Portrait von Rita Schwarzelühr-Sutter
Rita Schwarzelühr-Sutter
SPD
98 %
55 / 56 Fragen beantwortet
Frage von Simone S. •

Frage an Rita Schwarzelühr-Sutter von Simone S. bezüglich Familie

Sehr geehrte Frau Schwarzelühr-Sutter,

in der Presse musste man in den letzten Tagen erfahren, dass GrenzgängerInnen (und damit fleissige SteuerzahlerInnen in Deutschland) nicht Elterngeld berechtigt sind. Was wird in der Politik schnellstmöglich gegen diese Ungerechtigkeit unternommen?

Mit freundlichen Grüssen
Simone Schwarz

Portrait von Rita Schwarzelühr-Sutter
Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau Schwarz,

vielen Dank für Ihre E-Mail vom 26. März 2007 und Ihren Brief vom 29. März 2007, in denen Sie die Regelungen des Elterngelds für Grenzgänger kritisieren. Sie scheinen der Auffassung zu sein, dass Sie und Ihr Mann nach der Geburt Ihres Kindes im Gegensatz zu Nicht-Grenzgängern keinen Anspruch auf das deutsche Elterngeld haben. Dies ist jedoch nicht der Fall. Allein wenn beide Elternteile in der Schweiz arbeiten (so genannte „doppelte Grenzgänger“), besteht kein Anspruch auf deutsches Elterngeld, sondern lediglich auf schweizerische Familienleistungen.

Die zunehmende Grenzgängerschaft am Hochrhein ist zunächst einmal eine begrüßenswerte Entwicklung. Sie sichert nicht nur vielen Familien ein Auskommen, sie sorgt auch für soziale und wirtschaftliche Stabilität. Für alle staatlich organisierten Pflichten und Leistungen (wie Steuern, Familien- und Sozialleistungen, Alterssicherung, etc.) stellt sie jedoch ein nicht unerhebliches Problem dar, da in der Regel sehr unterschiedliche nationale Systeme miteinander in Einklang gebracht werden müssen. Ich setze mich daher dafür ein, die Alltagsprobleme der Grenzgänger zu lindern und vertretbare Lösungen zu finden. Deshalb habe ich mich in dieser Angelegenheit an das zuständige Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gewandt.

Mit vielen unserer Nachbarn wurden durch die Europäische Union und ihren Freizügigkeitsregeln diese Hindernisse beseitigt. In der Schweiz als „Nicht EU-Mitglied“ sind erst 2002 durch die bilateralen Verträge mit der EU die Regelungen zur Freizügigkeit, also des vollen Zugangs zum schweizerischen Arbeitsmarkt für EU-Bürger, in Kraft getreten. Die Schweiz hat in diesem Zuge auch die EU-Verordnung für so genannte Wanderarbeiter und die daraus folgenden Regelungen akzeptiert (Verordnung EWG Nr. 1408/71 und Durchführungsverordnung EWG Nr. 574/72).

Diese sind unmittelbar wirksam, das heißt, sie müssen nicht erst durch Deutschland oder die Schweiz in eigenes Recht umgesetzt werden. Die Verordnungen besagen, dass bei Grenzgängerschaft immer nur das Sozialsystem eines Staates zur Anwendung kommt. Alle Zweige der Sozialversicherung und auch die Familienleistungen folgen dabei der Beschäftigung. Es kann also immer nur die Familienleistung des Beschäftigungsstaates in Anspruch genommen werden.

Im Fall Ihrer Familie arbeiten Sie selbst zurzeit noch in der Schweiz, ihr Mann ist Arbeitnehmer in Deutschland. Wegen der hier vorliegenden konkurrierenden Vorschriften kommen durch den Wohnsitz in Deutschland die deutschen Familienleistungen zum Zuge. Sie haben also Anspruch auf das deutsche Elterngeld.

Sehr geehrte Frau Schwarz, es ist ein Trugschluss, dass man mit „seinen“ Steuerzahlungen auch „seine“ Familienleistungen bezahlt. Zum einen gibt es grundsätzlich keine solche unmittelbare Verknüpfung. Aus den Steuereinnahmen des Staates müssen ja auch die Schulen bezahlt, die Straßen gebaut oder die Polizisten bezahlt werden, um nur wenige Beispiele zu nennen. Zum anderen leitet sich der Anspruch auf Familienleistungen, anders als bei der Sozialversicherung, nicht aus zuvor geleisteten Beiträgen ab.

Ich möchte Ihrem Eindruck entgegentreten, dass Grenzgänger beim Elterngeld benachteiligt werden. Die Situation so genannter „doppelter Grenzgänger“ ist nur ein Beispiel, wie sehr unser Leben mittlerweile von der europäischen Realität bestimmt wird. In Staaten mit komplexen und leistungsfähigen Sozialsystemen wie in Europa ist es unerlässlich, dass man sich abstimmt. Deutschland ist mit dem Elterngeld in Mitteleuropa ein familienpolitischer Vorreiter. Momentan haben Sie als Arbeitnehmerin in der Schweiz noch nicht einmal eine Garantie, dass sie nach einer längeren Babypause in Ihren Job zurückkehren können. Einen der Elternzeit (3 Jahre) vergleichbaren Rechtsanspruch gibt es in der Schweiz nicht. In einem Europa der offenen Grenzen wird daher auch die Schweiz sich früher oder später überlegen müssen, welche Unterstützung sie jungen Eltern anbietet.

Mir ist bekannt, dass einige Abgeordnete aus Bundestag und Landtag jetzt eine Ausnahmeregel fordern. Die Frage wurde bereits mehrfach mit den Verantwortlichen in den Ministerien angesprochen. Aber wie schon bei der Frage des Kindergeldes beruft sich das Familienministerium auf das geltende EU-Recht (Verordnungen 1408/71 und 574/72). Beim Kindergeld entsteht den Eltern insofern kein Nachteil, weil über die Einkommenssteuererklärung der Kinderfreibetrag und das erhaltene Kindergeld verrechnet werden. Beim Elterngeld ist dies nicht der Fall.

Seit meiner Tätigkeit als Abgeordnete begleiten mich die Grenzgänger und ihre Anliegen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man sehr oft im Kleinen viel erreichen kann – und mit ein wenig Geduld auch im Großen. Die bilateralen Verträge sind zum Beispiel ein Erfolg. Ausnahmeregelungen müssen dabei immer gut begründet sein. Man muss darauf achten, dass durch Ausnahmeregelungen keine neuen Benachteiligungen, beispielsweise bei Nicht-Grenzgängern, entstehen. Ich bin daher sehr vorsichtig, wenn durch Ankündigungen Hoffnungen bei den Betroffenen geweckt werden, die dann aufgrund der Komplexität der Materie selten erfüllt werden können.

Mit freundlichen Grüßen

Rita Schwarzelühr-Sutter, MdB

Was möchten Sie wissen von:
Portrait von Rita Schwarzelühr-Sutter
Rita Schwarzelühr-Sutter
SPD