Frage an Roderich Kiesewetter von Mehmed M. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Hr. Kiesewetter, angesichts der Verheerungen in Nahost und auch der Reaktionen der deutschen Politik stellen sich mir einige Fragen. Mir geht es vor allem darum zu wissen, welche Perspektive bspw. Ihnen als einem der führenden Außenpolitiker Ihrer Fraktion für die Region vorschwebt. Der neueste Konflikt scheint sich doch an dem seit Jahren andauernden Siedlungskonflikt entzündet zu haben, welcher nun seinen Peak in den Auseinandersetzungen um Sheikh Jarrah und al-Aqsa fand. Unter anderem dazu möchte ich einige Fragen an Sie richten:
1. Wie positioniert sich Ihre Fraktion hinsichtlich der Präsenz Israels in Ostjerusalem und in der Westbank?
2. Welche Möglichkeiten des Widerstandes gegen illegale Okkupation und Repression haben die Palästinenser im Rahmen des Völkerrechts?
3. Wie beurteilt ihre Fraktion das Vorgehen Israels in Gaza hinsichtlich der zivilen Opferzahlen und der Bombardierung von Medienhäusern, Krankenhäusern, Flüchtlingscamps und Wohnsiedlungen? Ist dieses Vorgehen, vor allem angesichts der kriegsvölkerrechtlichen Pflicht zur Verhältnismäßigkeit der Mittel, legitim?
4 . Gaza ist laut mehreren UN-Berichten "unbewohnbar". Setzt sich Ihre Fraktion für eine Aufhebung oder Erleichterung der totalen Blockade ein?
5. Setzt sich die Fraktion für eine Gleichheit aller Bürger Israels und Palästinas hinsichtlich eines "right to return" ein? Bisher gilt dieses Gesetz meines Wissens nach nur für jüdische Israelis.
6. Besteht die Möglichkeit, im Sinne der angestrebten Befriedung und Zweistaatenlösung, mäßigend auf die israelischen Partner einzuwirken, vor allem in Sachen Siedlungspolitik, um eine politische Lösung nicht vollständig illusorisch zu machen?
Ich danke Ihnen vielmals und hoffe ich stehle Ihnen nicht zu viel Zeit. Wenn Sie auch nur einige meiner Fragen beantworten könnten oder ihre Lösungsansätze für die Region kurz skizzieren könnten wäre das schon super. Vielen Dank und freundliche Grüße!
Sehr geehrter Herr Malkic,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Zur Auskunft über die Positionierung der CDU/CSU-Fraktion in den von Ihnen angesprochenen Fragen verweise ich Sie gerne auf die Pressestelle der Fraktion, die Ihnen diesbezüglich gerne weiterhilft. Die Kolleginnen und Kollegen stehen Ihnen unter pressestelle@cducsu.de gerne zur Auskunft bereit.
Trotzdem ist es mir ein Anliegen, noch persönlich auf einige Punkte eingehen, die Sie mit Ihren Fragen aufgeworfen haben.
Es ist ein wichtiger Schritt, daß die seit dem 21. Mai geltende Waffenruhe nach elf Tagen gewalttätiger Auseinandersetzungen von den Konfliktparteien beachtet wird. Schließlich wird eine militärische Eskalation keine Lösung des Konflikts hervorbringen, der am Ende nur durch einen politischen Dialogprozess gelöst werden kann. Die Bundesregierung steht gemeinsam mit den internationalen Partnern in der Verantwortung, ihr Engagement für eine solche Lösung zu bekräftigen und den Kontrahenten vor Augen zu führen, daß wir jeden Versuch, sich durch gewaltsames oder völkerrechtswidriges Handeln einen Vorteil zu verschaffen, verurteilen.
Daß es Mitte Mai zu einer solch besorgniserregenden Eskalationsspirale gekommen ist, hat aus meiner Sicht verschiedene, sich überlagernde Gründe. Dazu gehören schrittweise gegenseitige Eskalationen durch radikale Kräfte auf beiden Seiten, die in der Auseinandersetzung um die Häuser im Jerusalemer Stadtviertel Sheikh Jarrah und die Ausschreitungen an der al-Aqsa-Moschee gipfelten. Von der innenpolitisch instabilen Lage in Israel und der ungeklärten Führungsfrage profitierten zuletzt insbesondere die extremen Kräfte. Es bleibt zu hoffen, daß die breite Regierungskoalition des kürzlich designierten Premierministers Bennett sich darauf besinnen wird, Stabilität und Ausgleich innerhalb der gespaltenen israelischen Gesellschaft zu schaffen. Auch in den Palästinensergebieten bestehen erhebliche interne Spannungen mit einer Autonomiebehörde, die seit 15 Jahren nicht mehr legitimiert ist, die angesetzten Wahlen bis auf Weiteres verschoben hat und der Terrororganisation Hamas, die den Gaza-Streifen quasi okkupiert hat. Zudem berührt der Konflikt auch die Interessen verschiedener internationaler Akteure, die versuchen, sich jeweils einen Vorteil zu verschaffen.
In dieser schwierigen Gemengelage hat die Hamas mit dem völlig unverhältnismäßigen Beschuss auf Israel, sogar auf Jerusalem und später auch Tel Aviv, den Konflikt bewusst und wissentlich unter Inkaufnahme ziviler Opfer in die Extreme geführt. Derartige Terrorangriffe auf Israel sind durch nichts zu rechtfertigen und entsprechen auch nicht dem Interesse der friedlich gesinnten Palästinenser, die durch die Gewalttaten in Geiselhaft genommen werden und selbst stark unter den Auswirkungen zu leiden haben. Die Hamas hat mit ihrem Ansinnen, Stärke und ihren Führungsanspruch zu signalisieren, dem Interesse der palästinensischen Zivilisten einen erheblichen Schaden zugefügt: Einerseits, indem Teile der auf Israel gerichteten Raketen noch im Gaza-Streifen detonierten und unnötige Opfer forderten, andererseits indem sie den politischen Prozess schmerzlich zurückgeworfen und Israel zu einer Reaktion bewogen hat, in der es das legitime Interesse der Selbstverteidigung wahrnahm. Insofern erwarte ich eine klare Distanzierung der palästinensischen Führung von Gewalt. Ich bin unzweifelhaft der Auffassung, daß das Existenzrecht Israels zur deutschen Staatsräson gehört und eine besondere Verantwortung für den Schutz und die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger besteht. Dies umfasst auch das Recht, sich im Rahmen der Verhältnismäßigkeit gegen terroristische Angriffe zur Wehr zu setzen.
Zugleich müssen wir an Israel appellieren, die eingegangenen Selbstverpflichtungen einzuhalten und klar anzusprechen, daß die Siedlungspolitik nicht unserer Auffassung der völkerrechtlichen Verpflichtungen entspricht. Unser Ziel muss es sein, die gemäßigten Kräfte auf beiden Seiten zu unterstützen und zu echten Verhandlungen mit dem Ziel einer Zwei-Staaten-Lösung mit einem jüdischen und demokratischen Staat Israel und einem unabhängigen, demokratischen und lebensfähigen palästinensischen Staat, die friedlich Seite an Seite leben, zurückzukehren. Dazu müssen auch die seit einer Dekade aufgeschobenen Wahlen in den Palästinensergebieten durchgeführt werden. Trotz der sich wieder verhärtenden Fronten bleibt die Lösung dieses Konflikts ein zentrales außenpolitisches Anliegen, das unsere Fraktion ohne Einschränkung unterstützt.
Deutschland und die gesamte EU sollten sich nun eng mit der US-Administration des US-Präsidenten Biden abstimmen und deren Verhandlungsbemühungen unterstützen. Die Anstrengungen anderer Vermittler, wie etwa Ägypten, haben bereits in den vergangenen Wochen einen wichtigen Beitrag zur Deeskalation geleistet und sind ein wichtiger Baustein für den weiteren Prozess. Es wird auch eine Initiative brauchen, um Lehren aus der besorgniserregenden Bewaffnung der Hamas und der islamistischen Hisbollah zu ziehen, die Israel vom Libanon aus bedroht. Wir können der Versorgung gewaltbereiter Kräfte mit Waffen und Technologie durch ausländische Kräfte wie dem Iran nicht weiter tatenlos zusehen, da diese zu einem stetig wachsenden Sicherheitsrisiko für die ganze Region geworden sind. Entsprechend müssen wir diese Themen auch aktiv auf die Gesprächsagenda setzen, wenn wir Gespräche mit dem Iran führen. Sollten Sie noch weitergehende Fragen haben, wenden Sie sich gerne an mich.
Herzliche Grüße
Ihr Roderich Kiesewetter