwischen den beteiligten Staaten als Erfolg auch der deutschen Außenpolitik unter Frank-Walter Steinmeier gesehen werden und als Hoffnungssignal für die notleidende syrische Bevölkerung. In Folge des Münchner Treffens konnten eine Reihe von belagerten Gebieten mit Hilfslieferungen erreicht werden, gleichwohl bleibt die Gesamtsituation, gerade im Raum Aleppo, zum gegenwärtigen Zeitpunkt äußerst besorgniserregend und die SPD-Bundestagfraktion unterstützt die Bundesregierung darin, de-eskalierend auf die Parteien, einschließlich Russland und die Türkei, einzuwirken.
Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt die Bundesregierung ebenfalls ausdrücklich darin, ihre Aktivitäten gegen den internationalen Terrorismus und gegen den IS zu verstärken. Hierzu gehören vor allem die bereits in der UN-Sicherheitsratsresolution 2170 vom 15. August 2014 unter Kapitel VII der VN-Charta beschlossenen Maßnahmen gegen den IS, Al-Qaida und mit ihnen verbündete Terrorgruppen. Insbesondere die Anwerbung und Ausreise von ausländischen terroristischen Kämpfern nach Syrien muss unterbunden werden.
Ebenso müssen die in der Resolution aufgeführten Maßnahmen zur Unterbindung der Finanzierung des Terrorismus konsequent und von allen Staaten angewendet werden. Der illegale Verkauf von Öl und anderen Ressourcen sowie der ungehinderte Finanzzufluss an den IS – oftmals durch staatliche Institutionen geduldet oder gar organisiert – muss mit allen Mitteln gestoppt werden. Die deutschen Behörden arbeiten in der Terrorismusbekämpfung bereits sehr eng und in einem breiten Spektrum von Maßnahmen mit Frankreich zusammen. Diese enge Kooperation gilt es, auf alle EU-Staaten und darüber hinaus auszudehnen.
Wir dürfen nicht zulassen, dass sich der IS-Terror zu einem „Kampf der Kulturen“ entwickelt. Nach wie vor sind die meisten Opfer des IS Muslime. Die Anschläge von Paris dürfen nicht dazu instrumentalisiert werden, gegen Flüchtlinge zu hetzen und Muslime auszugrenzen. Im Gegenteil: Unsere Anstrengungen zur Integration insbesondere junger Muslime müssen gesteigert werden, um Parallelgesellschaften und Ghettobildung zu verhindern. Ebenso müssen ausländische Kämpfer daran gehindert werden, in die Kriegsgebiete ein- und auszureisen. Es ist Aufgabe des Rechtsstaates, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln dagegen vorzugehen.
Nur durch diesen gesamtpolitischen Ansatz wird es möglich sein, das terroristische Treiben des IS einzudämmen und damit künftig Terroranschläge zu verhindern oder zumindest zu erschweren.
In Anbetracht der über sechs Millionen Binnenflüchtlinge und über vier Millionen Flüchtlinge in den Nachbarländern und in Europa müssen wir weiterhin humanitäre Hilfe und sogenannte Übergangshilfe leisten. Seit 2012 hat Deutschland über 1,4 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Durch die Initiative von Bundesminister Frank-Walter-Steinmeier ist es gelungen, dass auch weitere Staaten ihre Ausgaben für die Flüchtlingshilfe in der Region erhöht haben. Auf der von Deutschland mit organisierten Konferenz „Supporting Syria and the Region“ am 4. Februar 2016 in London sagte die Bundesregierung 2,3 Milliarden Euro bis 2018 zu, davon 1,2 Milliarden Euro für 2016. Insgesamt wurden in London für das laufende Jahr über 5 Milliarden Euro für die Syrien-Krise zugesagt.
Wir werden unser Engagement für die Flüchtlinge und Hilfsbedürftigen in der Region in Ab-stimmung mit unseren internationalen Partnern und den Partnerorganisationen vor Ort fortzusetzen und - wo möglich und nötig - verstärken.
Mit freundlichen Grüßen
Rolf Mützenich