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Roderich Kiesewetter
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Frage von Lars B. •

Frage an Roderich Kiesewetter von Lars B. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Kiesewetter,

am 2. September 1991 erklärte die Republik Bergkarabach (heute Arzach) seine Unabhängigkeit von Aserbaidschan, was am 10. Dezember 1991 durch ein Referendum bestätigt wurde. Es handelt sich hierbei - im Gegensatz zur Öl-Diktatur Aserbaidschan- um einen demokratischen und freiheitlichen Staat, der bisher jedoch noch von keinem anderen Staat anerkannt wurde. Die Bevölkerung von Arzach kann aufgrund ihrer kulturellen und ethnischen Unterschiede zu Aserbaidschan durchaus als eigenes Volk aufgefasst werden und hat deshalb das Recht, frei über seinen politischen Status, seine Staats- und Regierungsform und seine wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung zu entscheiden (Selbstbestimmungsrecht der Völker).
Wann wird die Bundesrepublik Deutschland also endlich die freie Republik Arzach völkerrechtlich als autonomen Staat anerkennen?

Mit freundlichen Grüßen,

Lars Busse

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Sehr geehrter Herr Busse,

vielen Dank für Ihre Nachricht zum Status der Region Bergkarabach/Arzach. Sie sprechen einen Konflikt an, der weit zurückreichende historische Wurzeln hat und zudem eine völkerrechtliche Streitfrage umfasst, die bei näherem Hinsehen äußerst kompliziert ist. Ich bin selbstverständlich der Meinung, daß wir besonders bei strittigen Aspekten größten Wert auf die Einhaltung des Völkerrechts legen müssen. Ihrer Forderung nach einer Anerkennung der Unabhängigkeit der Region kann ich mich hingegen nicht anschließen. Gerne führe ich Ihnen nachfolgend meine Beweggründe und Alternativvorschläge für ein Engagement der Bundesrepublik in dem Konflikt näher aus.

Das Gebiet Bergkarabach, eine ethnische Exklave in Aserbaidschan, war schon seit dem Mittelalter mehrheitlich von christlichen Armeniern bewohnt, umfasste aber seit alters her auch die Weidegründe muslimischer aserbaidschanischer Hirten. Bereits seit den 1890er Jahren, also schon vor Ende des Zarenreiches, war es im Südkaukasus öfter zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Ethnien gekommen. Mehrfach kam es zu pogromartigen Verfolgungen der einen Ethnie durch die jeweils andere, diese waren im multiethnischen Kaukasus nicht allein auf Bergkarabach beschränkt. Nach der Oktoberrevolution 1917 erklärten sich Armenien, Georgien und Aserbaidschan zu unabhängigen Staaten und bildeten für nur fünf Wochen einen gemeinsamen Staatenbund. Nach dessen Auseinanderbrechen erhoben sowohl die Republik Armenien als auch die Republik Aserbaidschan Anspruch auf Bergkarabach und versuchten, diese Ansprüche gewaltsam durchzusetzen. Militärische Auseinandersetzungen beider Staaten wurden durch die Eroberung des Kaukasus durch die Rote Armee beendet. Aserbaidschan und Armenien wurden zu Sozialistischen Sowjetrepubliken. Bergkarabach selbst erklärte seine Zugehörigkeit zu Aserbaidschan und Stalin verkündete 1920 den Verzicht Armeniens auf die Region. 1923 machte Moskau Bergkarabach zum Autonomen Oblast innerhalb der SSR Aserbaidschan. Die sowjetische Nationalitätenpolitik konnte den Grundkonflikt jedoch nicht beseitigen. Noch vor dem Ende der UdSSR, im Jahre 1988, kam es zu erneuten gewaltsamen Auseinandersetzungen um Bergkarabach, nachdem die Legislative des Oblast eine Resolution für Anschluss an die Armenische SSR verabschiedet hatte. Nach Auflösung der UdSSR im Jahre 1991 erklärte Bergkarabach seine Unabhängigkeit. Der jahrelange Krieg führte zu etwa 20.000 Todesopfern und hunderttausenden Flüchtlingen. Durch die Vertreibung von etwa 750.000 Aseri sind Bergkarabach und einige umliegende armenisch besetzte Gebiete heute fast ausschließlich von Armeniern besiedelt. Umgekehrt flüchteten auch etwa 230.000 Armenier aus Aserbaidschan.

Seit 1992 bemüht sich die sogenannte Minsk-Gruppe der OSZE um eine Vermittlung zwischen den Konfliktparteien. Der wichtigste Erfolg der Minsk-Gruppe war der im Jahre 1994 von Russland vermittelte Waffenstillstand. Seitdem kontrolliert Armenien faktisch Bergkarabach sowie Teile der umliegenden aserbaidschanischen Gebiete. Bergkarabach hat heute etwa 144.000 Einwohner.
Bemühungen der Minsk-Gruppe, eine friedliche Lösung des zugrundeliegenden Territorialkonfliktes zu vermitteln, scheiterten. Seit 2017 bezeichnet sich die „Republik Bergkarabach“ als „Republik Arzach“. Aserbaidschan und Armenien pflegen vollkommen gegensätzliche und unvereinbare Narrative über Bergkarabach, seine Geschichte und Rolle für die jeweilige Nation. Aserbaidschan hat dabei jedoch völkerrechtlich die stärkere Position: Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, in dem auch Armeniens Schutzmacht Russland Mitglied ist, hat in vier Resolutionen bekräftigt, dass Bergkarabach zu Aserbaidschan gehört.

Die Republik Arzach ist völkerrechtlich von keinem Staat der Welt anerkannt, auch nicht von Armenien. Bergkarabach ist eine gebirgige Enklave. Bis 2020 nutzte diese geographische Eigenschaft den Armeniern, die den für sie vorteilhaften Status quo von 1994 bewahren beziehungsweise institutionalisieren und völkerrechtlich verankern wollten. In der Tat lassen sich gebirgige Gebiete grundsätzlich wesentlich besser verteidigen als erobern – zumindest so lange der Kampf am Boden und nicht in beziehungsweise aus der Luft ausgetragen wird.

Deutschland als Mitglied der Minsk-Gruppe tritt für eine Verhandlungslösung ein. Wir müssen nun umso stärker daran arbeiten, daß wir eine nachhaltige Konfliktlösung für die ganze Region finden und für ein angstfreies und ruhiges Leben der Menschen vor Ort sorgen können. Dafür gibt es bereits etablierte internationale Foren wie die Minsk-Gruppe der OSZE, die wir wiederbeleben und stärken sollten. Auch die EU und die Vereinten Nationen können einen stärkeren Beitrag leisten. Im Übrigen unterstützt Deutschland als größter einzelner Geber in der Region das Internationale Rote Kreuz mit zwei Millionen Euro für dringend benötigte Nothilfen und hilft so dabei, zunächst einmal die unmittelbar größten Nöte der Zivilbevölkerung zu lindern. Sorge machen mir aber auch Berichte über die gewaltsame Einmischung externer Akteure, die eine nachhaltige Lösung noch zusätzlich erschweren. Wir müssen sehr deutlich machen, daß wir eine solche Überschreitung roter Linien nicht tolerieren können.

Als Regierungskoalition haben wir zudem mit einem Antrag im November 2020 deutlich gemacht, daß wir der Auffassung sind, daß eine langfristige Friedenslösung für Bergkarabach gefunden werden muss. Darin fordern wir die Bundesregierung auf, verschiedene Maßnahmen zu ergreifen, die zu diesem Ziel beitragen. Bei Interesse finden Sie Antrag hier: https://dserver.bundestag.de/btd/19/246/1924646.pdf

Herzliche Grüße
Ihr Roderich Kiesewetter

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