Warum stellen Sie den vermeintlichen Freiheitsgedanken über Vernunft und besseres Wissen, indem Sie gegen Tempolimits sind?
Sehr geehrter Herr Houben,
Sie werden im DLF zitiert, dass Sie gegen Tempolimits sind, "weil das genauso wäre, als würde man Menschen vorschreiben, dass sie nur noch bis 14 Grad heizen dürften." Wissen und Vernunft sagen uns, dass Menschen bei 14 Grad auf Dauer frieren und dabei gegebenenfalls krank werden.
Ein Tempolimit führt zu weniger Energieverbrauch, zu weniger schweren Unfällen und Toten und schont die Umwelt. Das ist Allgemeinkonsens und wäre also durch und durch vernünftig. Im Übrigen sehen das laut Umfragen die Mehrheit der Menschen in Deutschland auch so.
Meine Frage an Sie und fast alle FDP- Politiker lautet: Wieso stellen Sie in dieser Frage den vermeintlichen Freiheitsgedanken über die Vernunft und über besseres Wissen?
Vielen Dank, Grüße, Hans T.
Sehr geehrter Herr T.,
danke für Ihre Nachricht bezüglich meines Interviews im Deutschlandfunk am 31.03. Gerne nutze ich die Gelegenheit, um Ihnen meine Position hinsichtlich eines Tempolimits genauer darzulegen als es im Rahmen des kurzen Interviews möglich war.
Der russische Angriffskrieg in der Ukraine stellt uns vor die Herausforderung, die russischen Energieimporte schnell zu substituieren und unseren Energiemix zu diversifizieren. Dabei ist es richtig, dass die Bundesregierung eine Vielzahl von Maßnahmen offen und pragmatisch prüft. Dazu zählen unter anderem die Verlängerung der Laufzeiten von Kohle- und Atomkraftwerken, die Beschaffung von Flüssiggas oder die Frage der Entlastung der Bürger und Entspannung der Rohstoffpreise. In diesem Kontext wird auch erneut die Idee eines generellen Tempolimits diskutiert. Wie auch bei den anderen genannten Vorhaben gilt es, den konkreten Nutzen eines zeitlich befristeten Tempolimits in der gegenwärtigen Situation zu evaluieren und ihn gegen die inhärenten Nachteile abzuwägen. Das Tempolimit würde einen direkten staatlichen Eingriff in das Konsumverhalten vieler Bürgerinnen und Bürger darstellen. Der Staat würde "topdown" bestimmen, wo Energie eingespart werden muss. Der Vergleich mit der Begrenzung der Heizung verdeutlicht, als wie abstrus wir einen solchen staatlichen Ordnungseingriff in einem anderen Bereich unseres täglichen Lebens wahrnehmen würden. Es ist effizienter, die Energie dort einzusparen, wo es gesamtgesellschaftlich am günstigsten ist. Der hohe Spritpreis setzt bereits eine Anreizwirkung möglichst sparsam zu fahren oder das Auto gleich stehen zu lassen. Eine aktuelle Erhebung auf Basis von Versicherungsdaten zeigt, dass das Fahrvolumen privater Autos im März bereits 10% weniger betrug als im Februar (https://www.zeit.de/mobilitaet/2022-03/tempolimit-autobahn-energie-debatte?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F). In einer liberalen Demokratie sollten Verbote lediglich die Ultima Ratio sein, wenn wichtige Ziele nicht anders erreicht werden können und keinen symbolischen Selbstzweck darstellen.
Die zentrale Frage, die der Diskussion zugrunde liegt, ist die Versorgungssicherheit mit Öl. Bei der Ölversorgung gibt es kein Mengenproblem. Die am Markt verfügbaren Mengen an Rohöl haben seit der russischen Invasion nicht abgenommen. Auch verfügt Deutschland seit der Ölkrise der 1970er Jahre über eine staatliche Ölreserve, die einen Ausfall der gesamten Importe über 90 Tagen kompensieren kann. Angesichts des Volumens des russischen Ölimports von etwa einem Drittel des deutschen Ölverbrauchs, ließe sich allein mit der Reserve der russische Anteil der deutschen Ölversorgung neun Monate substituieren. Dem gegenüber stehen die Bemühungen der Bundesregierung andere Lieferländer zu akquirieren, um die Menge der russischen Ölimporte bis Mitte des Jahres zu halbieren und bis Ende des Jahres unabhängig von russischem Öl zu sein. Die hohen Kraftstoffpreise sind insbesondere auf eine Unsicherheit am Markt im Zuge des russischen Einmarsches sowie einer erhöhten Nachfrage nach Heizöl zu erklären. Ein Tempolimit würde, bis es beschlossen und umgesetzt ist, keinen großen Beitrag mehr zur Unabhängigkeit von russischem Öl liefern können und durch den Verwaltungsaufwand der Umstellung gegebenenfalls mehr kosten als es uns kurzfristig nutzt.
Die Maßnahmen der Bundesregierung zur Substituierung der russischen Öl-Exporte können Sie auch unter folgendem Link nachlesen: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/Energie/0325_fortschrittsbericht_energiesicherheit.pdf?__blob=publicationFile&v=14.
Das Interview im Deutschlandfunk finden Sie in voller Länge hier: https://www.deutschlandfunk.de/schwaechste-entlasten-interview-reinhard-houben-mdb-fdp-wirtschaftsausschuss-dlf-83857ce9-100.html.
Mit freundlichen Grüßen
Reinhard Houben