Frage an Roderich Kiesewetter von Heike R. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrte Frau R.,

vielen Dank für Ihre Nachricht.

Zunächst einmal hat selbstverständlich kein Staat oder Regime auf der Welt das Recht, Oppositionelle oder unliebsame Stimmen mundtot zu machen oder gar ihr Leben zu nehmen. Sofern glaubwürdige Beweise für ein solches Vorgehen vorliegen, müssen wir daher unmissverständlich deutlich machen, daß dies nicht geduldet werden kann - insbesondere erst recht dann, wenn sich regelmäßige Muster abzeichnen und Morde an Kritikern zum Mittel der Politik erhoben werden.

Die Hinweise auf einen Giftanschlag auf Alexej Nawalny haben sich durch die am vergangenen Montag veröffentlichten, unabhängigen Untersuchungsergebnisse der Berliner Charité verdichtet. Da dieser bekanntlich in Russland stattgefunden hat, steht die russische Regierung daher klar in der Pflicht, alles zu tun, um die Umstände und Hintergründe restlos aufzuklären. Ganz unabhängig von einer denkbaren Beteiligung oder Mitwisserschaft hat Russland die völkerrechtliche Verpflichtung, Menschenrechte auf seinem Hoheitsgebiet zu schützen.
Sie haben Recht, daß der oder die Verantwortlichen derzeit noch nicht ausfindig gemacht werden konnten. Daß die russische Regierung derzeit aber kaum Bereitschaft zeigt, tatsächlich an dieser Aufklärung mitzuwirken, halte ich für ein fatales Signal: Könnte die russische Regierung so doch gerade beweisen, daß sie nicht daran beteiligt ist. Daneben handelt es sich bei Nawalny um eine den bekanntesten oppositionellen Stimmen des Landes. Die Freiheit, auch kritische Positionen unbeschadet äußern zu können, zählt zu den höchsten Gütern, die ein Rechtsstaat schützen muss. Insofern ist der Umgang mit dem Giftanschlag in Russland auch deshalb hoch bedenklich, weil die russische Regierung offensichtlich ein Klima geschaffen hat, daß sich 1. regimetreue Menschen ermächtigt fühlen, Rachejustiz zu üben, auch wenn es möglicherweise nicht angeordnet wurde und 2. niemand aus der Regierung den Mut hat, solch ein Handeln zu verurteilen oder wenigstens aufzuklären!

Grundsätzlich halte ich es für ratsam, Kritik dann klar auszusprechen, wenn fundierte Beweise vorliegen und diese möglichst nicht auf Mutmaßungen zu gründen. Falls Sie meine Interviews kennen, wissen Sie, daß ich bei Türkei, USA, Iran, China oder Israel auch sehr klar kritisiere, sofern es angebracht ist.

Herzliche Grüße
Roderich Kiesewetter