Portrait von Ralf Briese
Ralf Briese
Bündnis 90/Die Grünen
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Ralf Briese zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Lara H. •

Frage an Ralf Briese von Lara H. bezüglich Bildung und Erziehung

Sehr geehrter Herr Briese,

ich habe mir das Programm der Grünen zur Landtagswahl durchgelesen und habe jetzt einige Fragen zum Konzept der "Neuen Schule".
Die Forderung nach individueller Förderung und nach kreativem, selbstständigem, handlungsorientiertem, fächerübergreifendem und und und... Lernen/Unterricht klingt ja ganz gut, ist aber noch wenig konkret.
Wie genau findet individuelle Förderung in den ersten neun gemeinsamen Schuljahren statt? Gibt es in bestimmten Fächern gemeinsamen Unterricht und zu anderen Fächern Kurse, in der die Schüler nach Leistung sortiert sind?
Wie wird die "neu gestaltete gymnasiale Oberstufe" aussehen? Es gab in den letzten Jahren so viel hin und her (Abi nach 12 Jahren, Änderung des Kurssystems, Zentralabitur usw.) und ich habe dabei das Gefühl, dass die Schüler (und Lehrer!) dabei die "Opfer" von irgendwelchen politischen Machtkämpfen zwischen den Parteien werden.

Dann habe ich noch eine Frage zu den Studiengebühren: Die Grünen wollen das Erststudium wieder kostenlos machen. Wird das in der Realität schnell durchgeführt werden können? (Denn bei den Hochschulen wurde ja gekürzt... Woher wird das Geld genommen, das dann wieder in die Hochschulbildung gesteckt werden muss?)

Viele Grüße,
Lara Hentschel

Portrait von Ralf Briese
Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Hentschel,

sorry für die späte Antwort. Ihre Frage muss mir durchgerutscht sein, daher bekommen Sie die Antwort auch etwas ausführlicher.

Zur individuellen Förderung. Das ist natürlich in erster Linie eine didaktisch-methodische Frage. In die konkrete Detailsteuerung und Methodenlehre der Schule sollte Politik sich m.E. gar nicht so detailliert einmischen. Wir regeln eh schon viel zu viel. Aber ich will mich um die Frage nicht drücken. Also: Die individuelle Förderung umfasst viele Fassetten. Vorbilder gibt es u.a. aus den skandinavischen Ländern, insbesondere Finnland, aber auch aus einer Reihe von reformpädagogisch arbeitenden Schulen in Deutschland.

Wichtig ist, dass nicht mehr primär in einem lehrerzentrierten Unterricht im Gleichschritt gelernt wird, bei dem ein Teil der Schülerinnen mitkommt, ein anderer Teil aber nicht, sondern dass der Unterricht stärker individualisiert wird, so dass die Schülerinnen und Schüler ihre eigenen Lernwege finden und in ihrem eigenen Lerntempo vorangehen können. Die Lehrerinnen und Lehrer werden - zugespitzt gesagt - von Wissensvermittlern zu Lernberatern, die die Schülerinnen und Schüler individuell dabei unterstützen, ihren Lernweg zu finden, und auch Lernprobleme frühzeitig erkennen. Vorbild sind für mich immer noch unsere sehr guten Grundschulen. Dort wird bereits sehr gezielt individualisiert und jeder kleine Mensch als Subjekt gesehen. In der Grundschule werden Kinder unterrichtet, später leider meist nur noch Fächer.

Eine Schule mit individueller Förderung erfordert durchaus auch eine flexible Bildung der Lerngruppen. Lehrkräfte können zeitweise auch in Kleingruppen oder sogar im Einzelunterricht Schülerinnen und Schüler besonders fördern. Eine dauerhafte Bildung von Kursen, die nach Leistung sortieren wie die A- und B-Kurse an den Gesamtschulen, lehnen wir jedoch ab, weil sie Leistungsunterschiede verfestigen.

Zur individuellen Förderung gehört schließlich dazu, dass die Lehrerinnen und Lehrer durch andere Fachkräfte wie Sozialpädagoginnen und Psychologinnen unterstützt werden, denn nur wenn die Schülerinnen und Schüler auch bei sozialen oder gesundheitlichen Problemen frühzeitig unterstützt werden, ist eine umfassende Förderung möglich.

Neben der Individualisierung spielt aber auch die Klassengröße eine sehr entscheidende Rolle für den Bildungserfolg. Nur Individualisierung reicht nicht und ist auch schwierig, wenn die Klassenfrequenz über 20 Schüler und Schülerinnen liegt.

Zur neu gestalteten gymnasialen Oberstufe:

Wir wollen, dass die Schülerinnen und Schüler wieder mehr Möglichkeiten der individuellen Profilbildung und Schwerpunktsetzung bekommen. Es soll keine Jahrgangsklassen geben, sondern die Zusammensetzung der Lerngruppen hängt von der individuellen Wahl der Lernangebote durch die Schülerinnen und Schüler ab. Die Lernangebote sind modular aufgebaut. Es gibt obligatorische, fakultative, vertiefende und angewandte Module. Der Unterricht soll verschiedene Kompetenzen vermitteln. Der traditionelle Fächerkanon wird abgeschafft. Dafür werden folgende Kompetenzbereiche eingeführt: muttersprachliche Kompetenz, fremdsprachliche Kompetenz, mathematisch-naturwissenschaftliche Kompetenz, musisch-künstlerische Kompetenz, Körper- und Bewegungskompetenz.

Es besteht die Möglichkeit weitere Kompetenzbereiche anzubieten. Die gymnasiale Oberstufe arbeitet berufsorientierend und soll auch aufs Studium vorbereiten. Sie ermöglicht den Schülerinnen und Schülern eine qualifizierte Entscheidung im Hinblick auf die Berufswahl bzw. das Studium zu treffen. Dementsprechend werden von den gymnasialen Oberstufen in Kooperation mit regionalen und überregionalen Unternehmen auf der einen und Universitäten bzw. Fachhochschulen auf der anderen Seite berufsbezogene Praktika und Phasen des universitären Lernens angeboten.

Was die „Machtkämpfe“ in der Politik um die Bildung angeht. Ja, leider wirkt es oft so, als ob es nur um „Macht“ geht – und natürlich geht es auch darum, denn jede Partei will ja ihre gesellschaftlichen Rezepte durchsetzen und wirbt dafür in der Bevölkerung. Es geht aber meines Erachtens schlicht auch um unterschiedliche Ideen und Konzepte. Die einen glauben eben, dass die Sortierung für die Kinder/ Schüler besser ist, und wir sind der Meinung eine längere gemeinsame aber individualisierte Schule ist der bessere Weg.

Zu Ihrer letzten Frage: wie soll das alles finanziert werden, wie z.B. die Rücknahme der Studiengebühren. Das ist eine sehr berechtigte Frage. Es kann nur durch die drei Stellschrauben: Umschichten, Einsparen und Mehreinnehmen passieren. Einsparen können wir bei fragwürdigen Infrastrukturprojekten. Die Küstenautobahn A22 z.B. soll rund eine Milliarde kosten. Das sollte man lassen und in die Bildung investieren. Dann müssen wir die Erbschafts- und Vermögenssteuern erhöhen. Diese sind einfach zu niedrig in Deutschland. Desweiteren müssen wir auf manche fragwürdige Subvention verzichten, wie z.B. die Pendlerpauschale. Und es gibt natürlich immer noch einiges an Landesvermögen wie z.B. die Stahlwerke Salzgitter, die z.B. 50 Mio. wert sind. Das Geld sollten wir besser in eine Bildungsstiftung packen oder dafür Stipendienprogramme auflegen.

Bildung muss einfach Priorität bekommen. Bildung entscheidet wesentlich über ein gelingendes Leben und über Teilhabe in einer Gesellschaft. Gute Bildung vermeidet auch hohe Folgekosten wie Kriminalität und Sozialtransfers. Also die letzten Euro zusammen kratzen

und wirklich gute Bildung von der Frühförderung, über die Schule bis zum Studium finanzieren.

Viele Grüße

Ralf Briese