Frage an Ralph Lenkert von Yvonne S. bezüglich Gesundheit
Wie stehen Sie zur Masern-Impfpflicht? Kennen Sie bzgl. des vorgelegten Gesetzesentwurfes die Stellungnahme des Ärzte für individuelle Impfentscheidung e. V. (s. deren web-site)?
Sehr geehrte Frau S.,
bitte entschuldigen Sie, dass die Beantwortung Ihrer Frage sich länger hingezogen hat. Meine Fraktion und ich haben sich sehr intensiv mit dem Thema Masernimpfpflicht auseinandergesetzt. Sich in dieser Frage festzulegen, erfordert die Auswertung vieler Informationen und kann auch nie endgültig sein.
2015 hat DIE LINKE im Bundestag beschlossen, auf Freiwilligkeit zu setzen und sich gegen eine Impfpflicht ausgesprochen. Dies in der Hoffnung, die Vernunft bringt die Menschen zur Impfung. Wir haben uns geirrt, es ist nicht gelungen die Impfrate ausreichend auf 98% zu steigern. Gerade bei der Wiederholungsimpfung, die dann den lebenslangen Schutz bedeutet, verharrt die Impf-Quote der nachkommenden Jahrgänge bei unter 95%. Damit gefährdet ein "Nichtimpfen" gegen Masern andere Menschen, nämlich die unten genannten Gruppen.
Masern sind wie Grippewellen, ihre Stärke schwankt, aber Masern sind extrem ansteckend, außer sie treffen auf immunisierte Menschen. Entscheidend ist für meine Bewertung einer Impfpflicht die Durchimpfung der Bevölkerung, nicht die Krankenraten, beim jetzigen Impfniveau. Bei sinkender Impfrate wird bei jeder folgenden Masernwelle die Krankenrate schlagartig steigen, aber dann ist es für ein Vorbeugen zu spät.
Es gibt Menschen mit schwachem Immunsystem, z.B. Leukämie und vor allem die Babys unter 9 Monaten, die kann man nicht impfen, die werden indirekt vor Masern geschützt, indem die Impfrate der restlichen Bevölkerung ausreichend hoch ist, so dass eine Verbreitung der Masern unterbrochen wird.
Daher erfolgt meine Abwägung nicht dem falschen Vergleich von absoluten Impfkomplikationen zu Nebenwirkungen aktueller Masernfälle in Deutschland, sondern zur Bewertung der Impfrisiken muss man die Prozentzahl der Impfkomplikationen bei Impfungen zu den Komplikationen bei Masernerkrankungen ohne Impfung stellen. Oder man betrachtet es im Vergleich zu Situation vor der Masernimpfung. Allgemein wird von einem Todesfall auf 1.000 - 2.000 Masernerkrankungen ausgegangen. Unter dem im Folgenden aufgeführten Link finden sie ein Diagramm aus den USA, teilen Sie die Zahlen durch 4, dann entsprechen diese Deutschland, wo es leider keine so gute statistische Erfassung gab: https://de.wikipedia.org/wiki/Masern#/media/Datei:Masern_in_den_USA,_1950_-_2016.png .
Die Impfung schützt auch die Geimpften vor einer Masernerkrankung mit möglichen schweren Komplikationen. Die Zeit hat die Risiken durch eine Erkrankung und durch die Impfung gegeneinandergestellt, siehe https://www.zeit.de/wisen/gesundheit/2015-02/masern-impfung-risiko-nebenwirkung https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2015-02/masern-impfung-risiko-nebenwirkung .
Die Entscheidung zur Impfverweigerung und Verzicht auf Eigenschutz ist keine rein persönliche, da sie eben auch das Recht von Kranken und Neugeborenen auf körperliche Unversehrtheit, konkret den Schutz vor der Infektionskrankheit Masern, die schwere Nachwirkungen auslösen und auch tödlich enden kann, verletzt.
In der Abwägung der Folgen einer schlechten Impfrate im Vergleich zu den Folgen einer Impfpflicht und des jeweiligen Eingriffes in das Recht auf körperliche Unversehrtheit spreche ich mich für eine Impfpflicht aus, solange nicht mindestens 98% Impfrate erreicht werden.
Gelänge es, eine Impfrate von annähernd 100% für einige Jahre weltweit zu erreichen, dann wären Masern, so wie die tödlichen Pocken, ausgerottet und dann könnten auch die Impfungen komplett entfallen.
Allerdings lehne ich eine Strafzahlung bei Verstößen gegen die Impfpflicht, wie im Gesetzentwurf der BR gefordert, ab. Auch die notwendige Stärkung des öffentlichen Gesundheitsdienstes, bei dem in den letzten 10 Jahren ein Drittel der Stellen gestrichen wurde, fehlt ebenfalls im Gesetzesentwurf der Koalition. Daher teile ich Ihnen abschließend damit, dass meine Fraktion und ich dem Gesetzentwurf zur Einführung einer Impfpflicht nicht zustimmen werden.
Mit freundlichen Grüßen
Ralph Lenkert