Frage an René Röspel von M. E. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Herr Röspel, Über viele Jahrzehnte gab es kaum Forschung + Entwicklung für Therapien für Menschen mit Seltenen Erkrankungen. Grund: wirtschaftlich lohnte es sich nicht für die Pharmaindustrie, das GEsundheitsministerium gab lieber sein Geld gemäß Effizienz aus, also für Krankheiten, die viele Menschen betreffen. Erst seit der EU-Initiative, die zur Orphan Drugs Regelung führte, stellt die Pharmaindustrie neue Medikamente für Seltene Erkrankungen zur Verfügung, für Vaskulitiden z.B. die Biological Rituximab und Mepolizumab, die von vielen Rheumatologen als bahnbrechend in der Therapie angesehen wird. Allerdings, auch bedingt durch den längeren Patentschutz kommen diese Medikamente die gesetzl. Krankenkassen teuer zu stehen. Nun entwickelt sich die bisher durch ihren "Mehrheitsstatus" mit Forschungsgeldern im Vergleich ausgezeichnet bedachte Krankheit Krebs aufgrund der wissenschaftlichen Entwicklung zu einer Anhäufung von Seltenen Erkrankungen, nämlich durch jeweils spezifisch mutierte Krebszellen. Für diese Krebserkrankungen werden nun Therapien unter der Orphan Drugs Regelung zugelassen, sie wird sozusagen "gekapert", mit enormen Marktpreisen (Eine in den USA zugelassene Therapie gegen eine Leukämieart mit 4000 Patienten/Jahr kostet 475000 US$/Patient). Gegen diese Kosten wehren sich verständlicherweise die gesetzlichen Krankenkassen. Sie fordern einen Zusatznutzen-Nachweis für Orphan Drugs Therapien und repräsentative Studien. Das würde aber für die "echten" Seltenen Erkrankungen bedeuten, dass de facto (aufgrund der fehlenden Patientenzahl innerhalb eines bestimmten Zeitraums, regional weit verstreut dazu , evtl. über mehrere Staaten) es wohl nie mehr zu Neuzulassungen kommen würde, also eine de facto Abschaffung der Orphan Drugs Regelung.
Wie wollen Sie für Menschen mit Seltenen Erkrankungen die Orphan Drugs Regelung retten und gleichzeitig die gesetzlichen Krankenkassen vor einer Überlastung durch die Kosten für die neuen Therapien schützen?
Sehr geehrte Frau E.,
vielen Dank für Ihre Frage.
Für uns als SPD ist klar: Nur weil weniger Menschen von einer Krankheit betroffen sind, darf die Erforschung der Erkrankung und möglicher Therapieformen nicht vernachlässigt werden. Allein in Deutschland leiden ca. vier Millionen Menschen an einer seltenen Erkrankung. Europaweit sind ca. es sogar 26-30 Millionen Menschen und damit ca. 6% der EU-Bevölkerung. Neben der geringeren Patientenanzahl und eine die Durchführung von Studien erschwerende überregionale Verteilung die Sie ansprechen, sind Menschen mit seltenen Erkrankungen oftmals auch mit weiteren schwerwiegenden Problemen konfrontiert: Fehlerhafte oder verzögerte Diagnosen, die auch zu Fehltherapien mit negativen gesundheitlichen Folgen führen können, wenige SpezialistInnen und der im Vergleich zu anderen Erkrankungen höhere Betreuungs- und Zeitaufwand. Aus all diesen Gründen wurde bereits im Jahr 2010 das Nationale Aktionsbündnis für Menschen mit Seltenen Erkrankungen ( http://www.namse.de ) ins Leben gerufen. In einem Zusammenschluss zwischen dem Bundesgesundheitsministerium, dem Bundesministerium für Bildung und Forschung und Achse e.V ( http://www.achse-online.de ) wird gezielt die kooperative Forschung und Vernetzung noch WissenschaftlerInnen und Kliniken gefördert. Im August 2013 wurde ein gemeinsamer nationaler Aktionsplan veröffentlicht, dessen Maßnahmen seither von den beteiligten Bündnispartner umgesetzt werden. Über diesen Link gelangen Sie zu dem Aktionsplan: https://www.bmbf.de/files/nationaler_aktionsplan_.pdf
Vom Bundesgesundheitsministerium werden darüber hinaus die beiden Internetportale "Zentrale Informationsportal Seltene Erkrankungen" ( https://www.portal-se.de/ ) und der "Versorgungsatlas Seltene Erkrankungen" ( https://www.se-atlas.de/ ) finanziert. Beiden Seiten ermöglichen den betroffenen PatientInnen, sich zu informieren und eine geeignete Behandlung zu finden.
Trotz dieser Maßnahmen haben wir uns als SPD-Bundestagsfraktion auch in dieser Legislaturperiode wiederholt für eine Steigerung der Forschungsförderung auf dem Gebiet der seltenen Erkrankungen stark gemacht.
Allein das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert Forschungsvorhaben und -verbünde zu seltenen Erkrankungen 2017 mit knapp 47 Millionen Euro. Ziel ist, Krankheitsmechanismen aufzuklären, genetische Ursachen zu erforschen sowie neue Diagnose- und Therapieverfahren zu entwickeln. Für dieses Ziel beteiligt sich das Bundesforschungsministerium auch an der europäischen Initiative "E-Rare" ( http://www.erare.eu/ ). Hier werden die Aktivitäten der europäischen und internationalen Forschungsförderorganisationen koordiniert. Dabei werden in den Ländern Informationen über die Erforschung seltener Erkrankungen zusammengetragen, strategisch mit den beteiligten Ländern abgestimmt und schließlich grenzüberschreitende internationale Forschungsprojekte gefördert.
Außerdem hat sich die SPD bei den parlamentarischen Verhandlungen zum 2015 verabschiedeten GKV-Versorgungsstärkungsgesetz dafür eingesetzt, dass PatientInnen mit seltenen Erkrankungen jetzt auch in Hochschulambulanzen behandelt werden können. Damit kommen neue Forschungsergebnisse den Betroffenen direkt zugute.
Abschließend möchte ich gerne auch noch auf Ihre Frage hinsichtlich der europäischen Orphan Drug-Regelung eingehen. Eine „de facto Abschaffung“ der seit dem Jahr 2000 bestehenden Regelung kann ich nicht bestätigen. Im Gegenteil: Im Jahr 2000 wurde nur ein einziges Medikament für die Behandlung einer seltenen Erkrankung zugelassen, 2016 waren es bereits 14 Medikamente. Gemessen an der Gesamtzahl der neu eingeführten Medikamente ist dies ein Anteil von 33% und damit ein wichtiger Schritt für die Behandlung von seltenen Erkrankungen.
Mit der Erteilung des Orphan-Drug-Status sind bestimmte Förderungen z. B. bei der Umsetzung klinischer Prüfungen verbunden und bietet damit wirtschaftliche Anreize für die Entwicklung neuer Medikamente für seltene Erkrankungen. Ansonsten unterliegen Orphan Drugs denselben Kriterien bei der Zulassung wie alle anderen Medikamente. Diese Arzneimittel werden ebenso auf Wirksamkeit, Sicherheit und Qualität geprüft wie Arzneimittel bei häufigeren Erkrankungen.
Ein Medikament erhält den Orphan-Status von der Europäischen Kommission aber nur dann, wenn die Krankheit selten ist und das Arzneimittel voraussichtlich einen signifikanten therapeutischen Nutzen für die betroffenen PatientInnen – auch im Vergleich zu bereits vorhandenen Behandlungen, sofern es solche gibt – aufweist. Diese Entscheidung wird bei der europäischen Arzneimittelagentur EMA vom Committee for Orphan Medicinal Products (COMP) getroffen.
Unabhängig von diesem Status muss der Hersteller für die Zulassung in Deutschland – wie bei anderen Medikamenten auch – dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) einen Bericht mit Angaben zum Medikament und seinem Nutzen vorlegen. Der G-BA verhandelt dann mit dem Spitzenverband der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) über den Erstattungsbetrag für das neue Medikament. Die Krankenkassen sind also an den Verhandlungen für den Erstattungspreis direkt beteiligt. Auch eine Überlastung der Krankenkassen durch Orphan Drugs kann ich nicht erkennen und ist wohl auch für die Zukunft nicht zu befürchten: 2015 waren Orphan Drugs nur für 3,1% der Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung für die ambulante Versorgung in Deutschland verantwortlich.
Und ja, es gibt immer wieder den Vorwurf, Hersteller von Medikamenten würden Orphan Drugs nur als „Trojaner“ entwickeln, um diese dann – unter Beibehaltung der Orphan-Drugs-Vorteile – für häufigere Erkrankungen zur Zulassung zu bringen. Richtig ist aber, dass ein Orphan Drug seinen Status verliert, sobald mehr als 5 von 10.000 EU-BürgerInnen an der Krankheit für die das Medikament eingesetzt werden soll leiden oder es zusätzlich für eine Nicht-Orphan-Anwendung zugelassen wird. Es ist lediglich möglich, dass der gleiche Wirkstoff sowohl in einem Orphan Drug als auch einem anderen Medikament eingesetzt wird. Beide Medikamente müssen dann aber strikt getrennte Anwendungsgebiete, Entwicklungsprogramme und Zulassungsverfahren haben und auch getrennt vermarktet werden. Der Orphan-Status wird dann nicht automatisch auf das zweite Medikament übertragen.
Insgesamt ist es aus meiner Sicht richtig, ein Zusatznutzennachweis für den Status als Orphan Drug zu fordern und erst dadurch die damit verbundenen Vorteile zu vergeben. Das halte ich für sinnvoll, denn nur so kann ein Betrug von Herstellern ausgeschlossen werden. Dieser Umstand spricht aber aus meiner Sicht nicht gegen den Nutzen der europäischen Orphan Drug-Regelung – vielmehr zeigt es, dass wir uns auch in Zukunft für eine Erhöhung der Forschungsmittel für die Erforschung von seltenen Erkrankungen einsetzen müssen. Nur so können die weiterhin bestehenden Probleme bei der Arzneimittelentwicklung aufgrund der geringen Patientenzahl gelöst und die internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit gefördert werden. Da die Grundlagen- und präklinische Forschung zum allergrößten Teil an Universitäten und klinische Prüfungen wiederum insbesondere in Einrichtungen der Hochschulmedizin stattfinden, ist uns darüber hinaus wichtig, dass die Universitäten und vor allem die Hochschulkliniken in ihrer Vernetzung untereinander und mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen in Zukunft verstärkt gefördert werden.
Ich hoffe, ich konnte Ihre Frage damit ausreichend beantworten.
Mit freundlichen Grüßen
René Röspel