Ralf Kapschack
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Frage von Stefan B. •

Frage an Ralf Kapschack von Stefan B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Kapschack,

derzeit wird unter dem verschleiernden Titel "Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten" von der Bundesregierung ein Gesetzentwurf zur Wiedereinführung einer Vorratsdatenspeicherung vorangetrieben.

Im Koalitionsvertrag findet sich zum Thema VDS die Vereinbarung

"Wir werden die EU-Richtlinie über den Abruf und die Nutzung von Telekommunikationsverbindungsdaten umsetzen. Dadurch vermeiden wir die Verhängung von Zwangsgeldern durch den EuGH."

Zwischenzeitlich hat der EuGH die angesprochene EU-Richtlinie aufgehoben, weil er sie als unvereinbar mit den Grundrechten europäischer Bürger beurteilt.

Ihr SPD-Landesverband NRW hat bereits am 27.9.2014 einen Antrag mit dem Titel "Auch in Zukunft: Keine Vorratsdatenspeicherung in Deutschland und der EU" angenommen. Aktuell haben sich 117 Parteigliederungen der SPD gegen eine Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen ( http://spdvds.d-64.org/ ).

Vor diesem Hintergrund möchte ich Sie bitten, folgende Fragen zu beantworten:

1. Würden Sie es als Bruch des Koalitionsvertrages ansehen, wenn die SPD gegen die Wiedereinführung der VDS stimmen würde, nachdem nun durch die gekippte EU-Richtlinie keine Grundlage mehr für diesen Abschnitt des Vertrages vorhanden ist?

2. Stimmen Sie mit dem EuGH darin überein, dass die anlasslose pauschale Überwachung aller Bürger eine Verletzung des Grundrechts auf Achtung des Privatlebens darstellt?

3. Das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht veröffentlichte 2012 die Studie "Schutzlücken durch Wegfall der Vorratsdatenspeicherung" und kam zu dem Ergebnis, dass sich der "Wegfall der Vorratsdatenspeicherung nicht als Ursache für Bewegungen in der Aufklärungsquote abbilden lässt." Wie beurteilen Sie den Nutzen und die Sinnhaftigkeit einer VDS?

4. Werden Sie im Bundestag dem derzeit diskutierten Gesetzentwurf zur Wiedereinführung einer VDS zustimmen?

Vielen Dank und viele Grüße,

Stefan Borggraefe

Ralf Kapschack
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Borggraefe,

vielen Dank für Ihre Fragen zu meiner Position hinsichtlich des Gesetzentwurfs „Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten“. Ich kann verstehen, dass Sie als Mandatsträger und Mitglied der Piratenpartei ein spezielles Interesse an diesem Thema haben. Ich kann auch die mit dem Thema verbundenen Vorbehalte, Ängste und Sorgen nachvollziehen. Aber ich würde gern versuchen die – auch von ihrer Partei - emotional geführte Debatte auf einer sachlichen Ebene zu führen. Dazu muss festgestellt werden, dass es keine „anlasslose pauschale Überwachung aller Bürgerinnen und Bürger“ geben wird. Der Staat selbst oder seine Institutionen sammeln überhaupt keine Daten. Es werden auch keine zusätzlichen Daten aufgezeichnet. Es geht faktisch um das Zugriffsrecht der Ermittlungsbehörden auf die Daten, die von den Telekommunikationsunternehmen gesammelt werden. Für einen Abruf der Daten sieht der Gesetzesentwurf hohe Hürden vor, die einen möglichen Missbrauch ausschließen sollen.

Ihr Hinweis, dass der EuGH die EU-Richtlinien über den Abruf und die Nutzung von Telekommunikationsdaten aufgehoben hat, ist richtig. Nur waren diese Richtlinien deutlich weitgehender als der jetzt vorgelegte Gesetzesentwurf.

Vor diesem Hintergrund möchte ich Ihre Fragen wie folgt beantworten:

1. Sie zitieren den geltenden Koalitionsvertrag richtig. Nur hat es nach der Entscheidung des EuGH eine Einigung zwischen den Koalitions- und Parteispitzen von der SPD und der Union gegeben. Somit würde eine Ablehnung der neuen VDS zwar keinen Bruch des Koalitionsvertrages darstellen, aber einen Bruch der getroffenen Absprachen. Der vorgelegte Gesetzentwurf ist deutlich restriktiver als die gekippte EU-Richtlinie, als die strengen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, als der geltende Parteitagsbeschluss der SPD und insbesondere als die Vorstellungen von der Union. Somit ist Ihre Formulierung von einer Wiedereinführung der VDS in Deutschland zumindest irreführend. Der Parteikonvent der SPD wird sich intensiv mit dem vorliegenden Gesetzentwurf befassen. Das Ergebnis dieser parteiinternen Diskussion wird einen Einfluss auf mein persönliches Abstimmungsverhalten wie auch auf das Abstimmungsverhalten der Fraktion haben.

2. Ich begrüße die Rechtsprechung des EuGH. Ich freue mich daher ausdrücklich, dass es die anlasslose pauschale Überwachung aller Bürgerinnen und Bürger in Deutschland nicht geben wird. Der Gesetzentwurf von Minister Heiko Maas stellt einen maßvollen Eingriff in die Grundrechte dar, der aber keinesfalls eine anlasslose pauschale Überwachung aller Bürgerinnen und Bürger beinhaltet. Nur unter klar definierten Voraussetzung und bei dem Verdacht auf schwere Straftaten dürfen die Strafermittlungsbehörden auf richterlichen Beschluss auf die Telekommunikationsdaten zugreifen. Diese Daten werden – anders als in der öffentlichen Debatte oft dargestellt – nicht vom Staat oder seinen Institutionen gesammelt. Die im Gesetzesentwurf verankerten maximalen Speicherfristen stellen hier sogar eine Verbesserung des Status Quo dar. Wir reden an dieser Stelle über eine Speicherfrist von maximal zehn Wochen bzw. vier Wochen bei den Standortdaten. Derzeit speichern Anbieter von Telekommunikationsdiensten bis zu 200 Tage lang Verbindungs- und Kommunikationsdaten. Die EU-Richtlinie beinhaltet sogar eine Speicherfrist bis zu zwei Jahren. Sollten die Unternehmen Daten zum Beispiel aus Gründen der Rechnungslegung länger speichern müssen, schreibt der Gesetzesentwurf vor, dass die Strafverfolgungsbehörden nach Ablauf der maximalen Speicherfrist trotzdem nicht auf diese zugreifen dürfen.

3. / 4. Die von Ihnen angesprochene Studie des Max-Planck-Instituts stellt dar, dass es keinen statistisch nachweisbaren Effekt der Vorratsdatenspeicherung auf die Aufklärungsquote von Verbrechen gibt. Es wird aber gleichzeitig darauf hingewiesen, dass eine rein auf statistischen Daten basierende Studie unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten nicht möglich war. Darüber hinaus wird auch thematisiert, dass es immer Einzelfälle gibt, in denen die Datenspeicherung durchaus hilfreich war. Die Anschläge von Paris als Einzelfall betrachtet, zeigen, welche Bedeutung der Zugriff auf die Verkehrsdaten in besonderen Fällen haben kann. Innerhalb von wenigen Stunden konnten die Täter gestellt werden und so wahrscheinlich noch größeres Blutvergießen verhindert werden. Daher sehe ich in dem vorliegenden Gesetzesentwurf einen guten Kompromiss, der eine anlasslose pauschale Überwachung verbietet, aber im konkreten Einzelfall wichtige Erkenntnisse zur Verbrechensaufklärung leisten kann. Daher tendiere ich im Moment dazu dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Die Vorratsdatenspeicherung ist für mich keine Herzensangelegenheit, wenn es plausible Alternativen gibt, die den gleichen Effekt erzielen können, bin ich gerne bereit, mich damit zu beschäftigen.

Herzliche Grüße

Ralf Kapschack