Frage an Richard Spieß von Michael S. bezüglich Bildung und Erziehung
Sehr geehrter Herr Spieß
Was würden Sie an unserem Bildungssystem ändern?
Sehr geehrter Herr Siedersberger
Das Thema Bildung ist aus meiner Sicht das absolut wichtigste Thema in der politischen Auseinandersetzung. In diesem Rahmen wird es schwierig werden eine umfassende Antwort zu geben aber ich werde versuchen die, aus meiner Sicht wichtigsten Dinge zu vermitteln.
Ziel eines sinnvollen Bildungssystems muss es sein, alle verfügbaren Talente zu fördern und verborgene Talente hervor zu bringen. Das kann nur in einem System funktionieren das individuell auf die Kinder eingeht und nicht, wie es in Bayern der Fall ist schon in der vierten Klasse eine völlig ungerechtfertigte Auswahl trifft die für das ganze Leben entscheidend ist.
In der Fläche sind vielerorts wohnortnahe Schulen gefährdet. Da die frühe Aufteilung der Schüler zu geringen Schülerzahlen in den einzelnen Schularten führt, müssen die Kinder weite Wege hinnehmen. Deshalb setze ich mich für eine zehnjährige gemeinsame Schule für alle ein. Ich will keine frühzeitige Auslese der Kinder. Das Projekt Gemeinschaftsschule beschreibt Wege zu einer gemeinsamen Schule für alle Kinder, unabhängig von ihrer sozialen, kulturellen oder ethnischen Herkunft, unabhängig von Alter und Geschlecht, unabhängig von der Religionszugehörigkeit und unabhängig von Behinderungen. Diese Schule ist von einer Lehr- und Lernkultur gekennzeichnet, in der gegenseitige Achtung und Akzeptanz wie auch das Lernen mit- und voneinander selbstverständlich sind. Sie fördert kollektives und regt individuelles Lernen an. Sie vermittelt den Umgang mit Verschiedenheit und interkulturelle Kompetenz. Dadurch wird gewährleistet, dass alle Schülerinnen und Schüler einen erfolgreichen Schulabschluss erreichen können. Kinder aus sozial benachteiligten Familien und Kinder mit Migrationshintergrund müssen verstärkt Zugang zu höherer Bildung erhalten.
Geleistet kann so etwas nur von Ganztagsschulen werden die so einzurichten sind, dass den Schülerinnen und Schülern auch nachmittags Bildungs- und Betreuungsangebote, insbesondere kreatives und experimentelles Lernen, zur Verfügung stehen. Bei der Erledigung der Übungs- und Wiederholungsaufgaben werden die Schülerinnen und Schüler von gut ausgebildeten Lehrkräften unterstützt.
Diese Ganztagsschulen müssen in Kooperation mit der freien Jugendhilfe und der örtlichen Sozialarbeit entwickelt werden. Ein Schwerpunkt künftiger Lehrkräfteausbildung muss im qualifizierten Umgang mit heterogenen Gruppen liegen.
Bildung ist ein Menschenrecht. Jede und jeder hat Anspruch auf gute Bildung, um die Persönlichkeit voll zu entwickeln und beste Chancen für die berufliche und persönliche Verwirklichung zu haben. Das setzt aber voraus, dass Bildung nicht von den Finanzen der Eltern abhängig ist, sondern vollkommen gebührenfrei ist, das heißt also keine Studiengebühren, kein Büchergeld, kein Kopiergeld etc. Nirgends ist das Bildungssystem sozial selektiver als in Bayern. Arbeiterkinder kommen auf die Hauptschule, Akademikerkinder aufs Gymnasium. Nirgends in Deutschland ist der Anteil der Kinder, die auf Förderschulen abgeschoben werden, so hoch. Und selbst von den Kindern, die es auf das Gymnasium schaffen, erreichen nur 38% das Abitur. Diese geringe Abiturquote kann sich ein Hochtechnologieland eigentlich nicht leisten, da gut ausgebildete Menschen die Basis für den Technologiestandort Bayern sind. Aber die Herrschenden dieses Landes holen fertig Ausgebildete Menschen lieber aus dem Ausland zu uns, denn das ist nicht mit Kosten verbunden. Diese Vorgehensweise ist aber nicht nur unserer Jugend gegenüber absolut ungerecht sondern die Länder die, die Menschen ausgebildet haben werden gleich noch mit ausgebeutet, denn sie haben die Ausbildung der Menschen bezahlt, deren Bildung dann bei uns wirtschaftlich verwertet wird. So spart man sich die Ausgaben für die Ausbildung, auf Kosten von Entwicklungsländern und beraubt gleichzeitig unsere Jugend um ihre Zukunft. Das ist zutiefst unsozial und unmenschliches Profitdenken.
Zum Thema Bildung wäre noch einiges im Bezug zur Hochschulpolitik in unserem Land oder zu der Möglichkeit der lebenslangen kostenfreien Weiterbildung zu sagen, was aber hier zu weit führen würde. Abschließend möchte ich feststellen, dass gute öffentliche Bildung erheblich mehr Geld kostet als das Land Bayern und der Bund bereit sind, zur Verfügung zu stellen: Die Bildungsausgaben lagen in Deutschland nach OECD-Angaben im Jahr 2004 bei nur 4,6 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP), wogegen der OECD-Durchschnitt bei 5,4 Prozent lag, in Schweden bei 7,4 Prozent und in Dänemark bei 8,4 Prozent. In Bayern liegt der Anteil der Bildungsausgaben am BIP noch unter dem Bundesdurchschnitt. ( Aktuellere Zahlen liegen mir momentan nicht vor aber es hat sich sicherlich nicht viel verändert ). Dieser Anteil muss zunächst schrittweise auf sieben Prozent erhöht werden und dauerhaft am wachsenden Bedarf der Menschen ausgerichtet sein. Öffentliche Bildung muss steuerfinanziert sein. Eine Privatisierung der Bildung lehne ich aus grundsätzlichen Erwägungen ab, da dies unweigerlich zur sozialen Auslese beiträgt.
Ich hoffe ich konnte Ihre Frage zu Ihrer Zufriedenheit beantworten.
Mit freundlichen Grüßen
Richard Spieß