Frage an Rainer Wend von Hanns S. bezüglich Recht
Herr Wend,
Ihre Aussagen zur Koalitionsfreiheit erschrecken mich: Wurden Sie nicht mit einer Arbeit zum kollektiven arbeitsrecht promoviert? Haben Sie all das schon wieder vergessen?
Sie tun so, als ob Streiks generell keine Auswirkungen auf die Allgemeinheit haben dürften (eine absurde Vorstellung). Außerdem benehmen Sie sich, als ob die Koalitionsfreiheit quasi ein allein den DGB-Gewerkschaften zustehendes Recht wäre, dessen Inanspruchnahme durch unabhängige, wie wir sehen auch mächtige, gegnerfreie und arbeitskampfbereite Gewerkschaften irgendwie verhindert werden müsste. Ist das tatsächlich Ihre Auffassung?
Meinen Sie mit dem aufgekündigten Grundkonsens der Nachkriegszeit die Situation, dass es ein SPD-Kanzler war, der Herrn Mehdorn zu dem Amt verhalf, in dem er seine Bezüge bald verdoppelte, während der SPD-Mann Hansen (Gewerkschaftschef der DGB-Gewerkschaft Transnet keine ernsthaften Tarifauseinandersetzunegn führte und zu gigantischen Reallohnverlusten führte. Muss Ihrer Meinung nach dieser Nachkriegskonsens bedeuten, dass Gewerkschaften keinesfalls mit Nachdruck Arbeitnehmerinteressen verfolgen?
Oder sollen Gewerkschaften stets (so wie der DGB) allein die Nähe zur Politk suchen, mit den Arbeitgebervertretern derart fragwürdigen Hobbys nachgehen wie bei VW? Oder bedeutet Konsens, dass sie den DGB-Gewerkschaften zur einseitigen Parteinahme verpflichtet sind, da der DGB 1998 eine große Wahlkampagne für die SPD gemacht hat ("Deine Stimme für Arbeit und soziale Gerechtigkeit"). Nach meiner bescheiden Ansicht ist es durchaus der Sinn von Art. 9 Abs. 3 GG, dass Koalitionen Arbeitnehmerinteressen vertreten und bei entsprechender Macht auch anständige Löhne durchsetzen, selbst wenn dann, wenn der Arbeitgeber stur bleibt, dessen Kundenbeziehungen (und damit eben auch die Allgemeinheit) leiden. Schlimm genug, dass die DGB-Gewerkschaften diese ihre eigentliche Aufgabe nicht mehr leisten!
Die SPD ist also jetzt im Arbeitgeberlager - Arbeitnehmerpartei war gestern!
Sehr geehrter Herr Schmidt,
anscheinend haben Sie meine bisherigen Ausführungen zu den Tarifauseinandersetzungen zwischen Bahn und GDL missverstanden, deshalb nehme ich gerne noch einmal einige Klarstellungen vor: Streiks haben immer Auswirkungen auf die Allgemeinheit – das liegt in der Natur der Sache. Ich habe mich keinesfalls gegen tarifliche Auseinandersetzungen ausgesprochen, denn selbstverständlich haben Arbeitnehmer das Recht, sich zur Durchsetzung ihrer Interessen zusammenzuschließen.
In der GDL sind aber nur ein kleiner Teil der Bahn-Mitarbeiter und Lokführer organisiert. Und ich halte es - wie in meiner vorherigen Antwort an Herrn Dr. Heß bereits erwähnt - für problematisch, wenn es zunehmend Spartengewerkschaften gibt, die sich nicht um die Belange anderer Mitarbeiter im gleichen Betrieb kümmern. Wenn andere sich ein Bespiel an der GDL nehmen, wird zukünftig jede Kleingruppe eine Gewerkschaft bilden und versuchen, ihre Sonderinteressen durchzusetzen. Das schadet dem sozialen Frieden und damit dem Wirtschaftsstandort Deutschland. Auch für den Betriebsfrieden und eine gute Arbeitskultur ist es sicherlich nicht förderlich, wenn es in einem Unternehmen für die gleiche Tätigkeit zwei Tarifverträge mit unterschiedlichen Leistungen gibt.
Um es noch einmal klar zu formulieren: Ich spreche niemandem das Grundrecht auf Koalitionsfreiheit ab. Wie bei allen verfassungsgemäß garantierten Rechten, muss aber auch bei der Koalitionsfreiheit die Verhältnismäßigkeit gewahrt werden. Nach meiner Auffassung ist diese Verhältnismäßigkeit in der aktuellen Auseinandersetzung zwischen Bahn und GDL nicht gegeben.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Rainer Wend