Frage an René Röspel von Carsten K. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Röspel,
wie stellen Sie sich, wie stellt sich Ihre Partei der Tatsache, dass Eltern in einem Arbeitslosengeld II-Bezug das Kindergeld in voller Höhe und ohne Abzüge als Einkommen angerechnet wird?
Gerade im Hinblick auf der vermutliche Neuordnung der Regelsätze wird immer wieder ausgeklammert, dass Kindergeld den Kindern direkt von der ohnehin schon geringen Unterstützung abgezogen wird.
Die Erhöhung des Kindergeldes zum Anfang des Jahres hat somit den hilfebedürftigen Kindern und Eltern absolut nichts gebracht. Vielmehr gab es durch schleppende Nachberechnung der Hilfen sogar Rückforderungen der Leistungen.
Durch diese Praxis der Anrechnung des Kindergeldes werden m.E. Kinder von Hartz IV-Betroffenen und in Bedarfsgemeinschaft Lebenden ungerechtfertigt gegenüber den Kindern von Erwerbstätigen benachteiligt. Es trifft damit ausgerechnet jene Kinder, die in ihrer Armut weder durch Lernmittelzuschüsse, noch durch kostenlose Schulspeisungen oder andere Vergünstigungen ein normales Leben haben dürfen.
Es ist zu befürchten, dass auch eine Umstellung auf Sachleistungen keine Änderung der Anrechnungsmodi nach sich ziehen wird und auch weiterhin die Kinder von Eltern oberhalb der Armutsgrenze staatlich abgesegnet bevorzugt werden.
Ist Ihnen diese Anrechnungspraxis bekannt?
Und werden Sie bzw. Ihre Partei sich für mehr Gerechtigkeit in dieser Hinsicht einsetzen (können)?
Ich freue mich auf Ihre Antwort.
Mit freundlichem Gruß
Carsten Koch
Sehr geehrter Herr Koch,
vielen Dank für Ihre Frage nach der Anrechnung von Kindergeld auf das Arbeitslosengeld II. Generell ist zur Einkommensanrechnung von Kindergeld zu sagen, dass bei den von allen Steuerzahlern aufgebrachten Unterstützungsleistungen an erwerbsfähige Hilfsbedürftige und ihre Familien sorgfältig geprüft werden muss, welche anderen Einkünfte bei allen Mitgliedern einer „Bedarfsgemeinschaft“ zunächst zu berücksichtigen sind. Dazu gehört auch das Kindergeld.
Sie haben Recht mit der Feststellung, dass Kinder aus Familien mit Arbeitslosengeld-II-Bezug nichts von der jüngsten Erhöhung des Kindergeldes haben. Das hat ja zu Jahresbeginn bei einigen ARGEn zu der absurden Situation geführt, dass sich Bezieher von „Hartz IV“ mit Rückzahlungsforderungen konfrontiert sahen, weil die Kindergelderhöhung noch nicht in die ALG-Auszahlung eingerechnet war. Dass es auch anders gehen kann, hatte SPD-Bundesarbeitsminister Olaf Scholz bei der letzten Erhöhung unter SPD-Regierungsbeteiligung gezeigt: Mit einer einfachen Übergangsregelung hatte er dafür gesorgt, dass die damalige Kindergeldanhebung nicht zu „Überzahlungen“ führte. (Es bleibt allerdings schwer zu vermitteln, dass das Kindergeld abhängig vom Einkommen der Eltern entweder als Sozialleistung oder in Form einer Steuererstattung gezahlt wird. Steuersystematisch soll das eine Freistellung des Existenzminimums für Kinder darstellen. Allerdings bringt bei Eltern mit einem hohen zu versteuernden Einkommen der Abzug der Kinderfreibeträge in der Regel einen Vorteil gegenüber dem Kindergeld. So entsteht die Ungerechtigkeit, dass Familien mit höheren Einkommen über den steuerlichen Kinderfreibetrag mehr Geld bekommen als Familien aus unteren Einkommensgruppen, die nur Kindergeld erhalten.)
Auch die SPD-Bundestagsfraktion hat in den vergangenen Jahren das Kindergeld mehrfach erhöht, dabei aber auch die Kinder im ALG-II-Bezug im Blick gehabt. Parallel zur letzten Kindergelderhöhung in der Großen Koalition hatte die SPD das Schulbedarfspaket durchgesetzt, um Arbeitslosen mit Kindern eine Kompensation für die Anrechnung der Kindergelderhöhung zu geben und gleichzeitig den kinderspezifischen Bedarf besser zu berücksichtigen: Alle Kinder, für die Sozialleistungen gezahlt werden, erhalten damit jährlich 100 Euro Sonderleistung für Schulbedarf. Es war ein zähes Ringen mit dem damaligen Koalitionspartner, bis wir der Union abringen konnten, dass das Schulbedarfspaket bis zum Abitur und nicht nur bis Klasse 10 gezahlt wird.
Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass die Hartz-IV-Leistungen für Kinder deren Bedürfnisse Existenz sichernd abdecken müssen. Die Bundesregierung ist nun in der Pflicht, diesen Auftrag der Verfassungsrichter rasch umzusetzen und eigene Regelleistungen für Kinder und entsprechende Einmalzahlungen einzurichten.
Außerdem fordern wir als SPD die Bundesregierung auf, den von der damaligen rot-grünen Regierung eingeführten Kinderzuschlag weiterzuentwickeln, um mehr Familien aus dem ALG-II-Bezug herauszuholen. So kann Kinderarmut besser bekämpft werden, gerade Alleinerziehende werden durch den Kinderzuschlag besser unterstützt.
Abschließend bleibt: Nicht erst seit Ottmar Schreiners Buch „Die Gerechtigkeitslücke“ (2008) halte ich die Berechnung des Regelsatzes für höchst mangelhaft und die Beträge für zu niedrig angesetzt. Wer selbst Kinder hat, weiß, dass man damit nicht auskommen kann. U. a. die Erhöhung der Regelsätze habe ich bereits in einem gemeinsamen Papier mit 60 anderen Sozialdemokraten und Gewerkschaftern im Sommer eingefordert (s. www.rene-roespel.de/ReichtumArmut.pdf ).
Ich hoffe, Ihnen mit diesen Auskünften gedient zu haben.
Mit freundlichen Grüßen
René Röspel