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Rebecca Harms
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Frage von Paul G. •

Frage an Rebecca Harms von Paul G. bezüglich Europapolitik und Europäische Union

Sehr geehrte Frau Harms

im Zuge der anstehenden Europawahl interessiert mich Ihre Meinung zu folgendem Thema:
Vor etwas mehr als einem Monat haben Libyen und Italien die Vereinbarung getroffen, dass Libyen seine Grenzkontrollen verschärft, um Flüchtlinge dran zu hindern, die Mittelmeerküste zu erreichen und den riskanten und oft tödlichen Weg nach Europa anzutreten. Auch die EU-Institution Frontex (Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen) verfolgt, unterstützt von Deutschland, das Ziel, Flüchtlinge möglichst weit vor Europas Grenzen aufzuhalten. Senegal und Lybien unterhalten Auffanglager, in welche aufgefasste Flüchtlinge bis zu ihrer Abschiebung deportiert werden.
Aber ist dies der richtige Weg? Menschenrechtsorganisationen berichten von Misshandlungen und Vergewaltigungen, von dahinvegetierenden Kindern und dem Aussetzen von Flüchtlingen in der Wüste. Trotz starken Kontrollen steigt die Zahl der Flüchtlinge z.B. in Italien weiter stark an. Aufgrund der strengen Kontrollen weichen die Schlepper auf immer gefährlichere Routen zurück, zum Beispiel nicht mehr von Senegal auf die Kanaren sondern durch die Sahara und Lybien. Wer diese Gefahren und Strapazen auf sich nimmt lässt sich auch durch strengere Kontrollen nicht abschrecken. Wenn man bedenkt, dass ein Großteil der Flüchtlinge sowieso durch Urlaubsvisa und mit dem Flugzeug nach Italien kommt halte ich die Frontex-Maßnahmen für eine sinnlose Verschlimmerung der Zustände.
Die Frage ist auch, können sich die EU und Deutschland bei zunehmender Überalterung das Einigeln leisten? Sollten wir nicht lieber die Immigration in geregelte Bahnen lenken und die Integration der Einwanderer fördern. Kurzfristig mögen dadurch vielleicht höhere Kosten entstehen, aber auf einen längeren Zeitraum gesehen ist dies die einzige Möglichkeit, Renten, Arbeitslosengeld und so weiter zu sichern.
Mich würde interessieren, wie Sie und Ihre Partei zu diesem Thema stehen.

Hochachtungsvoll
Paul Gabrysch

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Gabrysch,

haben Sie vielen Dank für ihre Mail und ihr Interesse an Grüner Europapolitik. Sie sprechen ein höchst aktuelles und drängendes Problem an, das gleich mehrere Politikbereiche betrifft: Migrationspolitik, Sozialpolitik, internationale Zusammenarbeit, Alterung der Gesellschaft und Bildung - und das gleichwohl auf nationaler wie europäischer und internationaler Ebene. Ich teile ihre Sorge ebenso wie Ihre Analyse der Problemlage; wir Grünen haben uns auch in unserem Wahlprogramm intensiv damit auseinander gesetzt. Für Sie ist es wahrscheinlich am gewinnbringendsten, wenn Sie diese Abschnitte direkt lesen, da sie auch eine offizielle Festlegung der Grünen Position bedeuten. Ich möchte daraus gerne zitieren, speziell aus Kapitel 7 "Gesellschaft gestalten. Der grüne Weg für Demokratie und Bürgerrechte, ab S. 115. (Sie finden das Programm auch online unter http://www.gruene.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/Europawahlprogramm/Europawahlprogramm.pdf ) Der Teil ist relativ ausführlich, woraus Sie entnehmen können, dass uns diese Frage sehr wichtig ist.

"DIE GRÜNEN stehen für eine europäische Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik, die auf der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Genfer Flüchtlingskonvention basiert. Die derzeitige Abschottungspolitik der Europäischen Union an den EU-Außengrenzen steht in krassem Gegensatz zur Genfer Flüchtlingskonvention. Es darf nicht sein, dass Europa auf schutzsuchende Menschen mit der Aufrüstung der Grenzkontrollen und mit Abschottung reagiert, die bereits Tausende Tote gefordert hat. Für uns zählt die humanitäre Verantwortung. Wir wollen Menschenleben retten, Flüchtlinge schützen und das Grundrecht auf Asyl durchsetzen und stärken. Europa soll nicht als »Festung« gegen Flüchtlinge abgeschottet werden, sondern muss ein sicherer Zufluchtsort sein. Nicht nur moralische, sondern auch ökonomische Gründe sprechen dafür, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten ihre Einwanderungspolitik modernisieren. Die Zahl der erwerbsfähigen Bevölkerung nimmt drastisch ab. Eine legale Einwanderung ist ein Weg, den Anforderungen des Arbeitsmarktes nach Fachkräften zu begegnen. Migration sollte daher nicht immer nur als Problem, sondern vor allem als Chance für ein vielfältiges Europa verstanden werden. Zudem muss die Situation von Millionen von Flüchtlingen und Migrantinnen und Migranten verbessert werden, die innerhalb der EU in der Illegalität leben und oftmals weder in die sozialen Sicherungssysteme eingebunden sind, noch grundlegende politische Rechte wahrnehmen können. Ein modernes migrationspolitisches Konzept, dass vor allem bei den Ursachen von Flucht und Migration ansetzt, muss eine Strategie zur Armutsbekämpfung und Konfliktverhütung beinhalten.

Menschenrechtsorientierte Flüchtlingspolitik vorantreiben

Wir wollen, dass alle Menschen, die Schutz brauchen, ihn erhalten können. Deshalb fordern wir die konsequente Durchsetzung des Grundrechts auf Asyl auf europäischer Ebene. Die EU-Staaten sind in der Pflicht einen uneingeschränkten und allumfassenden Flüchtlingsschutz sicherzustellen. Schutzbedürftige müssen tatsächlich Einlass in die EU erhalten. Zudem setzen wir uns für ergänzende Instrumente bei der Flüchtlingsaufnahme ein. Hierzu zählt zum Beispiel die freiwillige Aufnahme von Menschen, die der UN-Flüchtlingskommissar in Drittstaaten bereits als Flüchtlinge anerkannt hat. Wir GRÜNE fordern zugleich eine gerechte und solidarische Teilung der Verantwortung bei der Flüchtlingsaufnahme innerhalb Europas, unter Beachtung humanitärer Grundsätze, wie etwa des Schutzes Minderjähriger, der aufgrund ihrer sexuellen Identität verfolgter Menschen und der Berücksichtigung nichtstaatlicher Verfolgungsgründe, unter denen meist Frauen leiden. Wir wollen eine deutliche Aufstockung der Mittel des Europäischen Flüchtlingsfonds und eine Konzentration der Mittelvergabe auf die Bereiche der Flüchtlingsaufnahme und Integration. Wir fordern die Überarbeitung der EU-Abschiebehaftrichtlinie.

Leben von Flüchtlingen retten

Wir wollen keine Militarisierung der Außengrenzen oder eine Flüchtlingsabwehrpolitik, wie sie bisher durch die »Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen« (FRONTEX) vorangetrieben wird. Es ist auch nicht hinzunehmen, dass weder nationale Parlamente noch das Europaparlament über genaue Informationen zu den FRONTEX-Einsätzen verfügen. Stattdessen setzen wir uns für eine neue humanitäre europäische Gesamtstrategie ein, bei der der europäische europäische Grenzschutz vergemeinschaftet wird, statt außerhalb demokratischer Kontrolle koordiniert zu werden. Die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention müssen ohne Abstriche gelten. Die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit müssen in allen Bereichen der Flüchtlingspolitik sichergestellt sein, auch beim Grenzschutz in der EU.

Ein erster Schritt in dieser Richtung bedeutet beispielsweise, dass Personen, die unter FRONTEX-Kommando im Einsatz sind, unverzüglich und längst überfällig, eine adäquate Menschen und Grundrechteausbildung im Umgang mit Migrantinnen und Migranten und Flüchtlingen erhalten. Wir fordern europaweit die Trennung von Polizei und Militär und eine enge Zusammenarbeit mit der von uns vorgeschlagenen Friedensagentur.
Auf dem Meer aufgegriffene Flüchtlinge haben nach der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention das Recht, einen Asylantrag zu stellen. Das muss auch jenseits der Zwölf-Meilen-Zone ohne Abstriche gelten. Es ist zudem nicht hinnehmbar, dass FRONTEX Flüchtlingsboote unter fragwürdigen Umständen zur Rückkehr zwingt. Kapitäne, die aus Seenot retten und diese im Hafen eines Mitgliedslandes absetzen, dürfen nicht angeblicher Beihilfe zur unerlaubten Einreise strafrechtlich verfolgt werden.
Wir GRÜNE stehen für eine Politik, bei der alle EU-Staaten Verantwortung für den Schutz von Flüchtlingen übernehmen. Investitionen in zivile Seenotrettung, Entwicklungshilfe, humane Unterbringung und Integration sind zielführender als teure Abschottungsmaßnahmen.

Einwanderungsmöglichkeiten schaffen

Wir wollen eine Einwanderungspolitik in der EU schaffen, die Einwanderung gestaltet, das Asylrecht schützt und Integration fördert. GRÜNE stehen für eine längerfristig angelegte Einwanderungspolitik - nicht nur für Höchstqualifizierte, die eine Bereicherung der EU in kultureller, demographischer und auch ökonomischer Hinsicht darstellt. Daher lehnen wir die bisherigen Vorschläge der EU-Kommission ab, da sie keine ausreichenden Möglichkeiten eines festen Aufenthalts in der EU beinhalten. Darüber hinaus fordern GRÜNE nationale Modelle zur so genannten Punktemigration, die auf europäischer Ebene koordiniert werden. Es ist darauf zu achten, dass solche Einwanderungssysteme nicht Frauen beziehungsweise Menschen mit Familienpflichten oder Menschen mit Behinderungen benachteiligen."

Ich hoffe, Ihnen mit meiner Antwort weitergeholfen zu haben.

Mit freundlichen Grüßen,

Rebecca Harms