Frage an Ralph Lenkert von Christian S. bezüglich Gesundheit
Guten Tag Herr Lenkert,
können Sie es mit Ihrem Gewissen vereinbaren, für das Infektionsschutzgesetz zu stimmen? Wird über diese Gesetzesänderung namentlich abgestimmt?
Sehr geehrter Herr Scheiber,
am Mittwoch, den 21. April habe ich, hat die gesamte LINKSfraktion gegen das "4.Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite" gestimmt, in namentlicher Abstimmung: https://www.bundestag.de/parlament/plenum/abstimmung/abstimmung?id=726
Ich möchte Ihnen die Gründe darlegen, die zu meiner persönlichen Ablehnung führten:
Seit Monaten versagt die Regierung bei der Bekämpfung der Pandemie. Die Regierung versäumte es, die Expertise von Sozialwissenschaft, Psychologie, Verhaltensforschung, Pädagogik, ja selbst die Aerosolforschung umfassend zu nutzen. Damit fielen die Entscheidungen zur Pandemiebekämpfung auf Grundlage von drei Bereichen: Exportwirtschaft, die sollte möglichst keine Einschränkungen haben; Virologie berechtigt, aber eben nur mit Blick auf die Infektionen, nicht auf die Nebenwirkungen; und Krankenhäuser - Schutz vor Überlastung.
Das führte im Ergebnis dazu, dass meisten Einschränkungen die Bevölkerung und die Dienstleistungsbranche betreffen, besonders hart trifft es viele Familien, Kinder, Jugendliche und Beschäftigte in Kultur, Gastronomie, Tourismus und Veranstaltungsbereichen. Finanzielle Unterstützung ist unzureichend, zu bürokratisch und dauert oft zu lange.
Versprechen, wie mehr finanzielle Anerkennung für Pflegeberufe, also bessere Bezahlung, wurden gebrochen.
Bis heute, über ein Jahr nach Pandemiebeginn gibt es noch immer keine einheitliche Software, damit Gesundheitsämter effektiver arbeiten können und somit Infektionsketten schneller unterbrochen werden. Das Versagen bei der schnellen Bereitstellung zuerst bei Masken, dann bei Schnelltests und bis heute bei Impfstoffen aber auch bei besserer Ausstattung der Bildungseinrichtungen ist offensichtlich. Statt die eigenen Fehler zu beheben, bürdet die Bundesregierung erneut die Hauptlast der Pandemiebekämpfung den Menschen auf.
Die mangelhafte Beteiligung der Parlamente an Entscheidungen und fehlende öffentliche Debatten zu Maßnahmen und deren Wirksamkeit, zu Einschränkungen und alternativen Wegen, führten in Teilen der Bevölkerung zum Verlust der Akzeptanz und bei einigen Gruppen gar zum bewussten Ignorieren und Leugnen der Gefährlichkeit dieser Corona-Infektionen. Dass es anders geht, zeigt Portugal.
Aus meiner Sicht hätte man in der aktuellen Situation auch anders vorgehen können - ja müssen.
Ausgangssperren sind kontraproduktiv und für mich ist die Kritik an der Ausgangssperre wissenschaftlich und juristisch begründet. Die komplizierten Konstruktionen, mit denen versucht wird zu begründen, warum man Menschen in Räume zwingen sollte, wo Infektionen viel wahrscheinlicher sind, sind immer mehr theoretischer Natur und beruhen auf Vermutungen, die der Realität widersprechen. Außerdem gilt: fordere nichts ein, was nicht umsetzbar ist. Ausganssperren sind nur mit massivstem Polizei- und Ordnungskräfteaufgebot halbwegs durchsetzbar, dadurch fehlen uns Kapazitäten an wichtigeren Stellen und Verständnis und Akzeptanz für andere Maßnahmen gehen verloren.
Noch immer fehlt parlamentarische Kontrolle von Verordnungen in Ländern und Kommunen und die Kontrollrechte des Bundestages sind nicht ausreichend.
Es fehlen Strategien, um mit Testungen 1. Ausbreitungswege zu unterbrechen, 2. Schulen, Unis und Kindergärten offenhalten zu können und 3. schrittweise Öffnungen für Dienstleistungen, Kultur, Freizeit, Gastronomie und Dienstleistungen zu ermöglichen.
Nachdem die gefährdetsten Personengruppen fast vollständig geimpft sind, sollte schnellstens eine Umstellung der Impfstrategie auf Unterbrechung der Ausbreitungswege und zum Offenhalten von den genannten Bildungseinrichtung erfolgen.
Damit wir alle Mut und Zuversicht schöpfen, sollten alle Aktivitäten mit extrem niedriger Infektionsgefahr ermöglicht werden, gegebenenfalls mit Schnelltest und Maskenpflicht.
Außerdem sollten einschränkende Maßnahmen an weitere Parameter geknüpft werden, mindestens noch an den Belegungsgrad der Intensivbetten und die Verfügbarkeit von Pflegepersonal, den R-Faktor und an die Frage, ob nur ein einzelner, gut mit Quarantäne eingrenzbarer Hotspot die Inzidenz nach oben treibt, beispielsweise eine Wohnheim.
Ich hätte mir im Gesetzentwurf folgenden Maßnahmen-Mix gewünscht:
1. Eine wöchentliche Schnelltestpflicht für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber und kostenfrei, aber verpflichtend für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
2. Für 3 Wochen ein komplettes Stilllegen der PKW-Endmontagewerke und der Endmontage von Werften mit der Wirkung, dass die gesamten Zulieferketten für ebenfalls 3 Wochen stillgelegt würde, aber umgangen wird, dass irgendeine Firma, die Zulieferungen für Medizinprodukte und Impfkampagnen leistet, bei den komplexen Lieferketten aus Versehen mit stillgelegt wird. Diese Gefahr bestände bei einer allgemeinen Stilllegung der Industrie (selbst mit Ausnahmen).
3. Firmen, die Kurzarbeit anmelden, bekommen die Reduzierung genehmigt mit der Auflage, dass die Arbeitszeitreduzierung zusätzliches Potential zur Infektionsgefahrsenkung beinhaltet. Z.B. statt täglicher oder wöchentlicher Stundenreduzierung, eine Reduzierung im Block, also komplette Wochen. Bei Inzidenzen über 100, Reduzierung auch als Schließung der Arbeitsstätte über ein bis zwei Wochen.
4. Freigabe der Außengastronomie von 10:00 bis 20:00 Uhr - mit zweitägiger Schnelltest-Pflicht für das Personal und Maskenpflicht für Personal und Gäste, außer man sitzt am Tisch, das hebt die Moral und etliche jetzt illegal stattfindende Treffen in Räumen werden in legale Treffen im Freien umgewandelt.
5. Öffnung aller Freizeitaktivitäten, die im Freien und mit Abstand durchführbar sind, mit üblicher Maskenpflicht.
6. Verpflichtung für Wohnungseigentümer, ihre Treppenhäuser, Flure und Fahrstühle besser zu lüften, denn durch Brandschutztüren und energetische Sanierung findet in den genannten Bereichen kaum Luftaustausch statt, Aerosole können so lange erhalten bleiben und Viren sich weiterverbreiten.
7. Eine Maskenpflicht in Fahrstühlen, Treppenhäusern und Fluren aller Gebäude und in öffentlichen Toiletten, so wie in öffentlichen Verkehrsmitteln.
8. Schnelltest-Pflicht für Personal von Lieferdiensten und Zustellerinnen und Zusteller von Paket-, Brief- und Postdiensten jeden zweiten Arbeitstag.
9. 2x je Woche Schnelltest-Pflicht für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Reinigungsfirmen und für den Lebensmitteleinzelhandel, ebenso für Kontroll- und Sicherheitspersonal.
10. 2x je Woche Schnelltests für pädagogisches Personal, 2x für Schülerinnen und Schüler (bis 4. Klasse nur Spucktest, bis 10. Klasse auch mit Nasenabstrich im vorderen Nasenbereich 2-2,5 cm).
11. Ändern der Impfstrategie, jetzt sollten alle Bereiche durchgeimpft werden, die viele Menschenkontakte haben müssen. Das sind insbesondere die Bereiche, für die ich zwei Schnelltests je Woche vorschlage.
Ein Teil meiner Vorschläge wurde durch Änderungsanträge der Koalition umgesetzt, aber bei Weitem nicht ausreichend, deshalb blieb ich bei Nein zum Gesetz.
Mit freundlichen Grüßen
Ralph Lenkert