Frage an René Röspel von Hannah T. bezüglich Migration und Aufenthaltsrecht
Hallo Herr Röspel,
Angesichts der Situation im Flüchtlingslager Moria würde ich Sie gerne um ein Statement zu ihrer Abstimmung vom 04.März 2020 fragen.
Sie haben bei "Aufnahme besonders schutzbedürftiger Geflüchteter aus den griechischen Lagern" mit Nein gestimmt. Können Sie ihre Position dazu einmal darstellen? Wieso ist die Aufnahme von 5000 besonders schutzbedürftiger für ein Land wie Deutschland nicht möglich?
Viele Grüße!
H. T.
Sehr geehrte Frau Thiel,
vielen Dank für Ihre Anfrage, die ich Ihnen gerne beantworten möchte.
Ich glaube nicht, dass „die Aufnahme von wesentlich mehr als den bislang aufgenommenen schutzbedürftigen Personen von den griechischen Inseln nicht möglich ist“. Im Gegenteil. Ich bin überzeugt davon, dass wir wesentlich mehr leisten können und müssen. Mein Abstimmungsverhalten orientiert sich mitunter nicht an dem, was ich mir (maximal) wünsche, sondern häufig an dem, was maximal realistisch erreichbar ist. Das war auch bei dieser Abstimmung der Fall. Gewünscht hätte ich mir, viel mehr Kinder aus der Notsituation befreien zu können. Da wir aber leider momentan in einer Koalition mit der CDU/CSU regieren, müssen wir auch mit diesen zu Lösungen kommen. Diese Verantwortung sind wir eingegangen, als wir uns auf eine Große Koalition geeinigt haben (nachdem die andere mögliche Regierungskonstellation die Verantwortung verweigert hatte). Und leider ist es sehr schwer mit unserem Koalitionspartner zu wirklich humanen Lösungen zu kommen. Es scheint dort am Willen (und an der Menschlichkeit?) zu fehlen. Umso wichtiger finde ich es, dass auch die Abgeordneten der CDU/CSU angeschrieben und diese daran erinnert werden, dass sie immerhin noch ein "christlich" im Parteinamen tragen. Insgesamt müssen wir mehr Druck auf Seehofer ausüben.
Es gibt zahlreiche Kommunen, die bereits seit Monaten und verstärkt seit Beginn der Pandemie Druck auf den Innenminister ausüben und signalisieren, dass sie zur Aufnahme von Geflüchteten von den griechischen Inseln bereit sind. Das wird blockiert und führt letztendlich dazu, dass Menschen unter völlig unwürdigen Umständen leben und leiden müssen.
Gleichzeitig stehe ich immer in dem Dilemma, dass eine Koalition ohne uns SozialdemokratInnen (beispielsweise bestehend aus Liberalen und Union) wahrscheinlich wesentlich weniger erreichen würde im Sinne einer humanen Asylpolitik (ein Blick nach Österreich zeigt übrigens absurdes Verhalten und Verantwortungslosigkeit: Flüchtlingspolitik ist aus dem schwarz-grünen Koalitionsvertrag ausgeklammert, so dass dort die Grünen eine restriktive Flüchtlingspolitik zulassen). Wenn die Große Koalition an dieser Frage bzw. an unserem Abstimmungsverhalten zerbrochen wäre, hätten wir gar keinen Druck mehr ausüben können auf die Union. Dass Regierungsparteien gegen einen Oppositionsantrag (und umgekehrt natürlich auch!) stimmen, ist im Übrigen üblich und war somit natürlich auch von den Grünen genauso geplant.
Ich kann jedenfalls nur hoffen, dass wir bei den nächsten Wahlen zu Mehrheitsverhältnissen kommen, die endlich wieder andere Koalitionen ermöglichen. Das wünsche ich mir nicht nur, damit ich weniger Bauchschmerzen bei der Asylpolitik des Bundes haben muss.
Zu meinem Abstimmungsverhalten zum Antrag der Grünen im März habe ich eine Persönliche Erklärung veröffentlicht, die Sie auf meiner Homepage nachlesen können:
Ich finde die derzeitige Situation ehrlich gesagt beschämend und halte mich mit meiner Meinung auch nicht zurück. Auf meiner Homepage finden Sie eine Pressemitteilung, die ich Anfang April gemeinsam mit meinem Kollegen Ralf Kapschack veröffentlicht habe: https://www.roespel.de/de/article/1156.kapschack-und-röspel-50-kinder-aus-flüchtlingslager-nur-ein-erster-schritt.html
Außerdem hat die Parlamentarische Linke (linker SPD-Flügel der SPD-Bundestagsfraktion) am 6. April ein von mir mit verfasstes Positionspapier veröffentlicht, in dem wir klarstellen, dass Deutschland wesentlich mehr Verantwortung übernehmen und schnell gehandelt werden muss. Hier nachzulesen: https://www.roespel.de/de/article/1157.positionspapier-zur-situation-von-schutzsuchenden-in-griechenland.html
Dass Seehofer jetzt verkündet, 100 bis 150 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus Moria aufnehmen zu wollen, zeigt mir, dass auch die jüngsten Ereignisse in Moria nicht zu einem Umdenken geführt haben. Das ist nicht mehr als Symbolpolitik und beschämend.
Auf dem Weg zu einer schon lange überfälligen europäischen Lösung, für die wir SozialdemokratInnen übrigens konstruktive Beiträge leisten, müssen wir sofort, unkompliziert und beherzt handeln. Unsere europäischen Werte dürfen weder nur auf dem Papier gelten noch nur für uns Europäer.
Mit freundlichen Grüße
René Röspel