Frage an Reinhard Brandl von Martin H. bezüglich Innere Sicherheit
Sehr geehrter Herr Dr. Brandl,
Horst Köhlers Äußerungen zum militärischen Schutz unserer Handelswege sind vor allem von der Opposition scharf kritisiert worden, dabei hat er ja nur das gesagt, was ohnehin seit 2006 im "Weißbuch 2006 zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr" steht, das von einer Unions-SPD-Regierung verabschiedet wurde (S. 24: "Die Sicherheitspolitik Deutschlands wird von ... dem Ziel geleitet, die interessen unseres Landes zu wahren, insbesondere ... den freien und ungehinderten Welthandel als Grundlage unseres Wohlstands zu fördern.")
Ich habe eine Frage zu diesem Weißbuch: Ich kann verstehen, dass sozialdemokratische Politiker diese Art von Militärpolitik vertreten, denn ihnen geht es nur um Wohlstand für die Menschen in unserem Land.
Aber christlich orientierte Politiker müssen einen weiteren Horizont haben: Es kann ihnen nicht nur um die Deutschen gehen. Wenn wir anderswo Menschen töten, um unseren Wohlstand zu sichern, ist das nach meinem Verständnis mit den christlichen Werten nicht vereinbar.
Deshalb meine Frage: Sehen Sie (gerade auch angesichts der Kontroverse um die Köhler-Äußerungen) einen Anlass, aufgrund Ihrer Werte-Orientierung das Weißbuch von 2006 zu revidieren? Mit der derzeitigen deutlichen Mehrheit der Union im Bundestag müsste das doch gehen.
Mit freundlichen Grüßen,
Ihr
Prof. Dr. Martin Haspelmath
Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Haspelmath,
für Ihre Frage vom 17. Juni 2010 bedanke ich mich. Gerne nehme ich Stellung zu der von Ihnen angeführten Stelle aus dem Weißbuch des Bundesverteidigungsministeriums von 2006 und Ihrer damit verbundenen Frage, ob das Weißbuch zu revidieren sei.
Im heutigen sicherheitspolitischen Umfeld ist das Militär nur ein Teil der Sicherheitsarchitektur eines Landes. Im Weißbuch von 2006 ist das vermerkt. Es ist das gültige Regierungsdokument für eine umfassende sicherheitspolitische Konzeption der Bundesrepublik Deutschland. Teil dieser Konzeption ist auch die Überzeugung, dass der freie Waren- und Güterverkehr für Wohlstand und langfristige Sicherheit der Menschen in Deutschland grundlegend ist. Aber auch der weltweite Wohlstand wird durch ungehinderten Handel gemehrt. CDU und CSU sind der Überzeugung, dass es gerade im Sinne des christlichen Menschenbildes ist, diesen Wohlstand zu sichern. In diesem Ziel stimmen wir im Übrigen mit den Hilfs- und Entwicklungsdiensten der beiden großen Kirchen überein.
Natürlich formuliert eine Regierung im Rahmen ihrer nationalstaatlichen Verantwortung zunächst diejenigen Interessen, die für Staat und Bürger des eigenen Landes maßgeblich sind. Dies tun andere Staaten selbstverständlich auch. Durch internationale Vereinbarungen können sich Staaten zu gemeinsamen Überzeugungen und Werten bekennen. Das Interesse an freien Handelswegen sei hier genannt. Insofern sind die Bemühungen Deutschlands um sichere Handelsrouten in diesen weiten Kontext einzuordnen und sehr wohl legitim.
Wenn ich Ihre Fragestellung richtig deute, dann geht es Ihnen vor allen Dingen um eine angeblich falsche Priorisierung zwischen den Prinzipien Wohlstandsförderung eigener Staatsbürger und Schutz des Lebens aller Menschen. Wir sind der Überzeugung, dass die wichtigsten Voraussetzungen für Frieden staatliche Ordnung und Teilhabe an wirtschaftlicher Prosperität sind. In den Auslandseinsätzen der Bundeswehr ist es daher stets Ziel, diesen Frieden herzustellen oder zu sichern.
Es kann angesichts von beinahe 20 Jahren Erfahrung mit Auslandseinsätzen kein Zweifel daran bestehen, dass die Bundeswehr stets bestrebt ist, mit dem geringstmöglichen Einsatz von Gewalt ihren Auftrag zu erfüllen. Als besonders prägnantes Beispiel sei hier die Mission ATALANTA angeführt. Bei der dortigen Bekämpfung von Piraterie ist durch die seit 2008 bestehende Beteiligung der Bundeswehr bisher nur ein Mensch durch einen unglücklichen Querschläger ums Leben gekommen. Insofern ist der Vorwurf, es würden Menschen für wirtschaftliche Interessen geopfert, nicht zu halten.
Die Bundesrepublik Deutschland greift bei der Durchsetzung ihrer Interessen auf ein breites Spektrum von Maßnahmen zurück. Das Militär ist in diesem Instrumentenkasten nur ultima ratio. Und selbst in diesem Fall handelt Deutschland stets im Bündnis mit der Legitimierung durch UNO, NATO oder EU. Das christliche Wertegefüge steht meines Erachtens dem Handeln Deutschlands in Sicherheitsfragen daher nicht entgegen. Insofern besteht auch kein Anlass, das Weißbuch zu revidieren.
Mit freundlichen Grüßen
Reinhard Brandl