Frage an Ralf Kapschack von Florian A. bezüglich Innere Sicherheit
Sehr geehrter Herr Kapschak,
ich wünsche Ihnen viel Erfolg für Ihre Kandidatur zur Bundestagswahl 2017 in unserem Wahlkreis. Hier sind drei Fragen an Sie:
1. Werden Sie sich dafür einsetzen, dass Deutschland dem „Vertrag über das Verbot von Kernwaffen“ beitritt, der am 7. Juli 2017 von der betreffenden UN-Konferenz beschlossen wurde? Wenn ja, wie werden Sie dies tun? Wenn nein, warum nicht?
2. Werden Sie sich für die Beendigung der nuklearen Teilhabe Deutschlands im Rahmen der NATO und den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland einsetzen? Wenn ja, wie? Wenn nein, warum nicht?
3. Wie bewerten Sie den Bundestagsbeschluss „Deutschland muss deutliche Zeichen für eine Welt frei von Atomwaffen setzen“ vom 26. März 2010 (Drucksache 17/1159)? Wurde der Beschluss adäquat umgesetzt? Falls nein, wie werden Sie darauf reagieren?
Hintergrund:
Bereits der Einsatz einer einzigen Atombombe kann Hunderttausende von Menschen innerhalb kurzer Zeit töten oder unheilbar verletzen. Eine adäquate medizinische Versorgung der Opfer ist allein logistisch nicht möglich. Sollten im Konfliktfall mehrere nukleare Sprengköpfe zum Einsatz kommen, droht eine Klimakatastrophe mit Zusammenbruch der Landwirtschaft und Hungersnöten.
In der Vergangenheit hat es mehrere Male beinahe einen massiven nuklearen Erstschlag gegeben. Es ist dem besonnenen Umgang der betroffenen Militärs zu verdanken, dass es nicht dazu kam. Aktuell befinden sich weltweit etwa 1.800 von ungefähr 15.000 Atomwaffen in Alarmbereitschaft und könnten innerhalb von Minuten eingesetzt werden.
Am 7. Juli 2017 wurde von der betreffenden Konferenz der Vereinten Nationen der „Vertrag über das Verbot von Kernwaffen“ beschlossen. Deutschland hatte zuvor in den Vereinten Nationen gegen die Aufnahme der Vertragsverhandlungen gestimmt und hat sich im Folgenden den Verhandlungen fern gehalten.
Ich danke Ihnen im Voraus für Ihre Antwort.
Freundliche Grüße
F. A., Witten
Arzt
Sehr geehrter Herr A.,
vielen Dank für Ihre Nachricht vom 07. August 2017 zum Thema „Verbot von Kernwaffen“, die ich Ihnen als Ihr direkt gewählter Wahlkreisabgeordneter gerne beantworte.
Noch immer gibt es weltweit rund 16.000 Atomwaffen. Als Kriegsdienstverweigerer finde ich erst recht: Jede Atombombe ist eine zu viel. Deshalb bin ich froh, dass sich die SPD seit langem für die weltweite Ächtung aller Atomwaffen einsetzt. Allerdings sind die Bemühungen um ein weltweites Verbot von Atomwaffen bislang kaum vorangekommen.
Wir unterstützen regionale Ansätze für Zonen frei von Massenvernichtungswaffen und setzen uns nachdrücklich dafür ein, dass im Rahmen eines gesamteuropäischen Abrüstungsvertrages die verbliebenen taktischen Atomwaffen aus Deutschland und Europa abgezogen werden.
Die SPD hat im Koalitionsvertrag von 2013 durchgesetzt, dass die Bundesregierung dem Ziel verpflichtet bleibt, die Bedingungen für eine Welt ohne Nuklearwaffen zu schaffen. Jede künftige Bundesregierung, an der die SPD beteiligt ist, wird sich diesem Ziel ebenfalls verpflichten müssen.
In diesem Sinne setzen wir uns seit langem gegenüber den Nuklearwaffenstaaten und in den internationalen Abrüstungsgremien für konkrete Fortschritte bei der nuklearen Abrüstung und deren Verifikation ein. Wir tun dies in der Überzeugung, dass tatsächliche Fortschritte in der nuklearen Abrüstung nur über einen schrittweisen Ansatz möglich sind, der auf dem Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NVV) beruht und der die Nuklearwaffenstaaten einbezieht.
Wie von Ihnen angemerkt, haben am 7. Juli 2017 122 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen in New York einen Vertrag zum Verbot von Kernwaffen beschlossen. Mit der Forderung nach einem sofortigen Verbot von Atomwaffen droht jedoch – entgegen der guten Intention seiner Befürworter – der Nukleare Nichtverbreitungsvertrag geschwächt zu werden. Denn alle kernwaffenbesitzenden Staaten sind den Verhandlungen ferngeblieben. Es bleibt eine Tatsache, dass allen voran die USA und Russland, die über 90 Prozent der Nuklearwaffen besitzen, sich nicht an dieser Diskussion beteiligt haben. Ohne ein aktives Mitwirken der Kernwaffenstaaten kann es aber keine Fortschritte in der nuklearen Abrüstung geben. Hier liegt das Problem mit Blick auf die Forderung nach einem sofortigen Verbot von Nuklearwaffen.
Der neue Vertrag enthält zudem Bestimmungen, die ihn in ein gefährliches Spannungsverhältnis zum nuklearen Nichtverbreitungsregime setzen. Der Vertrag enthält ein umfassendes Verbot von Entwicklung, Erprobung, Herstellung, Erwerb, Besitz, Transfer und Einsatz von Atomwaffen und Kernsprengkörpern. Auch die Mitwirkung an nuklearer Abschreckung sowie die Stationierung von Atomwaffen anderer Staaten auf dem eigenen Territorium sind verboten.
Damit ist für alle Länder die Tür zu einem Beitritt verschlossen, solange sie an der nuklearen Teilhabe mitwirken oder ein verbündeter Atomwaffenstaat auf ihrem Gebiet Kernwaffen lagert oder stationiert. Gegenwärtig sind im Rahmen der nuklearen Teilhabe der NATO ca. 150 Atomwaffen in Belgien, Deutschland, Italien, den Niederlanden und der Türkei stationiert.
Deutschland, das sich seit Jahrzehnten für die weltweite nukleare Abrüstung einsetzt, sich aber zugleich in einer Allianz mit Atomwaffenstaaten befindet, kann dem Vertrag unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht beitreten. Dies käme einem Bruch mit der auf Westbindung und Mitsprache angelegten Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik gleich.
Der Vertrag spiegelt die tiefe Spaltung der internationalen Gemeinschaft im Umgang mit Atomwaffen wider. Während die einen diese Waffen als legitime sicherheitspolitische Instrumente sehen, halten die anderen den Einsatz von Atomwaffen und die Drohung damit für inakzeptabel. Diese Spaltung aber gefährdet den NVV, der ja gerade davon lebt, dass Staaten mit und ohne Atomwaffen ihre Sicherheitsinteressen ausbalancieren.
Gleichzeitig wäre es abrüstungspolitisch kontraproduktiv, das Abkommen komplett zu ignorieren. Trotz erheblicher Defizite ergeben sich aus ihm auch Chancen. So kann der Vertrag zusätzlichen politischen Druck für mehr nukleare Abrüstung erzeugen. Ich hoffe das sehr, bin aber ehrlich gesagt angesichts der aktuellen internationalen Lage nicht sehr zuversichtlich. Dabei zeigt gerade die Auseinandersetzung zwischen den USA und Nordkorea, wie notwendig eine politische Lösung des Umgangs mit Atomwaffen ist.
Auch deshalb werde ich mich im nächsten Bundestag, falls ich erneut gewählt werden sollte, für entsprechende Initiativen einsetzen.
Wir werden weiter mit Nachdruck darauf hinweisen, dass alle Atomwaffenstaaten sich bereits im NVV verpflichtet haben, auf eine kernwaffenfreie Welt hinzuarbeiten. Dazu müssen schrittweise die erforderlichen Rahmenbedingungen für nukleare Abrüstung geschaffen werden. Transparenzmaßnahmen, Verifikation und Vertrauensbildung – auf Grundlage des Nichtverbreitungsvertrags – sind dabei unverzichtbar.
Wir werden in unserem Engagement für vertragsgestützte Abrüstung, sowohl im konventionellen als auch im nuklearen Bereich, nicht nachlassen. Das Ziel bleibt die weltweite Abrüstung von atomaren, chemischen und biologischen Massenvernichtungswaffen und konventioneller Rüstung.
Mit aller Entschiedenheit wenden wir uns gegen verantwortungslose Gedankenspiele über die Schaffung einer europäischen Atomwaffenmacht oder gar eine atomare Bewaffnung Deutsch-lands. Solche Überlegungen dienen nicht dem Frieden, sondern sie untergraben Grundelemente deutscher und europäischer Sicherheit! Deutschland hat sich im Zwei plus Vier-Vertrag und im Nichtverbreitungsvertrag völkerrechtlich verbindlich zum ausdrücklichen Verzicht auf Massenvernichtungswaffen verpflichtet.
Gerade in Zeiten wachsender internationaler Spannungen muss unser Handeln darauf ausgerichtet sein, die Menschheit von der Geißel der atomaren Bewaffnung Schritt für Schritt zu befreien. Dabei müssen dringend auch die Atomwaffenstaaten mit ins Boot geholt werden, um zu einer nachhaltigen Lösung zu gelangen.
Ich hoffe, dass ich Ihnen meine Sicht der Dinge deutlich machen konnte. Vielen Dank für die guten Wünsche.
Mit freundlichen Grüßen
Ralf Kapschack