Frage an Roderich Kiesewetter von Ottmar M. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Guten Tag Herr Kiesewetter,
„Im 'Reich Putins' herrscht ein Klima, in dem Leute glauben, politische Morde begehen zu können.“
Mit diesen Worten werden Sie hier hinsichtlich des angeblichen Giftanschlages auf diesen Nawalny zitiert: https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/ulm/nawalny-affaere-kiesewetter-kritisiert-russland-100.html
Können Sie dafür Beweise anführen, oder behaupten Sie das einfach? Wohlgemerkt, Beweise, keine Behauptungen!
In dem SWR-Beitrag erklären Sie weiter, daß man Rußland im Fall Nawalny die „Details der Giftgasanalyse nicht offenlegen“ könne, weil es sonst „zuviel Einblick in die technische Leistungsfähigkeit der Labore“ bekomme. Also soll Rußland auf Zuruf aus Deutschland seine Schuld anerkennen, oder wie soll man das verstehen? Beweise brauchen gegenüber Rußland nicht vorgelegt zu werden, da reichen Behauptungen aus dem Westen? Würde man das umgekehrt akzeptieren? Nun hat die OPCW lt. Pressemitteilung https://www.opcw.org/media-centre/news/2020/10/opcw-issues-report-technical-assistance-requested-germany aber gar kein Novitschok nachgewiesen, sondern nur „Biomarker des Cholinesterase-Inhibitors“, die „ähnliche strukturelle Merkmale aufweisen wie die toxischen Chemikalien der Stoffe 1.A.14 und 1.A.15,“. Zum Schluß heißt es: „Dieser Cholinesterase-Inhibitor ist im Anhang über Chemikalien des Übereinkommens nicht aufgeführt.“ Da steht also nicht mal „identisch“ sondern nur „ähnlich“ und diese Substanz ist nicht einmal verboten? Wie kommt man nun darauf, daß dieser Nawalny durch einen Kampfstoff vergiftet wurde? Laborergebnisse soll Rußland nicht bekommen und den Nachweis von Novitschok bestätigt die OPCW auch nicht. Die Öffentlichkeit bzw. die russische Regierung sollen das nun alles glauben?Falls Sie den Fall Skripal bemühen wollen,gibt es dafür Beweise oder auch nur westliche Behauptungen? Von einem Oberst a.D. i.G., Herr Kiesewetter, erwarte ich eine militärisch präzise Antwort und keine unbewiesenen Behauptungen und Spekulationen.
Sehr geehrter Herr Müller,
vielen Dank für Ihre Anfrage.
Daß politische Morde zum traurigen Bestandteil russischer Politik geworden sind, lässt sich bereits daran erkennen, daß wir in 20 Jahren Putin rund 20 Morde und Mordanschläge auf kritische Stimmen, Oppositionelle oder ehemalige Komplizen der Machthaber verzeichnen können. Ob im Fall Litwinenko, Politkowskaja, Nemzow, Skripal, beim Tiergartenmord oder zuletzt bei Nawalny: An keiner Stelle haben wir von offizieller russischer Seite Stimmen der Verurteilung oder ernsthaften Forderung nach Aufklärung vernommen. Im Gegenteil: Die russischen Machteliten setzen alles daran, die Opfer verächtlich zu machen, Fakten zu verdrehen, internationale Organisationen zu diskreditieren, wie wir es derzeit im Falle der OPCW beobachten können, und zahlreiche alternative Erklärungsansätze zu objektiv belegten Tatsachen zu streuen.
Die Bundesregierung hat die Laborbefunde verfahrensgemäß an die unabhängig prüfende OPCW weitergegeben, der Russland ebenfalls angehört. Diese hat den Einsatz eines international geächteten Nervengiftes inzwischen zweifelsfrei bewiesen. Anders als von Ihnen suggeriert, handelt es sich bei diesem Vorwurf nicht um Unterstellungen, sondern um objektive, wissenschaftlich mehrfach belegte Fakten.
Bei dem Stoff, der gegen Nawalny eingesetzt wurde, handelt es sich um einen bisher nicht öffentlich bekannten Nervenkampfstoff, der nach Erkenntnissen deutscher Sicherheitsbehörden eine Weiterentwicklung bisher bekannter Nowitschok-Typen darstellt. Als Neuentwicklung ist es daher logisch, daß er noch nicht von der OPCW gelistet sein kann. Den Experten zufolge ist das eingesetzte Gift vermutlich nicht weniger gefährlich, wirkt aber langsamer als die bisherigen Typen. Unabhängig von einer OPCW-Listung muss jedoch völlig klar sein, daß jeder Einsatz von Chemiewaffen ein gravierender Vorgang und Verstoß gegen das internationale Völkerrecht ist und kann deshalb nicht ohne Konsequenzen bleiben kann.
Russland hat zudem noch vor Nawalnys Ausreise zur Berliner Charité selbst eine ausreichende Anzahl an Proben genommen. Die russischen Behörden verfügen also über alles Notwendige, um selbst Ermittlungen zu dem Mordversuch durchzuführen, versuchen in dieser Situation aber offensichtlich, mit einem Fingerzeig auf andere von der eigenen Verantwortlichkeit abzulenken. Nawalny wurde Opfer eines in Russland verübten Verbrechens. Daher liegt es an Russland, sich zu diesem Vorfall zu erklären.
Zum Schluss möchte ich Ihnen noch mit auf den Weg geben, daß wir bei allen Diskussionen um Aufklärung und Verantwortlichkeiten nicht vergessen sollten, daß Nawalny ohne Zweifel zu lebensbedrohlichem Schaden gekommen ist und schwerstes Leid ertragen musste. Eine Vielzahl glücklicher Umstände trug dazu bei, daß sich sein Zustand inzwischen stabilisiert hat und er auf dem Weg der Genesung ist. Es widerspricht meines Erachtens zutiefst dem Gedanken der Menschenwürde und eines menschlichen Miteinanders, wenn Sie keinerlei Notwendigkeit sehen, dies auch nur zu erwähnen.
Mit freundlichen Grüßen
Roderich Kiesewetter