Frage an Roderich Kiesewetter von Martin K. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Kiesewetter,
der Spitzensteuersatz lag in den 1980er Jahren bei 56% und galt für Einkommen ab ca. 66.000€. Heute liegt er bei 42% und gilt ab einem Einkommen von ca. 54.000€ (die Reichensteuer von 45% ab ca. 250.000€ ist mir bekannt). Berücksichtigt man die Lohnsteigerungen seit damals, komme ich zu dem Schluss, dass immer mehr Menschen den Spitzensteuersatz bezahlen. Da dieser aber vergleichsweise niedrig ist, profitieren vor allem die absoluten Topverdiener, deren Gehälter heutzutage im Millionenbereich liegen. Dazu 2 Fragen:
1. Wie erklären bzw. begründen Sie diese Reduzierung von über 30% und warum hat die CDU dies nicht rückgängig gemacht?
2. Wie erklären bzw. begründen Sie die Tatsache, dass ein Ingenieur den gleichen Lohnsteuersatz bezahlt wie ein DAX-Vorstand oder Fußballprofi?
Freundliche Grüße
M. K.
Sehr geehrter Herr K.,
vielen Dank für Ihre Nachricht und die Fragen.
Das Lohnsteuersystem ist ein komplexes Konstrukt und sollte daher in der Gesamtheit betrachtet werden. Immerhin wurde der Einkommensteuertarif seit 1958 24 Mal verändert, sodaß hier schon einiges unternommen wurde. Nun zu Ihren einzelnen Fragen:
1.) Richtig ist, daß in den 1980er-Jahren der Spitzensteuersatz mit 56 Prozent seinen Höchstwert hatte und seitdem gesunken ist. Gleichzeitig wurde aber auch der Tarif seit den 1980er-Jahren stets abgeflacht, um die geringen und mittleren Einkommen zu entlasten. Zudem wurde der Grundfreibetrag stets erhöht und der Eingangssteuersatz liegt aktuell bei 14 Prozent - dieser lag in den 1990er-Jahren noch bei 20 Prozent. Somit werden Singles, Ehepaare und Familien gemessen an ihrem Bruttoeinkommen heute steuerlich nicht mehr belastet als in den Jahrzehnten zuvor. Ganz im Gegenteil, Durchschnittsverdiener in Deutschland (49.915 Euro pro Jahr) zahlen dadurch je nach Familienkonstellation auf ihr Bruttoeinkommen zwischen 1,4 bis 19,2 Prozent Einkommensteuern.
Worauf Sie dennoch richtig hinweisen ist, daß Tarifgrenzen, also ab wann ein Steuersatz gilt, nicht entsprechend der Entwicklung von Preisen und Löhnen angepasst wurden. Dadurch greift heute in der Tat der Spitzensteuersatz nominal bei einem geringeren Einkommen als noch in den Jahrzehnten zuvor. Dieser Umstand ist der CDU bewusst, weshalb wir uns im Wahlprogramm ganz klar für Nachbesserungen aussprechen: Konkret soll in Zukunft der Spitzensteuersatz erst ab 60.000 Euro greifen. Zudem wollen wir die Bemessungsgrenze für die Reichensteuer auf 232.000€ absenken sowie die mittleren und unteren Einkommen steuerlich um 15 Mrd. Euro entlasten. Auch ist geplant, Familien zusätzlich zu entlasten, durch Anhebung des Kinderfreibetrags auf den Grundfreibetrag für Erwachsene. Dies kommt vor allem der Mitte der Gesellschaft zugute und nicht den Topverdienern.
2.) Ich kenne mich mit den Gehältern von bestimmten Berufsgruppen nicht im Detail aus und kann daher nicht den Lohnsteuersatz im Einzelnen nachvollziehen, zumal dieser von verschiedenen Faktoren abhängt. Entscheidend ist jedoch, daß das Einkommensteuerrecht insgesamt das Prinzip der Leistungsfähigkeit widerspiegeln sollte. Wer also mehr verdient, zahlt auch mehr an Einkommenssteuern, was in Deutschland gegeben ist: Derzeit kommen zehn Prozent der Top-Verdiener für knapp die Hälfte des Gesamtsteueraufkommens auf, während die zehn Prozent mit den geringsten Einkommen keine Einkommensteuern zahlen. Dennoch ist klar, daß Gehaltsexzesse und zu große Diskrepanzen bei Gehältern absolut nicht förderlich, ja völlig schädlich für den sozialen Zusammenhalt sind. Die Lösung kann aber nicht in politischer Regulierung liegen, sondern in der Stärkung der Tarifparteien, die für die Aushandlung von Tarifverträgen zuständig sind. Im Falle von Dax-Unternehmen sind zudem die Aufsichts- und Betriebsräte gefragt, auf eine verhältnismäßige Entlohnung ihrer Mitarbeiter zu achten. Zudem wollen wir als Union in der nächsten Periode die entstandenen Ungerechtigkeiten in der Steuerprogression weitestgehend entschärfen, dafür brauchen wir aber einen qualifizierten Koalitionspartner!
Ich hoffe, ausreichend auf Ihre Fragen eingegangen zu sein. In jedem Fall nehme ich Ihr Anliegen und die damit verbundenen Bedenken ernst. Sollte etwas unklar gewesen sein oder sich Nachfragen ergeben, beantworte ich diese gerne.
Herzliche Grüße,
Roderich Kiesewetter