Frage an Ralph Lenkert von Roman B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Eingestellt durch Roman Breier:
Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener e.V. (BPE)
Geschäftsstelle:
Wittener Str. 87
44789 Bochum
Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener e.V. (die-BPE)
Geschäftsstelle:
Haus der Demokratie und Menschenrechte
Greifswalder Straße 4
10405 Berlin
Sehr geehrte ,
vor der Bundestagswahl 2013 möchten wir,
der BPE e.V. (1)
und die-BPE e.V. (2),
Ihnen als Kandidatin Gelegenheit geben, sich zu folgenden fünf Fragen zu äußern, die zum Teil unsere Grundrechte und Interessen zentral betreffen:
• Setzen Sie sich für eine bedingungslos folter- (3) und gewaltfreie Psychiatrie ein?
• Setzen Sie sich für eine Abschaffung aller psychiatrischen Sondergesetze ein, wie es die Behindertenrechtskonvention fordert?
• Verhindern Sie jeden Versuch, rechtliche Betreuung zu einem Ausbildungsberuf zu machen, weil Qualität nur durch Abschaffung der Zwangsbetreuung gesichert werden kann?
• Setzen Sie sich für eine Todesfallstatistik aller psychiatrisch Behandelten ein?
• Setzen Sie sich für mehr Geld für die Selbsthilfe Psychiatrie-Erfahrener ein?
Wir wollen für unsere Mitglieder, Unterstützer und die interessierte Öffentlichkeit die Anworten als /"Wahlprüfsteine/" publizieren. Wir werden auch eine Wahlempfehlung daraus ableiten.
Deshalb bitten wir Sie, uns bis spätestens 6.9.2013 Ihre persönliche Antwort zukommen zu lassen, bitte auch als E-Mail an die Absenderadresse (4). Wenn Sie uns nicht antworten sollten, erlauben wir uns davon auszugehen, dass Ihnen das Interesse an diesen Themen fehlt und Ihre ausbleibende Antwort als 5 "Nein" auf unsere Fragen zu werten.
Mit freundlichen Grüßen
Für den Vorstand des BPE: Johannes Georg Bischoff und Matthias Seibt
Der Vorstand von die-BPE: Roman Breier, Uwe Pankow, Rene Talbot
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(1) BPE e.V.:
http://www.bpe-online.de/
(2) die-BPE e.V.:
http://www.die-bpe.de/
(3) Zum Folterbegriff aus Frage Nummer Zwei:
http://www.folter-abschaffen.de/
(4) Absenderadresse:
kandidatenwatch@gmx.de
Sehr geehrter Herr Breier,
vielen Dank für Ihre Fragen und entschuldigen Sie bitte, dass die Beantwortung etwas dauerte. In diesem speziellen Gebiet fehlt mir das notwendige Fachwissen, um Ihnen eine substanzielle Antwort geben zu können. Deshalb habe ich die Fachleute meiner Partei DIE LINKE um Unterstützung bei der Beantwortung Ihrer Fragen gebeten. Die Antworten dieser Fachleute werde ich im Bundestag vertreten und Sie finden diese Antworten nachfolgend.
"folter- und gewaltfreie Psychiatrie
Setzen Sie sich für eine bedingungslos folter- und gewaltfreie Psychiatrie ein?
DIE LINKE hat eine „gewaltfreie Psychiatrie“ in ihr Wahlprogramm aufgenommen. Darüber hinaus soll die „rechtliche Diskriminierung, insbesondere über psychiatrische Sondergesetze und ärztliche oder betreuungsrechtliche Zwangsbefugnisse“ aufgehoben werden.
Wir sehen die deutsche Praxis der Zwangsbehandlung kritisch und haben das Gesetz der Koalitionsfraktionen im Januar 2013 als einzige Fraktion im Bundestag abgelehnt. Es verfolgt nicht das Ziel, Zwangsmaßnahmen zu minimieren, geschweige denn abzuschaffen, sondern versucht, die alte Behandlungspraxis verfassungsrechtlich zu legitimieren. Das widerspricht nach unserer Auffassung dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) sowie der UN-Behindertenrechtskonvention und den Menschenrechtserklärungen.
Das oberste Gebot für jede medizinische Behandlung ist die Freiwilligkeit, denn ohne wirksame und informierte Einwilligung in die Behandlung ist jeder Eingriff eine Körperverletzung. Es müssen alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, zu einer Behandlung zu kommen, die mit einer „auf Vertrauen gründenden Zustimmung“ (BVerfG) der Patientin oder des Patienten stattfindet. Bereits hier gibt es in Deutschland große Defizite. Die Möglichkeiten der Patientenverfügung, der Vorsorgevollmacht und der Behandlungsvereinbarung werden nicht annähernd ausgeschöpft. Sie sollten von den Behandelnden aktiv angeboten werden, stattdessen werden sie teilweise eher als Affront betrachtet.
Aussagefähige Studien zum Nutzen von Zwangsbehandlungen sind Mangelware, auch die traumatisierenden Wirkungen wurden nicht hinreichend untersucht. Es ist momentan unklar, auf welcher Grundlage die gesetzlichen Anforderungen hinsichtlich des Nutzens überhaupt erfüllbar sind - zumindest wenn die Einschätzung wissenschaftlichen Mindeststandards genügt und damit einer willkürlichen Beurteilung der Behandelnden entzogen wird.
Insbesondere die in Deutschland praktizierten Zwangsmedikationen und Fixierungen sind menschenrechtlich nicht zu rechtfertigen und werden von der LINKEN abgelehnt. Es gibt weniger eingreifende und traumatisierende Alternativen, wie etwa „weiche Zimmer“, das Konzept der offenen Türen, das Festhalten durch Personal statt der Fixierung an Liegen usw. Viele dieser Maßnahmen erfordern viel Personal und ausreichend Zeit. Wir fordern unter anderem dafür eine Mindestpersonalbemessung in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen (Bundestagsdrucksache 17/12095) sowie die Rücknahme der tagespauschalierten Finanzierung für psychiatrische Einrichtungen.
Begleitend sind Maßnahmen auszubauen, die psychische Krisensituationen im Vorfeld minimieren. DIE LINKE fordert daher den Ausbau ambulanter Hilfesysteme und Home Treatment-Angebote mit dem Ziel, die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern, schnelle ambulante Hilfe in Krisensituation zu gewährleisten und die Zahl der stationären Aufenthalten zu reduzieren.
Abschaffung aller psychiatrischen Sondergesetze
Setzen Sie sich für eine Abschaffung aller psychiatrischen Sondergesetze ein, wie es die Behindertenrechtskonvention fordert?
Wie oben geschrieben hat DIE LINKE die Abschaffung der rechtlichen Diskriminierung über psychiatrische Sondergesetze in ihr Wahlprogramm aufgenommen. Eine Fremdgefährdung kann durch Unterbringungsregelungen hinreichend ausgeschlossen werden. Dabei ist es unerheblich, ob eine psychische Erkrankung besteht. Eine medizinische (Zwangs-) Behandlung ist in diesen Fällen nicht erforderlich. Außerdem müssen alle Regelungen zur Zwangssterilisation gestrichen werden.
Betreuung zu einem Ausbildungsberuf machen
Verhindern Sie jeden Versuch, rechtliche Betreuung zu einem Ausbildungsberuf zu machen, weil Qualität nur durch Abschaffung der Zwangsbetreuung gesichert werden kann?
Auch DIE LINKE geht davon aus, dass der derzeitige häufige Gebrauch des Instruments der Zwangsbetreuung der Qualität von Betreuungen widerspricht und Betreuungsverhältnisse nachhaltig stört. Auf das Mittel der Zwangsbetreuung ist möglichst zu verzichten. Da die Betreuung auch im freiwilligen Bereich aber eine sehr anspruchsvolle Aufgabe darstellt, ist eine gewisse Professionalisierung von Betreuerinnen und Betreuern und das Knüpfen einer rechtlichen Betreuung an bestimmte Kenntnisse und Fähigkeiten zur Qualitätssteigerung sinnvoll. Wichtig ist dabei neben Fachkenntnissen vor allem die institutionelle Unabhängigkeit von Betreuerinnen und Betreuern, damit sie auch tatsächlich ausschließlich im Interesse der Betroffenen handeln.
Todesfallstatistik
Setzen Sie sich für eine Todesfallstatistik aller psychiatrisch Behandelten ein?
Eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag brachte hervor, dass erschreckend wenige Daten zum Einsatz und den Folgen von Zwangsmaßnahmen in der Psychiatrie vorliegen. Wir fordern, die gesundheitlichen Folgen von Zwangsmaßnahmen und Behandlungsalternativen so weit möglich klinisch zu untersuchen und einer Nutzenbewertung zu unterziehen (vgl. Bundestagsdrucksache 17/12090). Das erfordert nicht zuletzt die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Dazu gehört selbstverständlich auch die Ermittlung von Todesfällen mit detaillierter Angabe der Todesursache.
Es ist zudem nicht hinnehmbar, dass eine Zwangsunterbringung und/oder -behandlung unterschiedlich häufig angeordnet wird. Die Anwendung von Zwang variiert extrem von Klinik zu Klinik, aber auch regional, so dass sich der Eindruck von Willkür aufdrängt. Das muss ebenfalls untersucht und mittels bundeseinheitlicher Vorgaben behoben werden.
Mehr Geld für die Selbsthilfe Psychiatrie-Erfahrener
Setzen Sie sich für mehr Geld für die Selbsthilfe Psychiatrie-Erfahrener ein?
DIE LINKE fordert eine Aufwertung der Selbsthilfe und der Patientenvertretung. Zwar sind Patientenvertreterinnen und -vertreter in etlichen Gremien der Selbstverwaltung vertreten - mitentscheiden dürfen sie jedoch nur selten. Auch das widerspricht der UN-Behindertenrechtskonvention. Wir setzen uns für ein volles Stimmrecht der Patientenvertretung im Gemeinsamen Bundesausschuss ein (vgl. Antrag auf Bundestagsdrucksache 17/6489). Dafür müssen die Selbsthilfestrukturen finanziell und personell aufgewertet werden. Da es sich um ein gesamtgesellschaftliches Interesse handelt, ist den maßgeblichen Patientenorganisationen mit Mitteln des Bundes eine umfangreiche Beteiligung an den Entscheidungsprozessen in der Selbstverwaltung zu ermöglichen."
Mit freundlichen Grüßen
Ralph Lenkert