Frage an Roderich Kiesewetter von Ottmar M. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Guten Tag Herr Kiesewetter,
als Mitglied des Auswärtigen Ausschusses möchte ich Sie folgendes fragen:
Diverse Nachrichtenagenturen meldeten am 05.05.2013 einen erneuten israelischen Luftangriff auf syrisches Gebiet. Israel selbst äußert sich zu solchen, internationales Recht und die Charta der UN missachtenden Akten verständlicherweise nicht. Das ist auch nicht die erste Meldung über solche Angriffe. Warum verurteilt die westliche Politik, die es angeblich zum Schutz der Türkei vor syrischen Angriffen für erforderlich hielt, dort Abwehrraketen zu stationieren, diesen internationales Recht missachtenden aggressiven Akt Israels nicht? Als syrische Geschosse auf türkischem Gebiet einschlugen, gab es doch ein Riesengeschrei, Syrien wurde gewarnt, verurteilt usw. Warum wird Israels Gewaltakt nicht verurteilt und dort behandelt wo er hingehört, nämlich vor den UN-Sicherheitsrat? Warum wird hier mit zweierlei Maß gemessen und wer soll denn die westliche Politik überhaupt ernst nehmen? Oder hat Israel Sonderrechte? Wenn ja, wo sind die international verbrieft, nachzulesen?
O. Müller
Sehr geehrter Herr Müller,
vielen Dank für Ihre Nachricht. Leider kann ich Ihren Standpunkt nicht teilen, lassen Sie mich bitte darlegen, weshalb dies der Fall ist.
Zum einen halte ich eine Vergleichbarkeit des israelischen und syrischen Handelns nicht gegeben. Das Assad-Regime führt seit zwei Jahren einen Krieg gegen seine eigene Bevölkerung, bei dem schon über 100.000 Todesopfer zu beklagen sind und völkerrechtswidrige Waffen wie das Giftgas Sarin gegen Oppositionelle und Zivilbevölkerung eingesetzt wurden. Um seine eigene Macht zu erhalten, bricht Assad bewusst mit der staatlichen Schutzpflicht, der völkerrechtlichen fixierten "Responsibility to protect", und nimmt darüber hinaus auch eine langfristige ethnische und religiöse Spaltung Syriens in Kauf.
In diesem Kontext ist es sehr nachvollziehbar, dass die Türkei eine Extension dieses Konfliktes auf ihr eigenes Territorium befürchtet und ihre Bevölkerung vor einer solchen Gewalteskalation bewahren will. Da die Türkei in die NATO integriert ist, ist diese sicherheitspolitische Konstellation auch für alle anderen Mitgliedstaaten problematisch. Im Licht der wechselseitigen Bündnisverpflichtungen stellt die Stationierung von Patriot-Raketen an der türkisch-syrischen Grenze eine rationale Defensivstrategie dar.
Die israelische Situation präsentiert sich dagegen fundamental unterschiedlich. Tel Aviv hat ein legitimes Interesse an den Vorgängen in Syrien im Licht der Kooperation zwischen dem Assad-Regime und der terroristischen, libanesischen Gruppierung Hisbollah. Nicht nur kämpft die Hisbollah mittlerweile offen für Assad, sie nutzt auch Syrien als Transitroute für iranische Waffen und Raketensysteme, die gegen Israel eingesetzt werden sollen.
An dieser Stelle ist auch zu betonen, dass Assad selbst hier einen Völkerrechtsbruch begeht, indem er eine – von den meisten Regierungen der Welt als terroristisch klassifizierte – Organisation dabei unterstützt, Anschläge in einem Drittstaat zu planen und zu implementieren. Israel muss seine Sicherheit in einem komplexen und instabilen regionalen System garantieren, Assads Handeln hat diese Aufgabe zusätzlich erschwert.
Tel Aviv hat kein Interesse daran, in den syrischen Bürgerkrieg offen zu intervenieren. Gleichzeitig besteht die nicht unbegründete Befürchtung, dass im Fall einer weiteren Destabilisierung des Staates Chemiewaffen in die Hände der Hisbollah, einer Organisation, die sich der Vernichtung Israels auf die Fahnen geschrieben hat, gelangen könnten. Ein solches sicherheitspolitisches Risiko würden die wenigsten Staaten stillschweigend in Kauf nehmen.
Darüber hinaus muss ich auch betonen, dass keines der UN-Sicherheitsratsmitglieder – auch nicht Russland oder China als „nicht-westliche Nationen“ – einen Antrag zur Verurteilung des israelischen Handelns eingebracht hat. Das syrische Vorgehen wird dagegen von einer Mehrheit der Mitglieder abgelehnt und scharf kritisiert.
Mit besten Grüßen
Roderich Kiesewetter