Frage an René Röspel von Maria G. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Herr Röspel,
Vielen Dank für ihre Antwort vom 26. Juni.
So ganz habe ich die aktuelle Rechtslage jedoch noch nicht verstanden und habe deshalb nochmal eine Nachfrage.
Wenn man keine Patientenverfügung hat, kann der Arzt dann nur auf Grundlage von "Vermutungen" über den aktuellen Willen des Patienten oder auf Grund des Willens eines "Bevollmächtigten" die medizinische Behandlung verweigern und den Patienten sterben lassen?
Im Februar ließ man in Italien die Wachkoma-Patientin Eluana Englaro verdursten. http://de.wikipedia.org/wiki/Eluana_Englaro
Die Frau hatte weder eine Patientenverfügung, noch konnte sie ihren Willen äussern. Der Vater wollte einfach darüber entscheiden, dass seine Tochter sterben soll. Ein Gericht in Mailand gab ihm Recht und die Nahrungszufuhr wurde eingestellt, woraufhin die Patientin verdurstet ist.
Im März haben Ärzte in England die Beatmung eines schwerkranken Babys eingestellt, gegen den WIllen der Eltern. Ein Gericht gab den Ärzten dazu das Recht. http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/0,1518,614733,00.html
Ich finde solche Fälle beängstigend, wie da mit Menschenleben umgegangen wird und Dritte darüber einfach so verfügen können.
Wären solche Fällen Ihrer Meinung nach in Deutschland auch möglich?
Ist es sinnvoll, dass man auch dann eine Patientenverfügung erlässt, wenn man KEINE Einstellung der medizinischen und pflegerischen Versorgung wünscht, um ganz sicher zu sein, dass zumindest niemand einfach kommen und mein Leben beenden darf? Oder reicht es wirklich aus, wenn man einen vertrauten Vormund benennt, der mich und meinen Willen kennt und dann in meinem Sinne für mich entscheiden kann?
Mit freundlichen Grüßen
Maria Geisner
Sehr geehrte Frau Geisner,
vielen Dank für Ihre Nachfrage vom 30. Juni 2009.
Zunächst muss man zwischen Bevollmächtigten und Betreuern unterscheiden. Während ein Bevollmächtigter durch Sie persönlich eingesetzt wird, in dem Sie etwa eine Vorsorgevollmacht ausfüllen und unterschreiben, wird der Betreuer durch das Vormundschaftsgericht eingesetzt. Hierbei ist denkbar, dass ein naher Verwandter, oder aber auch ein Berufsbetreuer eingesetzt wird. Dies hängt von der konkreten Situation ab.
Der Arzt allein kann und darf nicht über die Einstellung lebenserhaltender Maßnahmen entscheiden. Vielmehr muss zunächst der Bevollmächtigte kontaktiert werden bzw. ein Betreuer durch das Vormundschaftsgericht eingesetzt werden. Der Art stellt zuvor zunächst fest, ob eine bestimmte therapeutische Maßnahme medizinisch indiziert ist, ob also bei Vorliegen eines bestimmten Krankheitsbildes die Durchführung einer bestimmten medizinischen Maßnahme überhaupt angezeigt ist.
Der Betreuer bzw. Bevollmächtigte muss dann nach Rücksprache mit dem Arzt entsprechend dem Wohl des Patienten etwa über die Einstellung oder Weiterführung lebenserhaltender Maßnahmen entscheiden. Wenn keine schriftliche Willenserklärung vorliegt, wird der so genannte "mutmaßliche Wille" des Patienten herangezogen. Hierzu heißt es in dem mehrheitlich vom Bundestag angenommenen Gesetzentwurf zur Patientenverfügung: "Der mutmaßliche Wille ist aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln. Zu berücksichtigen sind insbesondere frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen des Betreuten."
Üblicherweise lehne ich Vergleiche mit Fällen aus anderen Ländern ab, da diese Staaten über andere politische, religiöse und ethische Traditionen bzw. Erfahrungen verfügen. Dennoch kann man die beiden von Ihnen geschilderten Fälle unter Bezugnahme auf das (voraussichtlich ab September geltende) deutsche Recht zur Patientenverfügung diskutieren.
Im Fall Englaro wäre es nach den Regelungen des Gesetzentwurfs der Gruppe um den Kollegen Joachim Stünker durchaus denkbar, dass die künstliche Ernährung eingestellt wird. Laut den Eltern der Patientin hatte sie sich gegen dauerhafte künstliche Ernährung ausgesprochen. Wie belastbar solche Aussagen sind, ist meist umstritten und hier muss dann gegebenenfalls ein Gericht entscheiden. Klar ist aber: nach dem vom Bundestag mehrheitlich angenommenen Gesetzentwurf wäre die Einstellung lebenserhaltender Maßnahmen in einem "Fall Englaro" denkbar und möglich.
Der Fall in Großbritannien ist ein extremer Ausnahmefall, der allerdings gleich in mehrfacher Hinsicht problematisch ist. In Deutschland hätten die Ärzte wohl vor Gericht beantragen müssen, dass anstatt der Eltern ein Betreuer eingesetzt wird, der über die Einstellung der lebenserhaltenden Maßnahmen hätte entscheiden müssen. Ob der Richter diesem Ansinnen zugestimmt hätte, hierüber kann man nur spekulieren. Wichtig ist immer, dass der Betreuer / Bevollmächtigte zum Wohl des Patienten entscheidet. Ich wünsche es niemandem, angesichts der Schmerzen des Kindes und der Aussichtslosigkeit der Behandlung darüber entscheiden zu müssen, ob es zum Wohle des Kindes angezeigt ist, die lebensnotwendige Beatmung einzustellen.
Nun zur Frage, ob es sinnvoll ist, eine Patientenverfügung auch dann abzufassen, wenn man alle Möglichkeiten der Lebenserhaltung und Therapie ausschöpfen möchte. Zunächst ist es immer sinnvoll, eine Vorsorgevollmacht abzufassen, damit eine Person, die ich persönlich benannt habe, meine Interessen gegenüber Ärzten und Gerichten vertreten kann. Auch ist es immer hilfreich (egal, ob ein Betreuer oder Bevollmächtigter in der Verantwortung steht), den Vertretern des Patienten eine schriftliche Hilfestellung an die Hand zu geben. Hierin können Sie selbstverständlich betonen, dass Sie etwa unter keinen Umständen vor Ausschöpfung aller medizinischen Möglichkeiten eine Einstellung lebenserhaltender Maßnahmen wünschen. Dem Bevollmächtigten machen Sie seine ohnehin schwierige Arbeit deutlich leichter, wenn Sie mit dieser Person etwa bestimmte Fallkonstellationen durchsprechen und ihr oder ihm dann auch noch etwas Schriftliches an die Hand geben. Insofern kann auch angesichts der von Ihnen skizzierten Wünsche die Abfassung einer Patientenverfügung sinnvoll sein.
Mit freundlichen Grüßen
René Röspel