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Rasmus Andresen
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Tobias B. •

Wie gehen die Grünen mit der Niederlage um? Wie ist die Reaktion auf den Rechtsruck? Was wird sich ändern bei den Grünen?

Sehr geehrter Herr Andresen,

die EU Wahlen sind vorbei. Für die Grünen war es ein katastrophales Wahlergebnis gewesen. Ein Minus von fast 9%.

Wie gehen die Grünen mit dieser Niederlage um?

Hinzu kommt der Rechtsruck in den Wahlen. In Frankreich hat Le Pens einen deutlichen Sieg eingefahren, wodurch Macron zu Neuwahlen aufgerufen hat.

Was sind die Reaktionen von den Grünen? Wird es zu einer Änderung in der Politik der Grünen kommen? Wie werden die Grünen ihr Ansehen verbessern können?

Denn ein „Weiter so“ kann es nicht geben.

Viele ehemalige Grünen Wähler (auch ich) sind schließlich zur AfD, CDU und besonders zu vieler Kleinparteien wie Volt gewandert, weil die Politik der Grünen enttäuschend war.

Mit freundlichen Grüßen

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Vielen Dank für Ihre Anfrage. Ich teile Ihre Einschätzung, dass das Wahlergebnis für uns Grüne sehr enttäuschend war und wir uns damit weder zufrieden geben können, noch gibt es daran etwas zu beschönigen.

Wir als Partei müssen die Analyse dieses Wahlergebnisses dringend ernst nehmen und insbesondere in Vorbereitung auf die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg in diesem Jahr und die Bundestagswahl im kommenden Jahr ernsthaft aufarbeiten.

Eine der zentralen ersten Erkenntnisse ist: Die einst für grüne Politik potenziell erreichbaren Wähler*innen waren diesmal massiv demobilisiert. Wie Sie auch beschreiben, haben eine Vielzahl der Wähler*innen, die sich in der Vergangenheit den Grünen zugewandt gefühlt haben, sich dieses Mal stattdessen für insbesondere die CDU und Kleinstparteien wie Volt entschieden. Dies hat eine Vielzahl an komplexen Gründen, was sich auch an der Abwanderung in verschiedene Richtungen erkennbar macht.

16 Jahren als Opposition im Bund, massive Klimaproteste, großer klimapolitischer Handlungsbedarf und diesbezügliche Versäumnisse der damaligen Merkel-Regierung, sorgten 2019 für besonders hohe Erwartungen und Hoffnungen, dass wir Grünen die dringend notwendige Veränderung bringen könnten. Spätestens ab der grünen Regierungsbeteiligung auf Bundesebene wurden diese Hoffnungen und Erwartungen allerdings zunächst mit einer herausfordernden Dreierkoalition konfrontiert und zudem sahen sich Wahl- und Koalitionsvertragsversprechen bald mit drastisch steigender Inflation und Krieg in Europa unvorhergesehenen Herausforderungen schwierigen Abwägungsfragen gegenüber. Wir haben es versäumt die an uns gestellte Erwartung im Austausch mit unseren Wähler*innen an diese neue Realität anzupassen. Auch die gesellschaftliche Akzeptanz für die Maßnahmen für die wir einstehen ist dabei in Teilen auf der Strecke geblieben. In diesen Zeiten braucht es dringend einen einem intensiven Austausch mit breiten Bündnissen von Akteuren aus allen Bereichen von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik, um unser Handeln auch bei schwierigen Kompromissen verständlich zu machen und  um die Menschen wieder besser mitzunehmen.

Besonders innerhalb der Bundesregierung müssen wir einen besseren Weg finden nach innen und außen miteinander zu kommunizieren. Innerhalb der Koalition muss es darum gehen, zügig und verlässlich zu politischen Lösungen zu kommen und diese souverän gemeinsam zu kommunizieren. Auch wenn man sich nicht in jedem Detailaspekt mit eigenen Forderungen durchsetzt: Ein verlässlicher Kompromiss ist auch für die eigene Basis akzeptabler als wochenlange Hängepartien oder gegenseitige Blockaden, für die niemand außerhalb der Politikszene Verständnis hat. 

Gerade angesichts der populistischen Herausforderungen in Deutschland und Europa muss es unser Anspruch als Parteien in der Bundesregierung sein in gegenseitigem Respekt für die Menschen in unserem Land überzeugende Lösungen in Zukunftsfragen gemeinsam entwickeln, kommunizieren und umsetzen. Entscheidend ist allerdings dabei, dass das Ringen um Kompromisse vermittelt und erklärt wird. Das gilt gerade mit Blick auf jene (vor allem jüngeren) Menschen, die Veränderung in der Politik dringlich erreichen wollen und hohe Erwartungen in Bündnis 90/Die Grünen haben. Wenn der Veränderungsanspruch nicht ausreichend überzeugend vermittelt wird – selbst bei schwierigen Dilemmata – wird die Anhängerschaft zwangsläufig demobilisiert. 

Ein ambitioniertes politisches Programm kann nur gemeinsam mit den Menschen in den unterschiedlichen Sphären unserer Gesellschaft angegangen werden. Dies erfordert respektvolle Kommunikation auf Augenhöhe mit Bürgerinnen und Bürgern, mit gesellschaftlichen Partnern. Dies gilt umso mehr mit Blick auf diejenigen in der Gesellschaft, die eher skeptisch gegenüber den ambitionierten grünen Zielen sind, aber gleichzeitig für die Umsetzung und Verbreitung entscheidend sind. 

Grüne Politik wird mitunter als Ausdruck eines spezifischen Lebensstils betrachtet, der sich über andere stellen würde. Einerseits gilt es darum, solchen einschlägigen Überzeichnungen durch die politische Konkurrenz deutlich entgegenzutreten. Andererseits sollten die Grünen selbst keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass unterschiedliche Lebensstile selbstverständlich in ihrer Vielfalt und in gegenseitigem Respekt zu einer offenen Gesellschaft gehören. Überheblichkeit hat dort keinen Platz, ganz gleich, ob in der Millionenmetropole, im Bergdorf oder in der Kleinstadt. Das "Wie" in der Kommunikation ist hierbei von grundlegender Bedeutung. Das heißt unter anderem, die Potenziale grüner Politik für ländliche Räume deutlicher und selbstbewusst durch regional verwurzelte Menschen glaubwürdig zu kommunizieren. 

Gerade bei den jüngeren Wählergruppen haben wir es bei dieser Wahl nicht geschafft emotional anknüpfungsfähige Ziele, für die es sich lohnt, den Grünen die eigene Stimme zu geben, zu setzen. Die Klimakrise, die 2019 noch europaweit eine "grüne Welle" ausgelöst und insbesondere viele junge Menschen mobilisiert hat, hat bei dieser Wahl nicht ansatzweise den gleichen Raum im öffentlichen Diskurs eingenommen. Hier müssen Partei und ihr nahestehende Bewegungen nacharbeiten, ohne dabei Realismus und eine breite Ansprache aus dem Blick zu verlieren. 

Zentrale Bedürfnisse, wie jene nach sozialer Absicherung und einem hohen Lebensstandard, müssen stärker gehört und in Sprache und Kommunikation anerkannt werden. Auch das muss nicht notwendigerweise zu Lasten anderer Programmschwerpunkte gehen. Doch klar ist auch, dass es für eine glaubwürdige Ansprache der Menschen nicht genügt, ihre Interessen lediglich zu benennen. Was stattdessen nötig ist, sind konkrete Politikansätze und eine emotional vermittelte Erzählung. 

Mit herzlichen Grüßen,

Rasmus Andresen

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