Frage an Rebecca Harms von Kim Ole A. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Harms,
nach dem Irland nun mit Nein für den EU-Vertrag gestimmt hat, sagt das Gesetz, dass der EU-Vertrag nichtig ist. Jetzt höre ich aber, dass einige Politiker in Deutschland und in anderen EU-Ländern sich einfach über dieses Gesetz hinwegsetzen und den Vertrag auch ohne Irland ratifizieren wollen. Das gibt erstens ein schlechtes Vorbild, denn jeder muss sich an Gesetze halten und zweitens ist dieses Verhalten zutiefst undemokratisch. Für den einfachen Bürger sieht es so aus, als würden die Regierenden ihre Ziele um jeden Preis durchsetzen wollen und es wird auf nichts und niemanden Rücksicht genommen nicht einmal auf ein Referendum, also auf Volkes Stimme. In einer Sendung des ARD-Magazins Panorama gab es einen Beitrag, in dem einige Bundestagsabgeordnete nach dem Inhalt des EU-Vertrages gefragt wurden, die Antworten waren für Menschen, die über den EU-Vertrag abstimmen sollten, nicht sehr Vertrauen erweckend. Wie Sie wissen, haben fast alle Bundestagsabgeordnete den Vertrag von Lissabon "durchgewinkt", ohne diesen inhaltlich wirklich zu kennen. Schon dieser Umstand hat mein Vertrauen in unsere Demokratie erschüttert.
Daher meine Anfragen an Sie:
1. Wäre es nicht besser, den Völker der EU generell ein Referendum zuzugestehen, nachdem das Für und Wieder eines solchen weitgehenden Vertrages öffentlich diskutiert und verständlich gemacht worden ist.
2. Wie stehen Sie zu den Aussagen von Prof. Karl Albrecht Schachtschneider im Bezug auf der Lissabon-Vertrag sei eine Art „Ermächtigungsgesetz" und wenn der Vertrag in Kraft trete, sei „Deutschland keine Demokratie mehr“
Mit den besten Wünschen
Kim Ole Andersen
Sehr geehrter Herr Andersen,
vielen Dank für Ihr Interesse an meiner Position. Das "Nein" der Iren muss sehr ernst genommen werden. Allerdings wäre ich nach wie vor sehr froh, wenn die demokratischen Verbesserungen im Gefüge der drei Institutionen, Parlament, Kommission und Rat doch kommen würden. Sicher ist der Lissabonvertrag genau wie vorher schon die Verträge für eine Verfassung nicht das Optimum. Schon gar nicht aus der grünen Perspektive. Aber die Reformen würden die demokratische Kontrolle - auch durch verstärkte Einbeziehung der nationalen Parlamente - stärken. Und es ist bitter und leider auch widersprüchlich, dass die bisherige Situation der EU mit den Verträgen von Nizza mit der Begründung, der Lissabonvertrag sei undemokratisch, nun wahrscheinlich länger andauern wird.
Ich bin mir der Defizite der Brüsseler Ebene der Politik durchaus bewusst. Allerdings halte ich nach wie von den Zusammenschluss der europäischen Staaten unter einem Dach für einen sehr großen Fortschritt, der insgesamt Frieden und Sicherheit stabilisiert. Wir werden aber, selbst wenn der neue Vertrag doch noch mit Ach und Krach käme, den Zweifeln vieler Bürger in den Mitgliedstaaten ganz anders begegnen müssen als bisher. Lange war die Vergangenheit, Krieg und Unterdrückung im letzten Jahrhundert, eine ausreichende Begründung für das gemeinsame Europa. Die EU, so groß und schwer fassbar wie sie heute ist, braucht ganz eindeutig eine neue Begründung, die die Bürger stärker auch von der gemeinsamen Zukunft überzeugt. Dass der Binnenmarkt ohne eine starke Orientierung auch für die soziale Gerechtigkeit nicht ausreicht als Argument, sollte nach Frankreich, Holland und Irland deutlich sein.
Die Einschätzung "Ermächtigungsgesetz" halte ich für ganz falsch, wie sie sich nun sicher denken können. Und ich möchte sie auch daran erinnern, dass in zwei Mitgliedstaaten es sogar positive Voten in Referenden zum Verfassungsvertrag gab. Ich bin auch nicht damit einverstanden, dass eine repräsentative Entscheidung durch Parlamente grundsätzlich gleich undemokratisch ist. Aber natürlich ist es falsch, dass einige Mitgliedstaaten abstimmen dürfen und andere nicht. Wir haben uns deshalb immer für eine Abstimmung aller Bürger der EU an einem Tag eingesetzt.
Wir Europaabgeordneten haben große Sorge, dass dringende politische Projekte wie soziale Mindeststandards im europäischen Arbeitsmarkt, der Klimaschutz oder die Entflechtung des Energiemarkts nun auf der Strecke bleiben, weil uns das alte Vertragswerk nicht hinreichend erlaubt, Gesetzesvorhaben der Europäischen Kommission mit zu gestalten.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen weiterhelfen und empfehle Ihnen meinem Blogeintrag zum Nein der Iren unter http://www.rebecca-harms.de/index.php/lesen/referendum-eu-irland .
Bitte verfolgen Sie die Diskussion doch weiter in den verschiedenen Angeboten meiner Fraktion und des Parlamentes.
Mit freundlichen Grüßen
Rebecca Harms