Frage an Roderich Kiesewetter von Lothar B. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sie sind weiterhin für EU Beitrittsverhandlungen mit der Türkei.Wann ist bei Ihnen die Schmerzgrenze erreicht? Was tut u.a. die Regierung für den Fall, die Regierung der Türkei führt die Todesstrafe ein, dann können Beitrittsverhandlungen nicht ein Thema sein. Welchen Plan hat die Regierung für diesen Fall? Verhandlungen aussetzen, ok. aber was passiert mit dem Flüchtlingsabkommen? Welchen Plab B haben dann Deutschland und die EU? Herr Altmeier hat lt.Presse keinen Plan B. Ist man sich innerhalb der Regierung nicht einig?
Sehr geehrter Herr Brosda,
herzlichen Dank für Ihre Anfrage vom 5. August 2016. Die innenpolitischen Entwicklungen in der Türkei sind in der Tat besorgniserregend. Weshalb ich trotzdem für eine Fortsetzung der Verhandlungen zwischen der EU und der Türkei bin, werde ich Ihnen im Folgenden erläutern.
Die aktuelle innenpolitische Situation liegt an der Ausrichtung der AKP und am Vorgehen Erdogans. Das Land ist in einer innenpolitischen Krise und auf dem Weg zu einer Diktatur. Gerade aus diesem Grund wäre es falsch, die Verhandlungen abzubrechen. Insbesondere für die Sicherheitspolitik gilt, dass die Türkei und Europa gegenseitig aufeinander angewiesen sind. Beispielweise bei der Stabilisierung der Südost-Flanke der Nato und die Drehscheibe zwischen Europa und Asien. Darüber hinaus braucht die Türkei Europa als Absatzmarkt und als Partner in der Wertegemeinschaft. Bei einem Verhandlungsabbruch besteht bei Erdogan die Gefahr, dass er sich ganz aus dem Westen verabschiedet und vielleicht sogar aus der Nato austritt. Denkbar ist auch eine Annäherung an Wladimir Putin. Hier droht ein Nato-Gründungsmitglied abzudriften. Das müssen wir verhindern und deshalb müssen wir die Gesprächskanäle offenhalten.
Bei den Verhandlungen geht es nicht um den Beitritt der Türkei in die EU. Primär geht es darum, dass die Türkei so viele EU-Standards wie möglich umsetzt sowie Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit gewährleistet. Es geht darum, dass sich das Land an Europa orientiert und nicht an China oder Russland. Am Ende steht aber nicht der Beitritt in die EU. Langfristig kann man durchaus darüber reden - Gegenwärtig und auf absehbare Zeit steht eine Mitgliedschaft aber überhaupt nicht zur Debatte.
Gesondert davon sollte das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei betrachtet werden. Die EU und ihre Mitgliedstaaten müssen sich darauf vorbereiten, dass das Abkommen früher oder später platzen könnte. Das bedeutet, dass wir in Griechenland, Italien und vielleicht auch einem nordafrikanischen Land große Aufnahmezentren schaffen müssen. Außerdem muss mit Hilfe von Frontex mehr Außensicherung geleistet werden. Noch funktioniert das Abkommen, dennoch wird bereits fieberhaft an einem Plan B gearbeitet. Gebraucht wird ein System von Aushilfen, das vor allem Griechenland, Italien und Albanien stärkt.
Die Fortführung von Verhandlungen heißt nicht, dass sich die EU nicht eindeutig und kritisch zu den Entwicklungen in der Türkei äußern sollte. Zum einen müssen wir der Türkei Wertschätzung für ihre Flüchtlingsarbeit signalisieren. Zugleich müssen wir aber auch hinschauen, was etwa die Familie Erdogan macht. Kann man Konten einfrieren? Sind Sanktionen gegen seinen Clan möglich? Wie ist es möglich, dass Erdogans Sohn von bedenklichen Verhandlungen über die Energieversorgung des Kosovo profitiert? Konsequenzen dürfen sich aber auf keinen Fall gegen die türkische Gesellschaft richten.
Sehr geehrter Herr Brosda, ich hoffe, ich konnte deutlich machen, weshalb ich für weitere Verhandlungen mit der Türkei bin. Bei weiteren Fragen stehe ich Ihnen aber gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Roderich Kiesewetter